Forschungsbereich Business Ecosystems: Vorstellung des aktuellen Forschungsprojekts: Konzeptualisierung der Akkumulation von Wert (Value Capture) durch ein Framework

Im Rahmen des Competence Centers Ecosystems des Business Engineering Institute St. Gallen entwickeln wir Lösungen für relevante Problemstellungen aus der Praxis. Hierzu nutzen wir wissenschaftliche Methoden im Rahmen eines Konsortialforschungsprojektes (vgl. Oesterle und Otto, 2010). Im Rahmen dieses Beitrags gebe ich Einblick in das aktuelle Forschungsprojekt im Forschungsbereich Business Ecosystems. Ich entwickle hier ein Framework zur Konzeptualisierung der Akkumulation von Wert (Value Capture). Anders gesagt: Ich versuche darzulegen, was Akteure von Business Ecosystems «haben» und wodurch die Akkumulation beeinflusst wird.

Unternehmen agieren zunehmend nicht mehr allein, wenn sie Services für Endkunden erzeugen. Mehr und mehr agieren Sie in komplexen Netzwerken unterschiedlicher Akteure, die gemeinsam dem Wunsch nach komplex zu erzeugenden Lösungen für Endkunden nachkommen (vgl. Dattée, Alexy und Autio, 2018; Hannah und Eisenhardt, 2018; Autio und Thomas, 2022) .

Eine spezielle Form dieser komplexen Netzwerke wird als Business Ecosystems beschrieben (Moore, 1993; Jacobides, Cennamo and Gawer, 2018). Business Ecosystems bieten die Möglichkeit, dass einzigartige Lösungen erstellt werden können, zu denen kein Akteur allein in der Lage gewesen wäre (Adner, 2006, 2017). Grund hierfür ist, dass die Akteure ihre Fähigkeiten und Ressourcen auf einzigartige Weise kombinieren können.

In der heutigen Zeit wird die Entwicklung dieser Business Ecosystems insbesondere durch zwei Entwicklungen unterstützt:

  1. Die Kundennachfrage nach komplex zu erzeugenden Produkten steigt und insbesondere Technologiekonzerne machen vor, wie das Anbieten von integrierten Services unterschiedlicher Akteure in einem Produkt bzw. Service für den Kunden aussehen kann.
  2. Digitalisierung ermöglicht effiziente Vernetzung von unterschiedlichen Akteuren. Entsprechend werden komplexe Netzwerke unterschiedlicher Akteure, welche ihre spezifischen Ressourcen und Fähigkeiten einbringen, erst ermöglicht.

Diese neuen Konstrukte der gemeinschaftlichen Wertschöpfung bieten jedoch ihre eigenen Herausforderungen (Schaefer et al., 2023). Diese werden u.a. durch die gesteigerte Komplexität des Netzwerks an unterschiedlichen Akteuren unterstützt, welche zu einer passenden, gemeinschaftlichen Lösung aggregiert werden müssen (Adner, 2006; Shou, Shi und Ren, 2022). Beispielsweise erfordert das Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure das Erstellen von geeigneten Abstimmungsmechanismen. Auch müssen Nutzungsrechte bei den eingebrachten Fähigkeiten und Ressourcen bestimmt werden. Darüber hinaus müssen sich die Unternehmen auch kulturell anpassen – von der singulären Betrachtung der eigenen Organisation hin zu einer Betrachtung der eigenen Rolle in einem Netzwerk an unterschiedlichen Akteuren.

Für die Organisationen bilden die neuen Konstrukte also Grundlage für eine Transformation. Es folgt, dass es für Organisationen, welche sich auf einen solchen Transformationspfad begeben wollen, sinnvoll ist zu erfahren, welche Werte hier letztlich generiert werden können. Erst eine Kenntnis der zu erwartenden Werte ermöglich eine strategische Abwägung der Sinnhaftigkeit einen solchen Transformationspfads.

Sowohl die Literatur (Davidson, Harmer und Marshall, 2015; Chamakiotis und Petrakaki, 2022; Vetterling und Baumöl, 2023) als auch die Hinweise der Teilnehmer des CC Ecosystems bieten Grund zur Annahme, dass neben monetären bzw. direkt ökonomischen Werten, noch weitere Werte für die Akteure zu erreichen sind. Eine konkrete Einteilung dieser Werte liegt jedoch noch nicht vor. Für Organisationen ist entsprechend zu konzeptualisieren, welche Werte in Business Ecosystems erreicht werden können und welche Rahmenbedingungen eine Akkumulation der Werte (Value Capture) prägen.

Ein kurzer Überblick über die Literaturrecherche ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Untersucht wurden Manuskripte in einschlägigen wissenschaftlichen Datenbanken der Managementwissenschaften und der Wirtschaftsinformatik. Die Datenbanken wurden unter Zuhilfenahme des Untersuchungsparameters «(Value) AND (Business Ecosystem OR Platform Ecosystem OR Innovation Ecosystem)» durchsucht. Ziel war das Erzeugen eines Überblicks über den aktuellen Stand in der Literatur zur Analyse von Wert und der Akkumulation von Wert. Eine detailliertere Analyse der gewonnenen Unterlagen ist in der folgenden Grafik dargestellt.

Abbildung 1: Überblick über den Fokus der Publikationen (Eigene Analyse)

Es wird deutlich, dass sich die meisten Publikationen mit dem Erzeugen von Wert beschäftigen und nur wenige (n=2) sich explizit und ausschließlich dem Thema Value Capture widmen.

Um eine weitere Analyse der Werte zu konkretisieren, nutzen wir das Grundkonzept einer jeden Organisation: Organisationen müssen Kapital erzeugen. Entsprechend kann alles als Wert gelten, was das Erzeugen von Kapital unterstützt. Kapital selbst kann jedoch in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen. Watson (2021) liefert hier einen Überblick über sechs Klassen an Kapital, die Organisationen erzeugen können:

  • Ökonomisches Kapital
  • Humankapital
  • Natürliches Kapital
  • Organisationales Kapital
  • Soziales Kapital
  • Symbolisches Kapital

Watson (2021) weist auch darauf hin, dass auch andere Klassen an Kapital vorliegen können.

Analysiert man die Manuskripte aus der Literaturrecherche entsprechend der dort angewendeten Klassen an Kapital, so zeigt sich, dass nur 19% der Manuskripte vier oder fünf Klassen an Kapital betrachten. 97% betrachten ökonomisches Kapital und 68% beschäftigen sich singulär oder zusätzlich mit organisationalem Kapital. Es lässt sich entsprechend ableiten, dass in der Literatur derzeit noch Ansätze zur mehrdimensionalen Betrachtung von Wert als Zielgröße des Handelns von Organisationen in Business Ecosystems fehlen.

Entsprechend lässt sich das Ziel des Forschungsprojektes wie folgt ableiten: Konzeptualisierung der Akkumulation von Wert (Value Capture) durch ein Framework.

Ein kurzer Einblick in die Zwischenergebnisse
  • Im Rahmen des Projektes wurden 7 Klassen an Kapital identifiziert, die Unternehmen im Rahmen von Business Ecosystems versuchen zu erreichen
  • Die Klassen an Kapital sowie die zugehörigen Werte (konkret Ressourcen und Fähigkeiten) wurden im Rahmen einer Scorecard abgebildet
  • Es wurden drei Einflussfaktoren definiert, welche für die Akteure zur Akkumulation der Werte besonders bedeutend sind und entsprechend im Framework inkludiert werden sollen
    • Rollen
    • Phase im Lebenszyklus
    • Art des Angebots aus dem Business Ecosystem heraus

Zur praktischen Umsetzung des Frameworks wurde eine sogenannte Ecosystem Value Scorecard entwickelt, welche bereits in einer Zwischenversion vorliegt und bereits partiell Anwendung in Unternehmen findet

Das Forschungsprojekt läuft noch bis Oktober 2024. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse wird im Rahmen einer Dissertation an der Universität St. Gallen sowie durch Publikation von Inkrementen im Rahmen von Konferenzen und Zeitschriftenbeiträgen stattfinden.


Bibliography

Adner, R. (2006) ‘Match Your Innovation Strategy to Your Innovation Ecosystem.’, Harvard Business Review, 84(4), pp. 98–107. Available at: https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&db=bsu&AN=19998909&site=eds-live&scope=site.

Adner, R. (2017) ‘Ecosystem as structure: an actionable construct for strategy’, Journal of Management, 43(1), p. 39. Available at: https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&db=edsinc&AN=edsinc.A481211770&site=eds-live&scope=site.

Autio, E. and Thomas, L. D. W. (2022) ‘Researching ecosystems in innovation contexts’, Innovation & Management Review, 19(1), pp. 12–25. doi: 10.1108/INMR-08-2021-0151.

Chamakiotis, P. and Petrakaki, D. (2022) ‘Call for Papers: Exploring alternative (non-economic) forms of value engendered by digital platforms’, Information Systems Journal. Available at: https://onlinelibrary.wiley.com/pb-assets/assets/13652575/ISJ SI proposal Chamakiotis & Petrakaki 22SEPT22.pdf.

Dattée, B., Alexy, O. and Autio, E. (2018) ‘Maneuvering in Poor Visibility: How Firms Play the Ecosystem Game when Uncertainty is High.’, Academy of Management Journal, 61(2), pp. 466–498. Available at: http://10.0.21.89/amj.2015.0869.

Davidson, S., Harmer, M. and Marshall, A. (2015) ‘Strategies for creating and capturing value in the emerging ecosystem economy’, Strategy and Leadership, 43(2), pp. 2–10. doi: 10.1108/SL-01-2015-0003.

Hannah, D. P. and Eisenhardt, K. M. (2018) ‘How firms navigate cooperation and competition in nascent ecosystems.’, Strategic Management Journal (John Wiley & Sons, Inc. ), 39(12), pp. 3163–3192. Available at: http://10.0.3.234/smj.2750.

Jacobides, M. G., Cennamo, C. and Gawer, A. (2018) ‘Towards a theory of ecosystems’, Strategic Management Journal, 39(8), pp. 2255–2276. doi: 10.1002/smj.2904.

Moore, J. F. (1993) ‘Predators and prey: a new ecology of competition.’, Harvard Business Review, 71(3), pp. 75–86.

Oesterle, H. and Otto, B. (2010) ‘Consortium Research’, Business & Information Systems Engineering, 2(5), pp. 283–293. doi: 10.1007/s12599-010-0119-3.

Schaefer, B. et al. (2023) ‘Where blockchain can help – An analysis of challenges in ecosystems blockchain technology may help to solve’, pp. 1–5.

Shou, Y., Shi, Y. and Ren, G. J. (2022) ‘Guest editorial: Deconstructing business ecosystems: complementarity, capabilities, co-creation and co-evolution’, Industrial Management and Data Systems, 122(9), pp. 1977–1986. doi: 10.1108/IMDS-09-2022-811.

Vetterling, D. and Baumöl, U. (2023) ‘Controlling von Ecosystems’, Controlling – Zeitrschrift für erfolgsorientiterte Unternehmenssteuerung, 35(2), pp. 57–64. doi: https://doi.org/10.15358/0935-0381-2023-2-57.

Watson, R. T. (2021) Capital, Systems, and Objects. Singapore: Springer Singapore (Management for Professionals). doi: 10.1007/978-981-15-9418-2.

Dennis Vetterling

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