Chancen & Herausforderungen für Banken im Kontext von Decentralized Finance

Autoren: Dominik Jocham (BEI) und Markus Abbassi (Kaleido Privatbank)

Dieser Beitrag ist der zweite Teil unserer dreiteiligen Serie zum Thema «Decentralized Finance – ein Hype, eine Bedrohung oder eine Chance für regulierte Finanzinstitute?». Der zweite Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Markus Abbassi (Head Digital Assets, Kaleido Privatbank) entstanden, der seine fachliche Expertise eingebracht sowie Struktur und Inhalt des Artikels einer kritischen Prüfung unterzogen hat. Wir danken Markus für seinen wertvollen Input und den angeregten Austausch.

Der Begriff Decentralized Finance (DeFi) bezeichnet eine dezentrale, Blockchain-basierte Architektur zur Abwicklung von Finanzgeschäften ohne Intermediäre. Im ersten Teil der Beitragsserie zum Thema Decentralized Finance wurde die Funktionsweise ausgewählter DeFi-Anwendungsfälle erklärt, wie beispielsweise Decentralized Exchanges (DEX) oder Automated Asset Management (AAM). Mit der hohen Zugänglichkeit, dem reduzierten Gegenparteirisiko durch die Abwicklung von Transaktionen via Smart Contracts oder der Stabilität der dezentralen Infrastruktur bieten DeFi-Anwendungen Vorteile gegenüber klassischen Finanzarchitekturen. Auf der anderen Seite sind mangelnde Regulierungssicherheit, ein unzureichendes Knowhow im Umgang mit DeFi-Applikationen in der breiten Bevölkerung oder auch die fehlende Durchsetzbarkeit von Verträgen Herausforderungen, die einer breiten Adoption von DeFi-Anwendungen noch im Wege stehen.

Vor diesem Hintergrund zeigen wir in diesem Beitrag auf, warum sich das Anbieten eines Zugangs zu Digital Assets und DeFi-Geschäftsmodellen für Finanzinstitute lohnt und welche Herausforderungen sie meistern müssen, um ihren Kunden ein solches Angebot zu ermöglichen. Grundvoraussetzung für ein Angebot von Decentralized Finance stellt der existierende direkte Zugang zu Digital Assets dar. Anhand von Beispielen aus der Praxis werden Positionierungsmöglichkeiten für regulierte Institute dargelegt sowie konkrete Chancen & Herausforderungen aufgezeigt.   

Chancen

Wie im ersten Teil dieser Beitragsserie erklärt wurde, liegen die potentiellen Erträge aus einem Investment in Digital Assets bzw. in DeFi-Geschäftsmodelle zum jetzigen Zeitpunkt weit über denen klassischer Anlagemethoden. Das daraus erwachsende Interesse aus Seite der Anleger macht die Beschäftigung mit Decentralized Finance auch für Finanzinstitute attraktiv. Letztere können durch eine Ausweitung ihres Angebots um Digital Assets und damit zusammenhängende Dienstleistungen nicht nur neue Kunden akquirieren, sondern durch das grössere Ertragspotenzial auch höhere Margen für ihre Leistungen durchsetzen. Die Ausweitung des Angebots lässt sich in drei aufeinander aufbauende Ebenen unterteilen: Die Ausweitung des Angebots an Digital Assets um DeFi-Token, die Partizipation an DeFi-Geschäftsmodellen sowie das Anbieten von Asset Servicing für Dritte. Ein grundlegendes Angebot an Digital Assets, z. B. der Handel mit und die Verwahrung von Digital Assets, bildet dabei den Grundstein für die Erschliessung von neuen Ertragsquellen im Kontext von Decentralized Finance.

Ausweitung des bestehenden Angebotes an Digital Assets

In den letzten Jahren hat sich die anfängliche Skepsis von Finanzinstituten gegenüber Digital Assets kontinuierlich gelegt, und die Anzahl an Instituten mit einem entsprechenden Angebot wächst stetig. Ein aktuelles Beispiel sind die Überlegungen des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken & Raiffeisenbanken, welche an Prototypen für ein Digital-Assets-Angebot für potenziell 18 Millionen Kunden[1] arbeiten[2]. In der Schweiz sind bereits verschiedene Retail- und Privatbanken mit einem solchen Angebot auf dem Markt, z. B. die Onlinebank Swissquote, die Krypto-Banken SEBA Bank & Sygnum sowie die Transaktionsbank Incore. Aber auch zahlreiche traditionelle Finanzinstitute bieten ihren Kunden bereits einen Zugang zu Digital Assets. Dabei handelt es sich meist noch um einen indirekten Zugang über beispielsweise börsengehandelte Produkte (ETPs) oder Zertifikate, welche in Digital Assets investieren, da diese Wertpapiere problemlos in die bestehende technische Infrastruktur der Institute integriert werden können; einige Banken arbeiten aber auch bereits am direkten Zugang zu Digital Assets. Diese Digital Assets sind oftmals die so genannten «Bluechips»[3] Bitcoin oder Ethereum. Die Produktpalette kann dann sowohl um weitere Coins als auch um ein umfassendes Dienstleistungsangebot erweitert werden, welches nebst Staking[4] beispielsweise die Belehnung dieser Digital Assets beinhaltet.

Als konsequenter nächster Schritt muss dann der Zugang zu DeFi-Applikationen & -Token betrachtet werden. Bietet eine Bank ihren Kunden zum Beispiel einen direkten Zugang zu Digital Assets via Online- oder Mobile Banking, kann sie dieses Angebot um DeFi-Token erweitern. Diese versprechen nicht nur durch Kursgewinne der Protokoll- oder Governance-Token[5] eine Ertragschance für die Anleger, sondern auch durch eine Cashflow-Komponente durch die zugrunde liegende dezentrale Finanzanwendung (z. B. den Ertrag als Liquidity Provider im Kontext von Decentralized Exchanges; weitere Details dazu im nächsten Kapitel). Zusätzlich bildet die Aufnahme von DeFi-Token für Anleger die Möglichkeit zur themenspezifischen Gestaltung des eigenen Digital Asset Portfolios, vergleichbar mit klassischen Anlageschwerpunkten (z.B. Biotech, Mobilität oder Technologie). Idealerweise wird ein Angebot an DeFi-Token mit der direkten Partizipation an DeFi-Geschäftsmodellen verbunden, um der Verwässerung von DeFi-Token entgegenzuwirken (dazu mehr im nächsten Abschnitt).

Partizipation an DeFi-Geschäftsmodellen

Eine weitere Möglichkeit zur Steigerung der Erträge für Anleger als auch für das Finanzinstitut bilden die DeFi zugrundeliegenden Geschäftsmodelle wie die dezentrale Kreditvergabe oder das sogenannte Automated Asset Management (AAM). Aus einer Anlegerperspektive lassen sich dadurch tendenziell höhere Renditen erzielen als mit vergleichbaren Produkten aus der klassischen Finanzwelt. So können beispielsweise mit der Ausleihe des Stablecoins USDC im DeFi-Kontext Erträge von bis zu 7.25%[6] erzielt werden. In der klassischen Finanzwelt kann ein solches Angebot am besten mit einem Vermögensverwaltungsmandat des Finanzinstitutes verglichen werden. Hierbei bewirtschaftet beispielsweise eine Bank das Anlagevermögen von Investoren nach vorher vereinbarten Kriterien aktiv und ohne bei jedem Anlageentscheid vorher die Freigabe des Investors abzuholen. Anleger profitieren hierbei von der Investmentexpertise und idealerweise von der Fähigkeit der Bank, einen Ertrag für den Anleger zu generieren, während die Bank im Gegenzug einen stabilen Gebührenfluss durch das Verwaltungsmandat erhält.

Wird dieses Konzept auf DeFi angewendet, agiert das Finanzinstitut als aktiver Verwalter von Digital Assets und investiert diese in Absprache mit dem Investor in entsprechende DeFi-Applikationen. Im Falle einer dezentralen Kreditvergabe tritt das Finanzinstitut im Namen des Kunden als Lender auf. Durch die Bereitstellung von Liquidität im Lending Pool erhalten die Kreditgeber eine Belohnung in Form des zur Verfügung gestellten Digital Assets (z. B. USDC). Diese Assets können sie entweder halten oder wiederum als Kredit zur Verfügung stellen. Letzteres wird als Yield Farming bezeichnet und hat das Ziel, den erhaltenen Ertrag aus der Bereitstellung von Liquidität für die dezentrale Kreditvergabe zu maximieren[7].

Im Falle des Automated Asset Managements, bei dem das Anlegen automatisiert verläuft, werden Digital Assets nicht vom Finanzinstitut investiert, sondern in den Vault des Smart Contracts transferiert und gemäss der Anlagestrategie des Smart Contracts in weitere DeFi-Applikationen investiert. Beispielsweise werden die Digital Assets in Lending Pools (Borrowing-Lending) oder Liquidity Pools (Decentralized Exchanges, DEX) transferiert und generieren so Erträge. Investoren erhalten diese Erträge, abzüglich einer Gebühr für den AAM.

Im Falle von Decentralized Exchanges kann von DeFi-Applikationen ein Liquidity Provider Token (LPT) als Belohnung für die bereitgestellte Liquidität an die Liquidity Provider ausbezahlt werden. Diese Token können wiederum in einen Liquidity oder Lending Pool transferiert werden, um selber neue Erträge für die Investoren zu generieren. Diese Anlagestrategie wird Liquidity Mining genannt, also die Maximierung des eigenen Ertrages durch die wiederholte Bereitstellung von Liquidität in Form von Digital Assets und Liquidity-Provider- bzw. Lending-Token in verschiedenen DeFi-Applikationen. Durch das Minting[8] von LPT oder Lending Token durch die DeFi-Applikation wird der Wert der bestehenden Token verwässert, da das Gesamtangebot steigt. Folglich ist es sinnvoll, die Token weiter zu investieren bzw. anzulegen.

Doch weshalb sind diese Geschäftsmodelle so relevant für Finanzinstitute? Für Anleger mit Digital Assets bietet eine Bank nicht nur einen sicheren Ort für die Verwahrung der Private Keys an, sondern sie kann die Assets auch während der Verwahrdauer in DeFi-Applikationen investieren und neue Ertragsmöglichkeiten für Anleger bereitstellen. Für den Anleger gibt es nebst einer konsolidierten Sicht auf sein Vermögen auch ein Rundum-Sorglos-Paket, wobei er sich nicht mit einzelnen Protokollen und den Anlagestrategien auseinandersetzen muss. Diese Dienstleistung kreiert am Schluss für den Kunden einen Mehrwert und kann deshalb auch mit gutem Gewissen verrechnet werden.

Erweiterung der eigenen Leistungserbringung

Als dritte Opportunität im Kontext von DeFi und Finanzinstituten kann Asset Servicing für Dritte bezeichnet werden. Neben direkten Investments in Digital Assets sind wie eingangs erwähnt klassische Wertpapiere basierend auf Digital Assets ein Treiber der institutionellen Adaption, z. B. Derivate wie Exchange Traded Products (ETP)[9]. Diese Derivate bieten Anlegern einen indirekten Zugang zu Digital Assets, indem diese das Derivat anstelle der Digital Assets kaufen. Gemäss den Vorgaben im Wertpapierprospekt wird in verschiedene Digital Assets investiert, z. B. in Bitcoin. Durch die International Securities Identification Number (ISIN), die jedes Wertpapier erhält, kann es wie jedes andere Wertpapier auch grundsätzlich bei den meisten Banken im Depot abgebildet werden und der Investor benötigt kein Vorwissen im Umgang mit Digital Assets (z. B. zur sicheren Verwahrung des Private Keys, zum Auslösen einer Blockchain-Transaktion etc.). In den letzten Jahren haben auf diese Weise verbriefte Digital Assets stark an Beliebtheit gewonnen und klassische Finanzinstitute (z. B. Leonteq in der Schweiz[10]) sowie auch Blockchain-Unternehmen (z. B. die Österreichische Krypto-Börse Bitpanda[11]) bieten diese an. Für ein solches Angebot sind diese Unternehmen auf Asset-Servicing-Dienstleistungen wie die Verwahrung der Assets oder die Berechnung des Handelswertes angewiesen. Diese Tätigkeiten stammen aus dem klassischen Wertpapiergeschäft. Wird das Angebot an investierbaren Digital Assets um DeFi erweitert, bieten sich für Emittenten neue Produktopportunitäten an, z. B. ein Wertpapier, welches an den Geschäftsmodellen von DeFi-Applikationen partizipiert. Das Finanzinstitut übernimmt die Verwahrung der Digital Assets und bewirtschaftet diese aktiv (siehe Chance «Partizipation an DeFi-Geschäftsmodellen» für Details). Hierbei sollte man sich als Investor aber bewusst sein, dass bei einem ETP im Gegensatz zu einer Direktinvestition ein zusätzliches Gegenparteirisiko entsteht, da eine zusätzliche juristische Person, beispielsweise in Form eines Special Purpose Vehicles (SPVs) oder Funds, involviert ist. Im Sinne einer effizienten Umsetzung stellt sich dann zusätzlich auch die Frage, wie viele solcher Produkte im Markt existieren müssen und ob die Umsetzung bei spezialisierten Dienstleistern oder bei den Banken selbst liegen soll.

Chancen – ein erstes Fazit

Unabhängig von der verfolgten Opportunität wird auf jeden Fall eine zukunftsorientierte Positionierung des Finanzinstitutes erreicht. Insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Regulierung von Digital Assets verfügen Finanzinstitute durch die eigene Lizenz über geeignete Fähigkeiten zur Abbildung von neuen Regulierungen. Von Anlegerseite kann dadurch von einem Vertrauensvorschuss gesprochen werden, dass der Umgang mit Digital Assets und insbesondere mit DeFi-Applikationen professionell und im Einklang mit relevanten Regulatorien erfolgt. Die aktuellen Entwicklungen in Richtung Web 3.0[12] begünstigen Unternehmen, welche sich frühzeitig mit möglichen Auswirkungen auf ihr Geschäftsmodell auseinandersetzen. Im Kontext von Digital Assets und DeFi kann davon ausgegangen werden, dass Transaktionen in einem Web-3.0-Kontext vorwiegend dezentral mittels Digital Assets erfolgen werden[13]. Folglich ist die Rolle von zentralen Finanzinstituten als Transaktionsabwickler definitiv neu zu denken.  

Es stellt sich nun die Frage, warum diese Opportunitäten für Finanzinstitute nicht bereits umfassend ausgeschöpft werden. Wie bei den meisten Anlagen mit einer vielversprechenden Rendite sind auch im Umgang mit DeFi-Applikationen Herausforderungen vorhanden, welche noch nicht umfassend gelöst sind.

Herausforderungen

Aktuell bestehen unterschiedliche Herausforderungen bei der Erschliessung von Ertragsquellen im Kontext von DeFi-Applikationen. Die Grundlegendste ist hierbei das Disruptionspotenzial von DeFi für die bestehende, auf zentralen Intermediären aufgebaute Finanzindustrie. Ein weiterer Punkt ist die vorwiegend unregulierte Natur von DeFi-Applikationen, welche besonders beaufsichtigte Institute vor Herausforderungen stellt.

Disruption des eigenen Geschäftsmodelles durch DeFi

Decentralized Finance wird zugetraut, die bestehenden Geschäftsmodelle von zentralen Intermediären wie Brokern, Banken oder Börsen ablösen zu können[14]. Durch die automatisierte Abwicklung von komplexen Transaktionen mittels Smart Contracts werden bestehende Strukturen in der Finanzindustrie in Frage gestellt und dem Konzept nach potenziell überflüssig. Durch die Verwendung Blockchain-basierter Smart Contracts kann bei Finanztransaktionen ein vergleichbares Vertrauensniveau bei gleichzeitig gesteigerter Abwicklungsgeschwindigkeit ohne Beteiligung von zentralen Intermediären erreicht werden. Durch den Wegfall von Intermediären kann davon ausgegangen werden, dass DeFi-Transaktionen kostengünstiger sowie effizienter durchgeführt werden können. Die steigende Adaption von Digital Assets in der breiten Bevölkerung sowie globale Trends wie Web 3.0 dienen als zusätzliche Katalysatoren für die Verbreitung von DeFi-Applikationen. Folglich sind etablierte Geschäftsmodelle unter Miteinbezug von mehreren zentralen Intermediären durch die weitere Verbreitung von DeFi-Applikationen in der Tat in Frage gestellt.

Durch die Auseinandersetzung mit DeFi-Applikationen können Banken das Disruptionspotenzial für das eigene Geschäftsmodell frühzeitig abschätzen und Massnahmen ableiten. Erste Massnahmen beinhalten den Knowhow-Aufbau, die Identifikation von Effizienz- und Effektivitätspotentialen in der eigenen Leistungserbringung oder die strukturierte Auseinandersetzung mit Marktentwicklungen in Zusammenarbeit mit relevanten Marktteilnehmern aus der Blockchain-/DeFi-Industrie. Mögliche Positionierungsfelder von Banken beinhalten die Verwahrung von Digital Assets (inkl. DeFi) oder die Rolle als vertrauenswürdiger Intermediär an der Schnittstelle zu DeFi-Geschäftsmodellen (z. B. beim Wechsel von Fiat in Digital Assets und vice versa). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Banken sich als aktive Gestalter im Bereich DeFi positionieren und Teil des Wandels sein können.

Knowhow & Fähigkeiten im Umgang mit DeFi

Für den Umgang mit Digital Assets in einem regulierten Kontext sind verschiedene Fähigkeiten & Knowhow in unterschiedlichen Fachbereichen eines Finanzinstitutes notwendig. Angefangen im Fachbereich Compliance bei der Durchführung und Bewertung der Ergebnisse einer On-Chain-Due-Diligence (OCDD) über ein erweitertes Risk Management Framework, das die Risiken von DeFi-Transaktionen und ihre Auswirkungen auf die übrige Geschäftstätigkeit identifiziert und beschreibt, bis hin zur technischen Verwahrung von Digital Assets. Insbesondere die OCDD ist aus einer Compliance-Sicht äusserst relevant für Banken, da vergleichbare Compliance-Standards, wie sie bei Fiat-Transaktionen angewendet werden, auch bei Blockchain-Transaktionen einzuhalten sind. Bei der OCDD wird die Transaktionshistorie der betroffenen Digital Assets geprüft, insbesondere über welche Wallets diese spezifischen Digital Assets in der Vergangenheit transferiert wurden. Durch die hohe Transparenz einer öffentlichen Blockchain lassen sich Transaktionen auf der Blockchain bis hin zum ersten erschaffenen Block zurückverfolgen.

Im Fall von DeFi kommen weitere notwendigen Fähigkeiten hinzu, zum Beispiel das Verständnis von DeFi-Geschäftsmodellen, die Bewertung von einzelnen Protokollen oder die Einschätzung der Qualität von Smart Contracts. Da vermehrt Finanzinstitute sich mit dem Thema Digital Assets auseinandersetzen und solche Fähigkeiten im Arbeitsmarkt gesucht sind, kann die Rekrutierung von Spezialisten herausfordernd und kostspielig sein.

Infrastruktur

Ein wichtiger Bestandteil eines Digital-Assets- bzw. Decentralized-Finance-Angebots ist die sichere Verwahrung von Private Keys für den Zugriff auf die Digital Assets. Insbesondere in einem institutionellen Rahmen sollte diesem Thema ein grosses Gewicht beigemessen werden, da tendenziell hohe Beträge verwahrt werden, und zwar oftmals für Dritte.

Zu Beginn wurde der Private Key zur Verwahrung von Digital Assets oftmals als Paper Wallet verwahrt, also der Private Key auf ein physisches Stück Papier geschrieben und dieses sicher aufbewahrt. Mit der zunehmenden Adaption von Digital Assets haben sich professionelle Verwahrlösungen für unterschiedliche Anwendungsfälle etabliert. Abhängig von Kundenbedürfnissen oder operativen Überlegungen bieten institutionelle Verwahrlösungen die Aufteilung des Private Keys in mehrere Bestandteile («Multi-Signature»), kundenindividuell zurechenbare Wallets («Segregated Wallets») oder integrierte OCDD-Prüfungen an. Darüber hinaus bieten sie Schnittstellen zu klassischen Systemen, Versicherungsschutz oder Zertifizierung durch Dritte.

Die Technologie sowie die Infrastruktur sind mittlerweile verfügbar, jedoch bleibt die Implementierung in Legacy-Systeme von Finanzinstituten eine Herausforderung. Beispielhaft sind unterschiedliche Handelszeiten im Kernbankensystem (KBS) und den durchgehend offenen Handelsplätzen für Digital Assets (sowohl zentrale Krypto-Börsen als auch DEX) oder die Reconciliation zwischen verbuchten Beständen im Kernbankensystem und der Blockchain zu nennen. Insbesondere die unterschiedlichen Handelszeiten zwischen den rund um die Uhr verfügbaren Krypto-Börsen und den Verbuchungsmöglichkeiten im Kernbankensystem stellen eine operative Herausforderung dar. Häufig sind Buchungen im Kernbankensystem nicht rund um die Uhr möglich, da im Rahmen der Tagesendverarbeitung das KBS eine gewisse Zeit nicht zur Verfügung steht. Das gleiche gilt für Handelsabteilungen, welche sich an den Handelszeiten im klassischen Wertpapiergeschäft orientieren und an Wochenenden sowie Feiertagen üblicherweise nicht besetzt sind. Somit ist es Anlegern während dieser Zeiten nicht möglich, auf Marktbewegungen zu reagieren und von diesen zu profitieren bzw. das eigene Risiko zu reduzieren.

Regulierung

Die Anzahl an Regulierungen, die sich mit Digital Assets befassen, hat in den letzten Jahren stetig zugenommen, z. B. mit den verschiedenen Gesetzesanpassungen rund um das Thema Distributed-Ledger-Technologie sowie der Einführung der Registerwerterechte in der Schweiz, der Erweiterung des Geltungsbereiches der Travel Rule auf Digital Assets oder dem Gesetz zu Token & Vertrauenswürdigen Technologien (TVTG) in Liechtenstein. Weitere Regulierungen sind absehbar wie zum Beispiel die Markets in Crypto Assets (MiCA; Rahmenbedingungen für die gesamthafte Regulierung von DLT-basierten Werten wie Stablecoins oder Digital Assets sowie der damit verbundenen Dienstleistungen wie der Verwahrung von Private Keys) in der EU. Der Bereich DeFi ist hierbei oftmals ebenso betroffen, doch in einem anderen Ausmass als «klassische» Digital Assets wie Bitcoin. Es ist zu beobachten, dass oftmals herkömmliche Regulierungskonzepte aus etablierten Industrien auf die relativ junge Assetklasse Digital Assets angewendet werden. Für ein Finanzinstitut, das einen Zugang zu Digital Assets anbietet (auch Virtual Asset Service Provider (VASP) genannt) sind diese operativ effizienter bei Bitcoin umzusetzen als bei DeFi-Applikationen. Dies ist hauptsächlich auf die dezentrale Natur von auf Smart Contracts basierenden DeFi-Applikationen zurückzuführen. Im Gegensatz zum Handel mit Digital Assets wie Bitcoin oder Ethereum an zentralisierteren Krypto-Börsen, findet der Handel im DeFi-Bereich über Decentralized Exchanges automatisiert und via Smart Contract statt. Es besteht in diesem Sinne keine zentrale Gegenpartei, welche mittels Regulierung effizient angesprochen werden kann (z. B. im Falle einer zentralisierteren Krypto-Börse die Betreiber der Krypto-Börse).

Eine weitere zentrale Frage ist, wie das Gegenüber und letztlich der so genannte Verfügungsberechtigte oder Beneficial Owner (BO) im DeFi-Bereich zu beurteilen ist. Durch die Peer-2-Peer-Natur mit einem zwischengeschalteten Smart Contract, welcher seinerseits keine formal juristische Person darstellt, ist es bei aktuellen DeFi-Applikationen fast unmöglich, die «effektive» Gegenpartei bei einem Handel bzw. bei der Kreditgewährung, zu identifizieren. Finanzinstitute haben grundsätzlich die Auflage, bei einer Transaktion den oder die Empfänger vor der Ausführung zu prüfen oder nur mit zugelassenen Gegenparteien zu handeln, zum Beispiel um Sanktionsbestimmungen einzuhalten oder Verstösse gegen Geldwäschereivorschriften zu verhindern.  

Die Blockchain-Industrie hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt, insbesondere was die Lösung von Herausforderungen und die Entstehung neuer Geschäftsmodelle betrifft. Nachfolgend werden anhand von ausgewählten Anwendungsfällen erste Ansätze aufgezeigt, welche den Zugang zu Decentralized Finance für regulierte Institute ermöglichen.

Ausgewählte Anwendungsfälle

Whitelisting für DeFi-Zugang

Der US-amerikanische Anbieter für institutionelle Verwahrlösungen Fireblocks entwickelte zusammen mit dem Lending-Protokoll Aave das Produkt Aave Arc und bietet identifizierten Handelsparteien den Zugang zu einem DeFi-Lending-Pool. Fireblocks steuert die technische Infrastruktur für den Zugang, die Verwahrung von Digital Assets und das Onboarding der Handelsparteien bei. Kunden von Fireblocks, welche diesen Service nutzen möchten, müssen einen Know-Your-Client-Prozess durchlaufen, bevor der Zugang zum Lending Pool freigeschaltet wird. Dieser Vorgang wird auch als «Whitelisting» bezeichnet, das kann man sich als eine regulatorisch konforme Variante einer Gästeliste vorstellen. Aave Arc bringt hierbei die DeFi-Applikation sowie Technologie ein.

Den whitegelisteten Nutzern von Aave Arc bieten sich die gleichen Funktionalitäten wie bei der offenen Aave DeFi-Applikation und sie können als Lender (Kapitalgeber), Borrower (Kreditnehmer) oder Liquidator (Sicherstellung der Kapitalrückzahlung im Falle eines Kreditausfalls) agieren[15].

Abbildung 1: Funktionsweise von Fireblocks & Aave Arc[16]

Mit Aave Arc werden gleich verschiedene Herausforderungen im Kontext von DeFi für Finanzinstitute gelöst, zum einen ist die Gegenpartei im Lending Pool identifiziert und zum anderen entspricht die Infrastruktur institutionellen Anforderungen an Technik (z. B. externe, unabhängige Zertifizierung der Infrastruktur und Prozesse oder geeignete Schnittstellen zur Verbindung mit bestehender interner IT-Struktur) oder Integrationstiefe in bestehende Systeme. Konsequenterweise muss man bei einer solchen Lösung infrage stellen, inwiefern dies wirklich eine dezentrale Lösung ist und wie sich die zu erwirtschaftenden Renditen im Verhältnis zum Risiko verhalten sowie welchen Einfluss ein solches Whitelisting auf die Liquidität haben kann.

Verbriefung von Liquidity Provider Token (LPT) als Wertpapier

Einen anderen Weg für den Zugang zu DeFi-Assets hat die Schweizer Bank Sygnum gewählt und verschiedene LPT in Form eines Wertpapieres verbrieft. Aus einer Anlegerperspektive werden verschiedene Herausforderungen adressiert, zum Beispiel stellt die Bank- & Wertpapierhaus-Lizenz sicher, dass relevante Regulatorien eingehalten werden. Die Verbriefung der DeFi-Token als Wertpapier baut auf einer bestehenden, anerkannten und breit verwendeten Infrastruktur auf (inklusive ISIN) und steigert somit die Zugänglichkeit des Produktes. Als Custodian für die DeFi-Token werden die Blockchain-relevanten Transaktionen durch Sygnum übernommen, somit reduzieren sich das operative Risiko sowie der Aufwand für den Anleger weiter. Handkehrum bedeutet die Verbriefung von LPT, dass eine direkte Partizipation an Geschäftsmodellen von DeFi-Applikationen, zum Beispiel Yield Farming oder Liquidity Mining, nicht möglich ist.

Für die Sygnum Bank bedeutet dieses neue DeFi-Produkt den Ausbau des eigenen Anlageuniversums sowie die Positionierung als Pionierin im Umgang mit DeFi-Token in einem regulierten Umfeld.

Verwendung einer DeFi-Applikation zur Ausweitung des eigenen Geschäftsmodelles

Der in der Schweiz beheimatete Broker Bitcoin Suisse hat im April 2022 ein Produkt lanciert, welches es ausgewählten Kunden ermöglicht, Blockchain-basierte Kredite der DeFi-Applikation Liquity zu beziehen[17]. Kunden von Bitcoin Suisse können ihre durch den Broker verwahrten Ethereum im Liquity-Smart-Contract hinterlegen und erhalten hierfür den Token LUSD, einen Stablecoin, der an den Dollar gekoppelt ist. Der Token kann im Anschluss in eine gesetzliche Währung getauscht werden, z. B. CHF. Das Minting des LUSD erfolgt automatisiert ohne Beteiligung eines Intermediärs durch den Smart Contract. Für Anleger fallen neben den Transaktionsgebühren auf der Blockchain, einer einmaligen Startgebühr für die Nutzung des Smart Contracts und der Minting-Gebühr für die LUSD grundsätzlich keine weiteren Gebühren an. Für den Anleger übernimmt der Broker das Handling der Digital Assets auf der Blockchain, die Transaktion an den Smart Contract sowie einen allenfalls gewünschten Wechsel der LUSD. Faktisch bietet der Broker seinen Kunden eine Möglichkeit, die verwahrten Digital Assets als Sicherheit für Liquidität zu verwenden, vergleichbar mit einem klassischen Lombardkredit.

Zusammenfassung & Ausblick

Der Bereich Decentralized Finance bietet für Finanzinstitute mit einem grundlegenden Angebot an Digital Assets mehrere Opportunitäten zur Ausweitung der eigenen Leistungserbringung sowie zur Schaffung einer vielversprechenden Ausgangslage für die Partizipation an den Ertragsmöglichkeiten aus Digital Assets und aus Geschäftsmodellen, die sich künftig noch entwickeln werden. Herausforderungen für Finanzinstitute, wie z. B. eine geeignete Infrastruktur für die Anbindung an bestehende Systeme oder der Zugang zu DeFi-Pools mit verifizierten Gegenparteien, werden graduell durch einzelne Lösungen adressiert, doch noch nicht umfassend gelöst. Für die DeFi-Industrie bietet die Adaption durch Finanzinstitute eine grosse Chance auf die Verbreiterung des Anwenderkreises, den Zugang zu neuer Liquidität sowie einen zentralen Ansprechpartner für traditionelle Investorenkreise. Die ausgewählten Anwendungsbeispiele zeigen auf, wie lizenzierte Finanzinstitute und Blockchain-Unternehmen beginnen können, die Möglichkeiten von DeFi zu nutzen und an der Entwicklung dieser Subkategorie von Digital Assets zu partizipieren.

Die grösste Herausforderung kann jedes Finanzinstitut selbst in die Hand nehmen und sich mit den Auswirkungen von DeFi auf sein jeweiliges Geschäftsmodell sowie dem eigenen Verständnis als Intermediär strukturiert auseinandersetzen. Insbesondere das Eigenbild als Intermediär und Gatekeeper in die traditionelle Finanzwelt ist zu hinterfragen und vermehrt in Richtung als Kooperationspartner für Kunden zu denken, z. B. kann eine Bank in Zukunft einen Teil des Private Keys des Kunden verwahren und ihre Stärken als vertrauenswürdiger sowie sicherer Verwahrer von Wertgegenständen in den Kontext von Digital Assets ausdehnen.

Im dritten und vorläufig letzten Teil der Artikelserie wird die neue Generation von DeFi-Applikationen im Fokus stehen, insbesondere die auf einer bestehenden Blockchain aufbauenden sogenannten Layer-2-Lösungen, und wie diese in Kombination mit neuen Blockchain-basierten Services die Entwicklung von DeFi weiter gestalten möchten.


[1] Geschäftsentwicklung 2021 (BVR, 2022); Abgerufen am 27.4.2022, von https://www.bvr.de/p.nsf/0/95D06543CBF99032C1257D0A0051A812/$file/Gesch%C3%A4ftsentwicklung2021.pdf

[2] Volksbanken entwickeln Prototypen für Krypto-Angebot – Sparkassenpräsident bleibt skeptisch (Finanzen.net, 2022); Abgerufen am 27.4.2022, von https://www.finanzen.net/nachricht/devisen/jahrespressekonferenz-volksbanken-entwickeln-prototypen-fuer-krypto-angebot-sparkassenpraesident-bleibt-skeptisch-11186303

[3] Der Begriff Bluechip bezeichnet im traditionellen Finanzgeschäft Unternehmen und Aktien, die über einen längeren Zeitraum stabil an Wert gewonnen haben und als sicher gelten. Angespielt wird auf die blauen Pokerchips, die zur Zeit der Übernahme des Begriffs in die Finanzwelt die wertvollsten Chips des Spiels waren; Ask CryptoVantage: What Are Considered “Blue-Chip” Cryptos? (CryptoVantage, 2022); abgerufen am 25.05.2022, von https://www.cryptovantage.com/news/ask-cryptovantage-what-are-considered-blue-chip-cryptos/   

[4] Was es mit Staking auf sich hat, könnt Ihr im Blogbeitrag «Dezentralisierung und Skalierbarkeit – zukunftsweisende Lösungen für Bitcoin und andere Blockchain-Systeme» von Colin Halblützel unter der Überschrift «Konsensmechanismus» nachlesen.

[5] Wer sich in das Thema Governance-Token stärker einlesen möchte, findet mehr dazu unter: What are Governance Tokens? How Token Owners Shape a DAO’s Direction (decrypt, 2022) ; Abgerufen am 2.6.2022, von https://decrypt.co/resources/what-are-governance-tokens-how-token-owners-shape-dao

[6] Crypto Lending Interest Rates for April 2022 (DeFi Rate, 2022); Abgerufen am 27.4.2022, von https://defirate.com/lend/

[7] What is Yield Farming? (Blockworks, 2022); Abgerufen am 28.4.2022, von https://blockworks.co/what-is-yield-farming-what-you-need-to-know/#:~:text=Yield%20farming%20is%20the%20process,can%20employ%20more%20complex%20tactics.

[8] Minting bezeichnet die Schaffung von neuen Token basierend auf einem vorher festgelegten Input. Dies ist ein typischer Mechanismus bei Digital Assets, welche an einen bestimmten Wert gekoppelt sind (z. B. Stablecoins). Bei einer Rückzahlung der geminteten Token werden diese üblicherweise vernichtet.

[9] Digital Asset Trading 2021 (EUREX, 2021); Abgerufen am 28.4.2022, von https://www.eurex.com/resource/blob/2872736/38c6dd474131994bfe2b45e7e76a0a45/data/20211208_crypto-survey-report.pdf

[10] Leonteq.com (Leonteq, 2021); Abgerufen am 28.4.2022, von https://structuredproducts-ch.leonteq.com/news/all/crypto-expansion

[11] Bitpanda.com (Bitpanda, 2022); Abgerufen am 27.4.2022, von https://www.bitpanda.com/de/crypto-trackers#ourproducts

[12] Beispielsweise: Web3 and DAOs – the next hype? (Schaefer, 2021); Abgerufen am 2.6.2022, von https://ccecosystems.news/web3-and-daos-the-next-hype/

[13] What is Web 3.0: A beginner’s guide to the decentralized internet of the future (Cointelegraph, 2021); Abgerufen am 28.4.2022, von https://cointelegraph.com/blockchain-for-beginners/what-is-web-3-0-a-beginners-guide-to-the-decentralized-internet-of-the-future

[14] Disruption der Finanzmärkt durch Blockchain, Tokenisierung und DeFi (the market, 2021); Abgerufen am 28.4.2022, von https://themarket.ch/meinung/disruption-der-finanzmaerkte-durch-blockchain-tokenisierung-und-defi-ld.4732

[15] Permissoned DeFi goes live with Aave Arc + Fireblocks (Fireblocks, 2022); Abgerufen am 28.4.2022, von https://www.fireblocks.com/blog/permissioned-defi-goes-live-with-aave-arc-fireblocks/#:~:text=Fireblocks%20is%20the%20first%20trusted,3.

[16] Fireblocks.com (Fireblocks, 2022); Abgerufen am 29.4.2022, von https://www.fireblocks.com/blog/permissioned-defi-goes-live-with-aave-arc-fireblocks/#:~:text=Fireblocks%20is%20the%20first%20trusted,3.

[17] https://www.bitcoinsuisse.com/de/news/bitcoin-suisse-lanciert-defi-angebot-das-kunden-zugang-zu-blockchain-basierten-krediten-bietet

Dominik Jocham
Markus Abbassi
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