Was steckt hinter dem Begriff «Decentralized Finance»?
Dieser Beitrag ist der Auftakt einer dreiteiligen Serie zum Thema «Decentralized Finance – Hype, Bedrohung oder Chance für regulierte Finanzinstitute?»
Decentralized Finance (DeFi) ist spätestens seit dem DeFi-Sommer 2020 einer der dominierenden Trends im Bereich Digital Assets[1]. Seit dem Sommer 2020 hat sich der Blick der Digital-Assets-Community hin zu den Möglichkeiten eines dezentralen Finanz-Ecosystems gewendet, DeFi-Anwendungen haben grossen Zulauf erhalten und die Kurse von entsprechenden Token haben sich vervielfacht. Warum wird DeFi ein so grosses Potential zugerechnet und was bedeutet dies für regulierte Finanzinstitute? Diese und weitere Fragestellungen werde ich in den nächsten drei Blogposts skizzieren, unterschiedliche Betrachtungswinkel aufzeigen sowie einen Ausblick auf die Chancen für regulierte Finanzinstitute im Kontext von DeFi geben. Als Einstieg werden in diesem Blogpost die Funktionsweisen von DeFi-Anwendungen skizziert, ausgewählte Anwendungsfälle vorgestellt sowie Chancen und Risiken in diesem Kontext aufgezeigt.
Unter dem Begriff DeFi wird eine dezentrale, Blockchain-basierte Architektur zur Abwicklung von Finanzgeschäften verstanden, welche ohne zentrale Intermediäre funktioniert[2]. Als Finanzgeschäfte werden in diesem Kontext u. a. die Kreditvergabe, der Handel auf dezentralen Börsen (DEX), Automated Asset Management (AAM) oder dezentrale Versicherungsleistungen verstanden[3]. Diese sind vergleichbar mit klassischen Finanzgeschäften, welche bisher nur unter Einbezug von Intermediären wie Banken, zentralisierten Börsen oder lizenzierten Asset Managern zugänglich sind sowie abgewickelt werden können (Centralized Finance, CeFi). DeFi-Anwendungen stehen hingegen allen offen, welche über ein Wallet mit den jeweiligen Digital Assets verfügen. Folglich wird der Grossteil von Finanztransaktionen in DeFi-Anwendungen direkt Peer-2-Peer (P2P), also von Endnutzer zu Endnutzer, abgewickelt. Folgende Skizze verdeutlicht die Unterschiede zwischen DeFi und CeFi:
Die Intermediäre im traditionellen Finanzgeschäft sorgen zwar für Ineffizienzen bei der Transaktionsausführung, schaffen aber dadurch, dass sie eine Lizenz erwerben müssen und damit verbunden staatlich überwacht werden, auch Sicherheit und Vertrauen. Dies führt konsequenterweise zur Frage, wie DeFi-Anwendungen ohne zentrale Intermediäre ein vergleichbares Vertrauensniveau sicherstellen können.
Vertrauensbildung durch Blockchain-basierte Smart Contracts
Für die Vertrauensbildung im Kontext von DeFi spielt der Einsatz der Blockchain-Technologie sowie die Verlagerung der Verantwortung für die Assets hin zum Investor eine grosse Rolle.
Die Blockchain-Technologie stellt eine grundlegende Transparenz sowie die grundsätzliche Manipulationssicherheit von Transaktionen sicher. Folglich stellt der Einsatz einer Blockchain eine starke vertrauensbildende Massnahme dar. Dies allein ist jedoch nicht ausreichend, um Intermediäre komplett zu ersetzen, da die reine Blockchain-Infrastruktur die Vermittlung von Angebot und Nachfrage nicht übernimmt. An die Stelle von Intermediären treten digitale, programmierbare Verträge, sogenannte Smart Contracts, welche basierend auf einem vorbestimmten Input eine vordefinierte Aktion ausführen (z. B. eine Transaktion von Digital Assets). Blockchain-basierte Smart Contracts (SC) sind essenzielle Bestandteile jeder DeFi-Anwendung. Durch sie wird die indirekte Interaktion zwischen Nutzern einer DeFi-App erst möglich (z. B. Borrower & Lender im Falle einer dezentralen Kreditvergabe), ohne einen Intermediär für die verlässliche Abwicklung der Transaktion miteinzubeziehen. Im Folgenden werden am Beispiel der dezentralen Kreditvergabe für den Arbitragehandel die Abläufe einer DeFi-Transaktion mittels Smart Contract skizziert:
Da es keine Sicherheit gibt, dass der Borrower den Kredit zurückbezahlt, muss die zu hinterlegende Sicherheit höher als der Kreditbetrag sein. Hierbei spricht man von einem Over-Collaterized Loan (einem überbesicherten Kredit)[4], welcher im Falle eines Zahlungsausfalles des Borrowers für die Tilgung der Schuld sowie der entsprechenden Gebühren der DeFi-Applikation verwendet wird.
Der Smart Contract bildet den zentralen Bestandteil der DeFi-App, indem er die Rolle einer vertrauenswürdigen Instanz einnimmt. Basierend auf den festgelegten Parametern, wie z. B. Höhe des Collaterals, Zinskurve, Angebot & Nachfrage oder involvierte Digital Assets, wird der SC unter gleichen Bedingungen immer gleich ausgeführt. Für komplexere Anwendungsfälle werden verschiedenen SC kombiniert und bauen aufeinander auf.
Ein Smart Contract erhält Informationen & Daten sowohl von anderen Blockchain-Anwendungen (on-chain) als auch von nicht-Blockchain-basierten Anwendungen (off-chain). Bei off-chain-Daten besteht die Herausforderung, sicherzustellen, dass der Datenprovider in ehrbarem Sinne handelt und dem Smart Contract keine falschen Daten zur Verfügung stellt. Eine Off-Chain-Datenquelle für eine Blockchain-basierte Anwendung wird Oracle genannt und kann z. B. Fiat-Preise für das Digital Asset oder auch Wetterdaten bereitstellen. Smart Contracts sind auf diese Daten angewiesen, um die Verbindung zwischen der Blockchain und der physischen Welt herzustellen. Auch im obigen Beispiel (siehe Abbildung 2) benötigt der Smart Contract Daten von einem Oracle: In Schritt 2 erhält der Lender für das zur Verfügung gestellte Kapital einen Reward in Form eines DeFi-Tokens. Die Höhe des Rewards ist abhängig vom aktuellen Marktwert des einbezahlten Digital Assets; die Information über den Marktwert muss hier von einem Oracle bezogen werden.
Eine Lösung bietet z. B. das Chainlink-Protokoll, welches die Brücke zwischen der On- & Off-Chain schlägt. Via Application Programming Interface (API-Schnittstelle) können Daten für die Anwendungen auf der Blockchain via Oracles zur Verfügung gestellt sowie von Blockchain-Anwendungen bezogen werden. Die Datenprovider werden bei Chainlink durch verschiedene technische und ökonomische Massnahmen zu korrektem Verhalten angehalten, z. B. betreiben die Datenprovider eine Node, staken den Protokoll-Token LINK[5] und erhalten Erträge in LINK ausbezahlt. Je mehr LINK-Token gestaked werden, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Node als Datenquelle ausgewählt und somit vom anfragenden Smart Contract in LINK bezahlt wird. Sollten die Daten unkorrekt sein, können die Node-Betreiber gestakte Token verlieren[6].
Ausgewählte Anwendungsfälle von Decentralized Finance
Das DeFi-Beispiel «Borrowing & Lending» ist ein Anwendungsfall, welcher mittels Smart Contracts P2P-Finangeschäfte ermöglicht. Beispielhaft sind im Folgenden zwei weitere Anwendungsfälle für DeFi-Anwendungen aufgeführt:
Decentralized Exchanges (DEX)
Dezentrale Börsen übernehmen die Rolle von zentralen Börsen, z. B. der SIX in Zürich oder der London Stock Exchange, in dem sie Kauf- und Verkaufsaufträge automatisiert matchen. Sie bieten Liquidity-Providern, Käufern sowie Verkäufern von Digital Assets einen dezentralen Liquidity Pool. Die Liquidität für den Handel wird hierbei von den Liquidity-Providern gestellt, jenen Teilnehmern, welche ein Handelspaar im Liquidity Pool zur Verfügung stellen. In einem Liquidity Pool für z. B. ETH/DAI würde ein Liquidity-Provider dem entsprechenden Smart Contract ETH und DAI überweisen, und zwar in einem Verhältnis, das dem momentanen Marktwert dieses Handelspaares entspricht. Handelsaufträge werden dann mit der im Liquidity Pool vorhandenen Liquidität ausgeführt. Die Handelspreise werden basierend auf der Liquidität des Handelspaares im Liquidity Pool von speziellen Smart Contracts festgesetzt, den sogenannten Automated-Market-Makern. Bei zentralen Börsen erfolgt dies unter Berücksichtigung von Angebot & Nachfrage auf dem Handelsplatz. Ein AMM-Algorithmus dagegen berechnet den Kurs eines Assets, indem er die Mengen der beiden Assets eines Handelspaares in Relation zueinander setzt und somit die Nachfrage nach einem Asset abbildet. Wird bei einem Handel zum Beispiel die Menge an ETH im Liquidity Pool reduziert und die Menge an DAI erhöht, wird auf Basis der dem Algorithmus zugrundeliegenden mathematischen Formel der relative Preis von ETH erhöht und der von DAI reduziert. Durch die dezentrale Natur von DeFi und den P2P-Ansatz können alle Teilnehmenden als Liquidity Provider agieren und einen eigenen Liquidity Pool erstellen. Eine Alternative zu AMM sind on- oder off-chain-Orderbücher, vergleichbar mit klassischen zentralen Börsen. Es ist jedoch zu beobachten, dass AMM vermehrt zentralere Orderbücher an DEX ersetzen.
Vorteile von DEX sind unter anderem, dass der Trade mittels Atomic Swap zwischen den Parteien erfolgt, die gehandelten Assets also zeitgleich getauscht werden. Somit ist das Gegenparteirisiko, das Risiko, dass eine Partei ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, sehr stark reduziert. Ein weiterer Vorteil ist, dass Digital Assets bis zum effektiven Trade im Besitz des Käufers bzw. Verkäufers bleiben (im Gegensatz zu klassischen und/oder zentralen Börsen, welche die Einlieferung des zu handelnden Assets vor dem Trade verlangen und somit bereits vor dem Handel die direkte Kontrolle über das Asset an einen Intermediär abgetreten wird).
Automated Asset Management
DeFi-Anwendungen nutzen Smart Contracts zur Abwicklung von Finanztransaktionen mit Digital Assets. Borrowing bzw. Lending und Handel auf einer DEX sind isolierte Anwendungsfälle auf bestimmten DeFi-Applikationen. Möchte ein Token-Halter aber verschiedene Protokolle und/oder verschiedene DeFi-Anwendungsfälle nutzen, kann sich der Einsatz von Automated Asset Management (AAM) lohnen. AAM sind DeFi-Anwendungen, welche bestimmte Anlagestrategien verfolgen, vergleichbar vom Prinzip wie in der klassischen Welt. Es gibt unterschiedliche Strategien und Schwerpunkte, z. B. Yield (Zins), Borrowing / Lending (Kreditvergabe), Liquidity Providing (DEX) oder Staking (Sicherstellung des Konsensmechanismus einer Blockchain). Bekannte Plattformen sind unter anderem Yearn.Finance oder Aave.
Der Investor transferiert Digital Assets (z. B. ETH) an den jeweiligen Smart Contract des Protokolls, welcher beim AAM auch «Vault» genannt wird. Im Gegenzug erhält der Investor einen Token, welcher die transferierten Assets repräsentiert – bei Yearn.Finance wäre dies z. B. das Token yETH. Im Vault werden die Digital Assets gemäss der vordefinierten Strategie mittels entsprechend programmierten Smart Contracts umgesetzt, z. B. transferiert der Vault-SC einen Teil der Assets an eine Lending-Anwendung und erhält hierfür einen Reward in Form des jeweiligen Tokens. Der Investor partizipiert am Ertrag des Vaults, indem der jeweilige Token (in diesem Falle yETH) an Wert gewinnt oder der Investor weitere Token der jeweiligen DeFi-Anwendung erhält; diese zusätzlichen Token können gehandelt werden, ohne den Umfang der investierten Assets zu reduzieren.
Vorteile von AAM sind unter anderem die einfache Zugänglichkeit oder auch die Ertragsmöglichkeiten, welche die klassischer Anlagemöglichkeiten bei Banken um ein Vielfaches übersteigen (für USDC werden z. B. bis zu 7.25 % Rewards[7] ausbezahlt, dies im Gegensatz zu einem Sparkonto bei einer Bank mit aktuell <0.1 % Zins). Auf der anderen Seite ist die Sicherheit der dezentral angelegten Assets von der Qualität der Smart Contracts abhängig und ein fehlerhaft programmierter oder gehackter SC kann einen Gesamtverlust bedeuten.
Das Interesse an DeFI steigt
Das Interesse an Investitionen im Kontext von DeFi ist weiterhin steigend, wie am steigenden Total Value Locked (TVL) beobachtet werden kann. Mit dem TVL wird der Wert der Assets innerhalb von DeFi-Anwendungen bezeichnet, welche als Collateral für Kredite hinterlegt sind. Da Kredite in DeFi-Anwendungen grundsätzlich overcollaterized sein müssen, ist anzunehmen, dass der Betrag, der in Form von Krediten von Kreditnehmen bezogen wurde, etwas niedriger ist. Eine Ausnahme bilden hierbei sogenannte Flashloans, welche innerhalb einer Block-Transaktion komplett abgewickelt werden und kein Collateral benötigen. Sollte der Borrower nicht in der Lage sein, die geliehenen Assets zurückzuzahlen, wird der Flashloan innerhalb des Blocks nicht abgewickelt und die Transaktion hat somit nie stattgefunden. Hauptanwendungsgebiete für Flashloans sind u. a. Arbitragegeschäfte. Seit dem DeFi-Sommer 2020 hat sich der TVL eindrücklich entwickelt und liegt aktuell bei rund USD 229 Milliarden:
DeFi-Anwendungen werden oftmals mittels Governance-Token durch die Community bzw. die Token-Halter gesteuert[8]. Mittels Governance-Token können die Halter Einfluss auf Entscheidungen nehmen, z. B. bei der Priorisierung auf der Entwicklungsroadmap oder bei der Festlegung der Handelsgebühren auf einer DEX. Oftmals entspricht ein Governance-Token einer Stimme, welche bei einer Abstimmung im Kontext der DeFi-Anwendung abgegeben werden kann (der Token bleibt jedoch weiterhin im Besitz des Token-Halters). Governance-Token sind in der Theorie oftmals die einzige Möglichkeit, eine echte Dezentralität der Anwendung sicherzustellen, indem alle Token-Halter pro Token das gleiche Stimmrecht besitzen und keine Person das Protokoll alleine kontrolliert. In der Praxis hingegen kann es vorkommen, dass das Entwicklerteam einen Grossteil der Governance-Token als Incentive für die Arbeit erhält, was wiederum einen negativen Einfluss auf die dezentrale Entscheidungsfindung hat. Auf der anderen Seite bedeutet dies auch, dass oftmals juristisch kein Durchgriff auf eine juristische Person möglich ist.
Vorteile & Risiken von DeFi-Anwendungen
Gegenüber dem klassischen Finanzsystem sind anhand der ausgewählten Beispiele verschiedene Vorteile erkennbar:
- Zugänglichkeit: Jeder Investor mit einem Wallet sowie den entsprechenden Digital Assets kann an DeFi-Anwendungen teilnehmen. Dies führt zu einem inklusiveren Finanzsystem
- Gegenparteirisiko: Durch Atomic Swaps innerhalb eines Smart Contracts wird das Gegenparteirisiko drastisch reduziert und die Sicherheit für alle Parteien erhöht
- Geschwindigkeit & Kontrolle über die Assets: Durch die Verwendung der Blockchain-Technologie und darauf basierender Smart Contracts ist die Abwicklung von Finanzgeschäften deutlich schneller möglich. Im Vergleich zu klassischen Investitionen, welche oftmals erst nach 2-3 Tagen abgewickelt sind, verkürzt sich der Zeitraum auf wenige Minuten. Durch die unmittelbare Kontrolle über die Assets auf dem Wallet via Private Key müssen Nutzer die Assets erst bei einer unmittelbaren Handelsabsicht an die jeweilige DeFi-App transferieren. Im klassischen Aktienhandel müssen die Wertpapiere vor dem Handelsauftrag im Depot des Investors bei der Bank eingebucht sein, er hat also die direkte Kontrolle bereits vor der Handelsabsicht an die Bank abgegeben. Durch fehlende Intermediäre bleiben die Assets im Kontext von DeFi länger in der Verfügungsmacht des Investors
- Ertragsmöglichkeiten: Im Vergleich zu herkömmlichen Anlageformen bieten Investments im Kontext von DeFi neue und aktuell höhere Ertragsmöglichkeiten, z. B. einen Kursgewinn eines Digital Assets oder die Erträge für die Bereitstellung von Assets in einem Liquidity Pool einer DEX. Durch die vergleichsweise tiefere Liquidität auf DeFi-Borrowing/Lending-Applikationen zu klassischen Geldmärkten sind höhere Zinssätze zugunsten der Lender durchsetzbar[9].
- Dezentrale Infrastruktur: Die dezentrale Infrastruktur einer Blockchain sowie einer DeFi-Anwendung verhindert, dass bei einem Hacker-Angriff auf eine zentrale Einheit (z. B. eine zentrale Krypto-Börse) alle Assets auf einmal bedroht sind
Ungeachtet der Vorteile von DeFi-Anwendungen sind die Anwendungsfälle sowie die Technologie noch jung und bergen verschiedene Risiken:
- Regulierung: Regulierte Intermediäre unterstehen gewöhnlich einer Aufsicht, welche die Geschäftstätigkeit prüft. DeFi-Anwendungen sind aktuell von einer Aufsicht ausgenommen und werden von keiner staatlichen Stelle geprüft. Vereinzelt sind jedoch Bestrebungen im Gange, die Geschäftstätigkeit von DeFi-Anwendungen zu regulieren oder gar einzuschränken (z. B. Markets in Crypto Assets in der EU)
- Code is Law: Die korrekte Programmierung des bzw. der Smart Contracts sind ausschlaggebend für die Sicherheit und die korrekte Funktionsweise der DeFi-Anwendung. Sollten Smart Contracts Fehler aufweisen oder Sicherheitslücken haben, kann dies zum Verlust der gesamten Investition führen. Ein Beispiel hierfür ist der DAO-Hack von 2016, bei dem damals ETH im Wert von über USD 60 Millionen gestohlen wurden[10]. Insbesondere im Zusammenhang mit fehlender Regulierung bietet sich oftmals keine Möglichkeit für den Investor, eine Entschädigung zu erhalten. Erste Bestrebungen im DeFi-Sektor sind jedoch vorhanden, Versicherungslösungen für solche Fälle zu schaffen (z. B. Nexus Mutal, welche Verluste auf Grund von fehlerhaften Smart Contracts versichern)
- Verständnis von DeFi: Die Adaptionsrate von Blockchain in der breiten Öffentlichkeit ist im Vergleich zu traditionellen Finanzgeschäften gering. DeFi-Anwendungen stellen innerhalb der Blockchain-Technologie eine Sub-Kategorie mit spezifischen Fachbegriffen, Mechanismen und Eigenheiten dar. Darum kann davon ausgegangen werden, dass das Wissen um die Funktionsweise sowie Vor- und Nachteile von Decentralized Finance zum jetzigen Zeitpunkt weder in der breiten Öffentlichkeit noch bei Behörden vollumfänglich vorhanden ist. Dies kann zu Fehleinschätzungen der eigenen Fähigkeiten und folglich zu einem gesteigerten Verlustrisiko führen
- Sandwich-Attacken: Transaktionen im DeFi-Kontext finden auf einer pseudo-anonymisierten[11], transparenten Blockchain statt. Jede Transaktion ist vor Verankerung in einem Block öffentlich und kann somit eingesehen werden. Die Transaktionen werden grundsätzlich nach der Höhe der Gas-Fee verarbeitet, der Transaktionsgebühr für eine Transaktion auf einer Blockchain, die aus einer fixen Gebühr und einem variablen Betrag besteht, der frei festgelegt werden kann. Wird nun aufgrund der öffentlich einsehbaren Order (Order A) eine zusätzliche Order ausgelöst (Order B), welche die Preisveränderungen durch die Ausführung der Order A antizipiert und vor Order A ausgeführt werden soll, wird von einer Sandwich-Attacke gesprochen[12]. Order B wird durch die höhere Gas-Fee vor Order A verarbeitet, wodurch die Assets aus Order B günstiger gekauft werden als die von Order A (Frontrunning); nach der Ausführung von Order A werden die Assets von Order B zu einem höheren Preis verkauft (Backrunning). Besonders DeFi-DEX sind hierfür anfällig, da AMM Orders kontinuierlich sowie automatisiert durchführen. Technische Lösungen für Sandwich-Attacken werden getestet und entwickelt (z. B. ZK-Snarks für eine erhöhte Privatsphäre im Rahmen von Transaktionen[13])
- Off-Chain-Datenquellen & Oracles: DeFi-Anwendungen basieren auf der skalierbaren und verlässlichen Anwendung von Smart Contracts. Somit kommt Oracles in diesem Kontext eine wichtige Rolle für die korrekte Ausführung der DeFi-Anwendung zu. Um das Risiko von falschen und potenziell schädlichen Daten zu reduzieren, sind entsprechende Massnahmen bei der Gestaltung der Smart Contracts mit zu berücksichtigen, z. B. bezüglich Datenquellen & Oracle-Betreibern
- Vertragssicherheit & Entität: Für die Vertragsdurchsetzung in der klassischen Welt wird üblicherweise auf die hinter dem Vertrag stehende Entität (natürliche und/oder juristische Person) durchgegriffen. Durch die dezentrale Natur von DeFi-Anwendungen und der Entscheidungsfindung mittels Governance-Token ist dies oftmals schwieriger – oder gar unmöglich – als in CeFi, wo eine zentrale, eindeutig identifizierbare Gegenpartei vertraglich haftbar gemacht werden kann
- Unbekannte Gegenpartei: Durch die P2P-Natur von DeFi-Transaktionen sowie dem Poolen von Assets in permissionless DeFi-Anwendungen ist die Gegenpartei vor dem Handel nicht bekannt. Es gibt jedoch bereits Anwendungsfälle, welche mittels permissoned DeFi-Anwendungen diese Herausforderung angehen und nur mittels KYC-identifizierte Investoren zulassen (z. B. Aave Arc)
- Impermanent Loss: Dies bezeichnet den erlittenen Verlust des Liquidity Providers bei einer Preisveränderung des bereitgestellten Assets auf einer DEX. Liquidity Provider haben einen proportionalen Anspruch auf die Assets im Liqudity Pool, basierend auf dem prozentualen Anteil der eingelieferten Assets am Gesamtbestand des Pools zum Zeitpunkt der Einlieferung. Erhöht sich die Nachfrage nach einem Asset im Pool, sinkt dessen Bestand. Beim darauffolgenden Bezug der Assets durch den Liquidity Provider erhält dieser zwar den gleichen prozentualen Anteil am Pool, jedoch kann die Verteilung zwischen beiden Assets von derjenigen der eingelieferten Assets abweichen. Bei Kursveränderungen eines Assets (gewinnt ein Asset z. B. absolut an Wert) kann es für den Provider lukrativer sein, es zu halten und nicht dem Liquidity Pool zur Verfügung zu stellen. Damit es für Assetbesitzer trotzdem attraktiv ist, als Liquidity Provider zu agieren, lassen DeFi-Protokolle ihnen einen Teil der erzielten Handelsgebühren als Ertrag zukommen.
Zusammenfassung & Ausblick
Das Konzept von DeFi sowie die ersten Anwendungsfälle ermöglichen das radikale Neudenken von Finanzgeschäften. Besonders im Hinblick auf die zunehmende Akzeptanz von Digital Assets bei klassischen Finanzinstituten ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese auch in den DeFi-Bereich vorstossen. Gegenwärtig sind verschiedene Faktoren vorhanden, welche ein vergleichbares Sicherheitsniveau wie bei klassischen Finanztranskationen verhindern. Auf der anderen Seite bieten sich für Investoren Ertragschancen, welche in der klassischen Welt sehr schwer replizierbar sind. DeFi-Anwendungen stehen aktuell noch am Anfang ihrer Entwicklung und eine neue Generation von DeFi-Anwendungen ist bereits absehbar, welche die heute bekannten Herausforderungen zu lösen versucht.
Welche Opportunitäten & Herausforderungen sich regulierten Finanzinstituten in diesem Kontext bieten, wird im Mai im nächsten Blogpost zum Thema DeFi diskutiert.
[1] Main blockchain and crypto trends in 2022 – unexpected expectations (Finextra, 2021), abgerufen am 28.3.2022 von https://www.finextra.com/blogposting/21453/main-blockchain-and-crypto-trends-in-2022-unexpected-expectations
[2] Z. B. Decentralized Finance DeFi: An Alternative Financial System? (Morgan Stanley Research, 2022)
[3] Decentralized Finance (Ethereum.org, 2022), abgerufen am 29.3.2022 von https://ethereum.org/en/defi/#what-is-defi
[4] Sicherheiten in DeFi (Bitcoin Suisse, 2021). Abgerufen am 31.3.2022 von https://www.bitcoinsuisse.com/de/research/decrypt/sicherheiten-in-defi
[5] Der Proof-of-Stake ist ein alternativer Konsensmechanismus auf der Blockchain. Wie das Staken funktioniert, könnt Ihr im Blogbeitrag «Dezentralisierung und Skalierbarkeit – zukunftsweisende Lösungen für Bitcoin und andere Blockchain-Systeme» im Abschnitt «Konsensalgorithmus» nachlesen.
[6] Weekly Broker – Chainlink – A decentralized oracle network (Crypto Finance, 2021) ; abgerufen am 15.4.2022, von https://www.cryptofinance.ch/en/weekly-broker-chainlink-a-decentralised-oracle-network/
[7] Crypto Lending Interest Rate April 2022 (DeFi Rate, 2022); abgerufen am 15.4.2022, von https://defirate.com/lend/
[8] What are Governance Tokens? How Token Owners Shape a DAO’s Direction (Decrypt, 2022); Abgerufen am 1. April 2022 von https://decrypt.co/resources/what-are-governance-tokens-how-token-owners-shape-dao
[9] Z. B. Decentralized Finance DeFi: An Alternative Financial System? (Morgan Stanley Research, 2022)
[10] What Was The DAO? (Gemini.com, 2022); Abgerufen am 15.4.2022, von https://www.gemini.com/cryptopedia/the-dao-hack-makerdao
[11] Die Transaktionen sowie Bestände auf Wallets in einer öffentlichen Blockchain sind transparent und von jedem einsehbar. Jedoch sind die Besitzer der Wallets nicht bekannt, darum wird der Begriff «pseudo-anonymisiert» verwendet.
[12] Analyzing and Preventing Sandwich Attacks in Ethereum (Patrick Züst, 2021); Abgerufen am 4.4.2022 von https://pub.tik.ee.ethz.ch/students/2021-FS/BA-2021-07.pdf
[13] ZERO-KNOWLEDGE ROLLUPS (ethereum.org, 2022); Abgerufen am 15.4.2022, von https://ethereum.org/en/developers/docs/scaling/zk-rollups/
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