9 Schritte zur Erschliessung von Business Ecosystems

Die Erschliessung eines Business Ecosystems verspricht die Möglichkeit, bestehenden Kunden integrierte Services durch zum Teil branchenübergreifende Kooperationen zur Verfügung zu stellen und Zugang zu neuen Kundengruppen zu erhalten. Auch Themen wie Co-Creation und Data-Insights können eine Rolle spielen. Selbst ein Business Ecosystem aufzubauen ist allerdings eine anspruchsvolle Aufgabe, da es viele Parteien um eine für alle Teilnehmer attraktive Value Proposition herum zu orchestrieren gilt. Wichtig ist ausserdem, eine in den Augen aller Teilnehmer gerechte Verteilung des gemeinsam geschaffenen Wertes zu finden, während die zukünftige Profitabilität noch nicht gesichert ist. In manchen Fällen wird die Profitabilität sogar eine untergeordnete Rolle spielen, wenn die Erschliessung eines Business Ecosystems notwendig ist, um langfristig für die Kunden attraktive Offerings sicherzustellen.

Um die Erfolgsaussichten für ein solches Vorhaben zu erhöhen, lohnt sich ein strukturiertes Vorgehen, das nicht nur beim Design einer vielversprechenden Lösung hilft, sondern auch dabei, mögliche Stolpersteine möglichst früh zu entdecken und bestenfalls zu umgehen.

Ein solches Vorgehen, das bereits von mehreren Banken im deutschsprachigen Raum verwendet wird, stelle ich in diesem Beitrag vor.[1]

Abbildung 1: Schritte zum Aufbau eines Business Ecosystems

Vorbereitung

Da der Aufbau eines Business Ecosystems ein ressourcenintensiver Prozess mit ungewissem Ausgang ist, sollte dieser Schritt gut überlegt sein. Vor der Entscheidung steht daher zunächst in einem Schritt 0 die Analyse der aktuellen Positionierung des eigenen Unternehmens: Welche Rolle könnte ich mit meinem jetzigen Angebot in welchen Business Ecosystems (BE) einnehmen? In welchen BE bin ich vielleicht schon aktiv? Ist ein Engagement in weiteren BE  notwendig, um bestimmte  strategische Ziele zu erreichen? Je nach Unternehmen und Kontext erübrigen sich an dieser Stelle vielleicht bereits weitere Überlegungen, weil sich herausstellt, dass die Beteiligung an einem bestimmten BE nicht zielführend für das Unternehmen ist bzw. möglicherweise die bestehenden Engagements ausreichen. Oder aber dieser Schritt, auf den ich in meinem letzten Beitrag bereits näher eingegangen bin, hat mir geholfen, bestehende BEs zu identifizieren, denen ich mich anschliessen möchte.

Fällt der Entscheid, ein neues BE aufzubauen, dann ist diese Entwicklung iterativ und unter möglichst früher Einbindung der relevanten Akteure in kollaborativen Prozessen durchzuführen. Business Ecosystems bilden sich dabei um das übergreifende Kernwertversprechen, um das sich einzelne Akteure anordnen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die vorgestellten Schritte an die individuelle Situation angepasst werden müssen und zum Teil auch parallel bzw. revolvierend durchgeführt werden. Ein Business Ecosystem lässt sich nicht exakt auf dem Reissbrett designen, sondern braucht mehrere iterative Entwicklungsrunden. Zugleich wird das Ergebnis umso erfolgsversprechender, je eher die relevanten Partner des Business Ecosystems in die Diskussion eingebunden werden. Aber auch hier gilt: Ein Business Ecosystem ist ein hervorragendes Konstrukt, um sich vollständig zu verzetteln. Daher sollte mit einem eher kleinen, für eine identifizierte Zielgruppe passgenauen Servicebundling gestartet werden. Dies kann dann ggfs. im Zeitablauf erweitert und ausgebaut werden. Das gilt unabhängig davon, ob man als Unternehmen darüber nachdenkt, in ein bestehendes Business Ecosystem einzutreten, oder die Initiierung eines neuen Business Ecosystems plant.

Folgende weitere Schritte bzw. Aktivitäten sind mit der Analyse und dem Verständnis bezüglich der strategischen Positionierung in Business Ecosystems verbunden.

1. Analyse der zukünftigen Entwicklung der Kundenbedürfnisse und des eigenen Unternehmens

Auf Basis einer Trendanalyse können die Veränderung der Kundenbedürfnisse diskutiert und analysiert werden. Weitere mögliche Instrumente, um die Motive und Probleme der Kunden zu erfahren, sind beispielsweise Methoden aus dem Design Thinking oder auch der Jobs-to-be-done-Ansatz. Ein Trendradar kann aber auch genutzt werden, um das Verständnis zu schärfen, wohin sich das eigene Unternehmen entwickeln möchte. Dabei kann der Impact von Trends auf das jeweilige Unternehmen analysiert werden –   optimalerweise mit Fokus auf Kunde, Geschäftsmodell, Markt, Prozess, System und Leistungsangebot.[2]

Abbildung 2: Aufbau des CC Ecosystems Trendradars

2. Konkretisierung Idee – Herleitung Kernwertversprechen und Zielgruppe

Business Ecosystems entwickeln sich als dynamische Strukturen rund um ein zentrales Kernwertversprechen bzw. einen gemeinsamen Zweck.  Dabei ist die Eruierung der Bedürfnisse der Zielgruppe entscheidend. Um die Bedürfnisse der Teilnehmer zu verstehen kann beispielsweise auf Bedürfnisübersichten von Firmen- und Privatkunden zurückgegriffen werden.

Abbildung 3: Bedürfniskatalog des CC Ecosystems für natürliche Personen

3. Konkretisierungen Services & Bedürfnisse der Teilnehmer im Business Ecosystem

Hier geht es darum, bestimmte Services als Kernservices zu eruieren. Was sind Services, die dieses Angebot ergänzen können (also z. B. die Zeitung oder der Zugang zu Streaming-Dienstleistungen während der Zugfahrt) bzw. auch Angebote, die zeitlich vor dem eigentlichen Kernservice zur Erfüllung der jeweiligen Kundenbedürfnisse relevant sind (z. B. Fahrt um Bahnhof)?

Abbildung 4: Identifikation von Ecosystemservices

Ein weiteres Instrument, um sich diese Services zu erschliessen, ist das „Circle of Influence“–Modell. Ursprünglich aus der Psychologie stammend kann es Unternehmen helfen, Aktivitäten zu eruieren, die sie entweder selber durchführen (Circle of Control) oder aber in Kooperation mit Dritten beeinflussen können (Circle of Influence).[3] 

Abbildung 5: Beispiel für einen Circle of Control

Gleichzeitig kann dieses Instrument auch genutzt werden, um zu verstehen, welche Aktivitäten bisher der Kunde durchführt und wo für ihn Entlastung im Sinne eines integrierten Services geschaffen werden kann. Weitere Werkzeuge zur Konkretisierung von Ecosystems stelle ich in meinem Beitrag Ecosysteme von A(nalyse) bis P(ositionierung) vor. 

4. Weitere Konkretisierung Services & Bedürfnisse der Teilnehmer im Business Ecosystem

Die identifizierten Kernservices und angrenzenden Services können noch weiter geschärft werden, in dem man den Blickwinkel ändert und sich fragt, in welchen Situationen Kunden Bedarf an solchen Services haben und/oder auch, wann Sie sich mit solchen Themen beschäftigen. Hier sind bspw. Firmen- oder Personeneventlandkarten vorteilhaft.

Abbildung 6: Beispiel eventbasierte Prozesslandkarte

5. Bestimmung der zukünftig im Business Ecosystem teilnehmenden Unternehmen und ihrer Aktivitäten (Soll-Situation)

Konkrete Teilnehmer werden eruiert, u. a. auch mit Fokus auf deren Offering, Ressourcen und Bedürfnisse. Weiterhin sollte eine systematische Bewertung der Teilnehmer auf Basis der Anforderungen erfolgen, welche das jeweilige Unternehmen an die Kooperationspartner hat. Hierbei können systematisch Auswahlkriterien identifiziert werden, von der Marktmacht der Teilnehmer bis hin zu deren Reputation und Skalierungsfähigkeit. Anschliessend erfolgt eine Auswahl der Teilnehmer auf Basis der Bewertung der potentiellen Partner. Spätestens an diesem Punkt – nach Aufnahme der ersten Gespräche mit den potentiellen Partnern – werden die bisher durchlaufenen Schritte erneut durchgeführt und um den Input der Partner ergänzt.

6. Aggregation der Ergebnisse

Anschliessend können die Ergebnisse der Analysen im Ecosystem Business Canvas systematisch aggregiert werden. Hierbei wird dargestellt, welche Fähigkeiten und einzelnen Wertversprechen in einem Ecosystem ineinandergreifen, um das Kernwertversprechen zu erfüllen.

Abbildung 7: Business Ecosystem Canvas

7. Indikative Ertragsmechanik

Natürlich wird von jeder strategischen Initiative erwartet, zumindest eine erste Aussage darüber machen zu können, wie der Business Case aussehen wird. Dies ist insbesondere im Kontext von Business Ecosystems recht herausfordernd. Aber eine erste Indikation welche indirekten und direkten Kosten und Erträge mit dem Aufbau eines Business Ecosystems verbunden sind, ist die Basis für einen Entscheid über die nächsten Schritte. Erlaubt ist auch hier die Frage, welche Konsequenzen damit verbunden sind, wenn ein noch nicht klar erkennbarer Business Case zum Verzicht auf die Interaktion im BE führt. Unternehmen werden längerfristig in Netzwerken agieren müssen, wenn sie Teil der integrierten Bedürfnisbefriedung des Endkunden sein wollen.

8. Verständnis der existierenden Business Ecosystems

Häufig zeigt die Beschäftigung mit den Bedürfnissen, zugehörigen Services und den Angeboten Dritter, dass auch diese Unternehmen bereits in Business Ecosystems aktiv sind. Hier kann eine systematische Analyse des Umfelds dieser Unternehmen helfen zu eruieren, ob ggfs. auch die angedachten Services des eigenen Unternehmens in den gefunden „Partnerecosystems“ angeboten werden sollen. Als Hilfsmittel kann hierfür wieder ein Business-Ecosystem-Radar dienen.[4]

Abbildung 8: Business-Ecosystem-Radar des CC Ecosystems aus dem Jahr 2019

9. Business-Ecosystem-Portfolio-Strategie

Nachdem ein grundlegendes Verständnis gewonnen wurde, wie ein mögliches neues Business Ecosystem grundsätzlich aussehen könnte und welche Business Ecosystems rund um die analysierten Services bereits existieren, kann nun der Entschied getroffen werden, ob eher eine „build“- oder eine „integrate“-Strategie verfolgt werden soll.  Natürlich kann – insbesondere, wenn das Unternehmen bereits an einem oder mehreren Business Ecosystems teilnimmt – die Strategie um „desintegrate“ erweitert werden.

Fazit

Ein Business Ecosystem zu designen und aufzubauen ist ein anspruchsvolles Projekt, dem eine solche Auflistung kaum gerecht werden kann. Trotzdem können die hier dargestellten neun Schritte einen ersten Überblick über den Prozess geben, der zur Entwicklung einer Ecosystem-Strategie durchlaufen werden muss. Weitere Fragen, die bis zur tatsächlichen Umsetzung auf die Teilnehmer zukommen, sind unter anderem: Wie sieht die technische Infrastruktur im Ecosystem aus? Welche Daten teilen die Teilnehmer untereinander und welche Schnittstellen werden dafür genutzt? Schliesslich ist Technologie ein wichtiger Enabler für den Aufbau von BE. Geprägt wird der Erfolg eines solchen Konstrukts aber vor allem auch durch das Mindset und die Kultur der teilnehmenden Unternehmen.


[1] Das hier vorgestellte Vorgehen basiert auf der theoretischen und empirischen Forschung am Competence Center Ecosystems des Business Engineering Institute St. Gallen

[2] Mehr dazu gibt es in meinem Beitrag Ecosysteme von A(nalyse) bis P(ositionierung) im Abschnitt «Überblick über den Ecosystem-Kosmos»

[3] https://www.habitsforwellbeing.com/the-circle-of-concern-and-influence/

[4] https://ccecosystems.news/ecosystemradar-des-cc-ecosystems-aktuelle-entwicklungen-und-trends/

Stefanie Auge-Dickhut

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