Service-Design in Business Ecosystems: Wie Sie den Service-Blueprint im Rahmen von Business Ecosystems nutzen können und der Bezug zu meiner Forschung.

Was Sie von diesem Artikel erwarten können

Im Rahmen meiner Forschung entwickle ich Artefakte, welche einen Mehrwert bei der Lösung von relevanten Problemen aus dem Management bieten. Es handelt sich im Kern um design-orientierte Forschung (vgl. Aken, 2004). Mein Kernthema ist hierbei die Aufnahme von Werten für Organisationen in Business Ecosystems. Formal beschrieben hat sich u.a. durch den Input unseres Forschungsgefässes, Competence Center Ecosystems, ein Konsortium von Banken und IT-Providern in der DACH-Region, folgendes Forschungsziel ergeben: Die Konzeptualisierung von Value Capture für Organisationen in Business Ecosystems.

Werde ich im Aufzug danach gefragt, was ich tue, ist die vermutlich noch etwas greifbarere Beschreibung: Ich versuche zu konzeptualisieren, was Organisationen von einem Engagement in Business Ecosystems haben.

Heute möchte ich den Modellierungsrahmen vorstellen, welchen ich als essenziellen Baustein im Rahmen meiner Forschung zur Handhabung des Themenkomplexes «Business Ecosystems» nutze. Konkret werde ich Ihnen im Folgenden noch einmal kurz vorstellen, was aus meiner Sicht «Business Ecosystems» sind. Anschließend werde ich argumentieren, warum der Service-Blueprint, ein Konzept, welches bereits vielfältigen Einsatz im Rahmen der Servicegestaltung gefunden hat, ein hilfreiches Instrument zur Anwendung im Rahmen von Business Ecosystems ist – genaueres erarbeite ich im Rahmen meiner Dissertationsschrift. Abschließen möchte ich dann mit einigen Gedankensplittern, welche Sie bei der Analyse dieses neuen Wertschöpfungskonstruktes, «Business Ecosystems», inspirieren mag.

Ein Einblick in Ecosystems

Ich habe zuletzt eine Wohnung bei Airbnb für einen Urlaub gemietet – mein Grundbedürfnis «ich brauche ein Dach über dem Kopf», war also abgedeckt. Doch mittlerweile greift das Serviceangebot noch viel weiter. Je nachdem, wo Sie ihren Aufenthalt planen, bekommen Sie zusätzlich Kochkurse und private Touren zu lokalen Sehenswürdigkeiten angeboten. Das Serviceangebot inkludiert also mittlerweile viele weitere Bausteine, die mir als Endnutzer zugutekommen (können). Airbnb erledigt hier jedoch das Angebot schon lange nicht mehr allein. Sie nutzen die individuellen Fähigkeiten von vielen Akteuren, oftmals eben Privatpersonen, um den potenziellen Kunden ein möglichst umfangreiches Serviceangebot bieten zu können. Airbnb ist nur ein Beispiel und lange nicht allein damit zu versuchen, ein möglichst vollständiges Serviceangebot durch die Kombination der Kraft einer Menge von Akteuren zu erreichen. Die Liste ist lang und inkludiert Apple, Microsoft, Amazon und viele mehr. Auch zur Lösung von konkreten Problemen kann das Konzept der «Ecosystems» angewendet werden, bspw. schlagen (Vetterling et al., 2024) vor, das Konzept im Rahmen der Identifikation und des Managements von Parkinson zu nutzen.

Findet sich eine Gruppe an Organisationen zusammen, gemeinschaftlich ein Ziel, z.B. die Erstellung eines möglichst vollständigen Serviceangebots, zu erfüllen, so beschreiben wir das als Ecosystem. Adner (2017) konkretisiert diesen Ansatz als «Ecosystem-as-a-Structure» – eine Gruppe an Akteuren (Organisationen), die mit einem gemeinsamen Ziel zusammenkommen. Business Ecosystems sind dabei die Grundstruktur des Konzeptes, auf der andere spezifische Konzepte, z. B. Platform-Ecosystems und Data-Ecosystems, abgegrenzt werden können (Vetterling & Baumöl, 2023a). Dieses neue Konstrukt der Wertschöpfung baut insbesondere auf zwei Entwicklungen auf:

  1. Endkunden fragen immer mehr Lösungen nach, welche durch einzelne Organisationen schwer allein in einer effizienten Art und Weise zu erzeugen sind.
  2. Technologischer Fortschritt ermöglicht die effiziente Vernetzung von unterschiedlichen Akteuren.

Es folgte das Entstehen eines Wertschöpfungskonstruktes, welches sich zwischen zwei bekannten Ansätzen zur Wertschöpfung, Markt und Hierarchie, einordnet. Jacobides et al. (2018) zeigen dies schematisch im Rahmen ihrer Publikation:

Abb.1: Typen an Value Systems in Anlehnung an Jacobides et al. (2018, p. 2261), eigene Darstellung

Von hierarchisch geprägten Wertschöpfungsbeziehungen unterscheiden sich Ecosystems insofern, dass Endkunden aus den angebotenen Komponenten bzw. manchmal von dem Weg des Angebots auswählen können (Jacobides et al., 2018). Von marktlichen Wertschöpfungsbeziehungen unterscheiden sich Ecosystems dadurch, dass die Endkunden aus einer Auswahl an Anbietern auswählen können, welche z. B. durch interdependente Beziehungen verbunden sind (Jacobides et al., 2018).

Im Kern werden Business Ecosystems durch zwei Kernelemente spezifiziert:

  1. Eine spezielle Form an Komplementaritäten zwischen den Akteuren (Jacobides et al., 2018). Komplementaritäten können in unterschiedlichen Formen vorliegen. Generische Komplementaritäten bezeichnen die Nutzenbeziehung zwischen unterschiedlichen Assets, welche erst gemeinschaftlich ihren Nutzen entfalten. Wollen Sie einen Kaffee in einer Herdkanne aufbrühen, so benötigen Sie Kaffeepulver, Wasser, die Herdkanne und den Herd. Erst in der Kombination entfalten die jeweiligen Assets ihren Wert (in Bezug auf den spezifischen Zweck: Kaffee brühen). Jacobides et al. (2018) nutzen ein ähnliches Beispiel und schlussfolgern, dass solche komplementären Beziehungen für Nutzer zwar erst gemeinschaftlich ihren Wert entfalten, dass jedoch keine Koordination von Produzenten notwendig ist, damit Nutzer die Assets kombinieren können. Entsprechend ist ein Erwerb der einzelnen Assets oder Komponenten auch einzeln durch den Nutzer auf dem Markt möglich (der Kauf des Kaffees beim Händler des Vertrauens, der Herdkanne im Supermarkt, usw.).    
    Ecosystems liegen nun nach Jacobides et al. (2018) eine spezielle Form der Komplementaritäten zugrunde. Sie sind a) einzigartig oder b) supermodular. Einzigartig sind Komplementaritäten dann, wenn ein Asset nicht ohne das andere funktioniert (Jacobides et al. 2018). Schauen Sie beispielsweise auf Nespresso-Kapseln und entsprechende Maschinen, die häufig ausschliesslich miteinander genutzt werden können. Supermodulare Komplementaritäten beschreiben eine weitere besondere Art der Komplementaritäten. Sie beschreiben eine Beziehung zwischen Assets oder Komponenten, wobei das Vorhandensein von mehr des einen, das andere wertvoller macht. «Das eine» und «das andere» können hier entsprechend Produkte, Assets oder Aktivitäten sein. Grundsätzlich können solche «supermodular complementarities» (Jacobides et al., 2018, p. 2262) sowohl in der Produktion als auch auf der Konsumseite vorliegen (ich werde Ihnen dies später im Artikel als «Frontend» und «Backend» beschreiben). Auf der Konsumseite findet sich hier auch die Verbindung zu den häufig beschriebenen Netzwerkeffekten, welche in unterschiedlichen Formen vorliegen können. Schauen Sie für solche Effekte beispielsweise auf die Plattform «notion.so»[1], mit der die Organisation von Tasks, Notizen und vielem mehr möglich wird. Je mehr spezifische Funktionalitäten durch das Einbinden von Drittanbieterangeboten auf der Plattform ermöglicht werden, bspw. Einbindung von Notizen aus der Applikation «GoodNotes», Einbinden von Videos von YouTube etc., desto mehr Nutzer werden die Plattform nutzen und wertvoller wird die Plattform werden. Nach Jacobides et al. (2018) sind Ecosystems nun Gruppen an Unternehmen, bei denen mehr als generische Komplementaritäten zwischen den Akteuren vorliegen – es braucht entsprechend einer spezifischen Struktur der Beziehungen und der Koordination, um Wert zu erzeugen. Adner (2017) beschreibt solche Konstrukte als «Ecosystems-as-a-structure», bei der die Struktur von Akteuren zur Erfüllung eines gemeinsamen Ziels zugrunde liegt.
  2. Die Notwendigkeit eines Orchestrators (Lingens et al., 2023). In Ecosystems besteht eine Abhängigkeit zwischen den beteiligten Akteuren, da ein Ecosystem zusammenbrechen kann, wenn ein Partner versagt (Lingens et al., 2023). Da nun eben keine hierarchische Beziehung zwischen den Akteuren vorliegt, in der ein Akteur klar die «Weisungsbefugnis» ggü. den anderen Akteuren hat, muss der Orchestrator die Akteure alignieren, sodass eine gemeinschaftliche Value Proposition erfüllt werden kann. Hierzu müssen u.a. Anreize und Regelungsmechanismen organisiert werden.

Insgesamt ergibt sich also ein komplexes System zur Wertschöpfung durch das Nutzen einer Gruppe an Organisationen mit einem gemeinsamen Ziel.

Modellierungsrahmen: Service-Blueprint

Bereits Vetterling & Baumöl (2023) nutzen den Service-Blueprint zur Modellierung bzw. Abgrenzung von KPIs in unterschiedlichen Konzepten von «Ecosystems». Ich möchte heute den konkreteren Einsatz zur Servicegestaltung im Rahmen von Business Ecosystems aufzeigen. Mein Ziel ist es, Ihnen hier ein Instrument vorzustellen, welches u.a. auch meinen spezifischen Lösungsmodellen im Rahmen des Value Capture einen wertvollen Kontext bietet.

Über den Service-Blueprint wird die Modellierung von Services unter Betrachtung des Nutzers sowie der beteiligten Akteure ermöglicht. Das Modell selbst geht auf Shostack (1984) zurück und kann in einer vereinfachten Form über drei Ebenen dargestellt werden: die Frontstage, die Backstage und die Line-of-Visibility, welche beide Ebenen trennt (vgl. Vetterling & Baumöl, 2023a). Weitere Komponenten sind möglich (vgl. Fließ & Kleinaltenkamp, 2004; Zeithaml et al., 1996), werden aber an dieser Stelle zur Vereinfachung ausgeschlossen.

Es ergibt sich also im Groben das folgende Analyseraster, welches Sie zur Modellierung von Services heranziehen können.

Abb.2: Der vereinfachte Rahmen für den Service-Blueprint (eigene Darstellung in Anlehnung an die Darstellung bei Vetterling & Baumöl, 2023a)

In dieses Raster können Sie nun beispielsweise die Customer Journey eintragen, welche durch das Angebot aus dem Ecosystem abgedeckt werden soll, sowie die einzelnen Akteure, welche hierzu beitragen.

Abb.3: Darstellung von einzelnen Angeboten am Beispiel Airbnb

In der Abb. 3 finden Sie eine Aufstellung von einfachen Services über eine Plattform. Airbnb fungiert hierbei als der Orchestrator (und Plattforminhaber) dieses Ökosystems. Hierbei sind noch keine Komplementaritäten berücksichtigt. Komplementäritäten sind jedoch in der gesamthaften Betrachtung später das, was ein Ökosystem eben ausmacht. Beispielsweise könnte man es forcieren, dass z.B. Wohnungen in einer bestimmten Region gebucht werden, welche ganz besonders für ihre Pub-Kultur bekannt ist. Als Vorbereitung könnte den Interessierten dann auch ein Kurs zur Geschichte der Pubs und im Nachgang ein Braukurs angeboten werden.

Die Komplexität der Darstellung lässt sich nun natürlich noch weiter erhöhen. Sie können beispielsweise konkret ergänzen, welche Fähigkeiten ein Akteur beiträgt. Weiter sind die Beziehungen in Ecosystems durch spezifische Rahmenparameter geprägt (vgl. Dalenogare et al., 2023), welche Sie auch in die Modellierung mit einbeziehen können.

Abschliessende Gedanken

Der Service-Blueprint kann einen entsprechenden Rahmen bieten, um Services zu modellieren, welche z.B. im Rahmen eines Business Ecosystems erzeugt werden sollen. Im Rahmen der hier vorgestellten Ansätze zeigt sich bereits, dass die Beziehung zwischen den Akteuren, u.a. geprägt durch die Beziehung über spezifische Komplementaritäten, eine enorme Bedeutung hat. Gleichzeitig liegt die Vermutung nahe, dass in Business Ecosystems ggf. durch dieses spezifische Beziehungsgeflecht eine Vielzahl an Werten für Organisationen zu erreichen sind, welche ggf. auch über rein finanzielle Werte hinausgehen. Dies sind Themen, welche mich im Rahmen meiner Dissertation bewegen und für welche ich Lösungsartefakte entwickelt habe.

Business Ecosystems haben keinen Selbstzweck, sie sind als Folge von Entwicklungen auf dem Markt sowie in der Technologie entstanden. Für teilnehmende Organisationen ermöglichen Sie es, überproportionale Wertbeiträge zu generieren (vgl. Adner, 2006, 2017). Zur Teilnahme ist jedoch u.a. ein Wandel des Operating Models notwendig, da u.U. andere Fähigkeiten und Ressourcen genutzt werden bzw. einen Bedeutungsgewinn erfahren. Ein Beispiel für einen Operating Model Blueprint zeigen u.a. (Vetterling & Baumöl, 2023b). Aus einer Modellierungsperspektive kann, wie hier gezeigt, der Service-Blueprint genutzt werden, um Serviceangebote zu konzeptualisieren.

Business Ecosystems sind eine neue Form der Wertschöpfung, welche sich zwischen den beiden bekannten Formen, Markt und Hierarchie, einordnen lassen (Jacobides et al. 2018). Eine neue Form der Wertschöpfung bedarf der Entwicklung eines Verständnisses für die Funktionsweise der entsprechenden Prozesse und Werteflüsse. Hierzu bedarf es weiterer Forschung, um konkrete Lösungen für diverse Problemstellungen bei der Umsetzung in der Praxis zu lösen. Sie finden in diesem Beitrag erste Ansätze zum Umgang mit Business Ecosystems. Eine Toolbox, mit einer Sammlung an Tools, welche ManagerInnen eine informierte Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit Value Capture in Ecosystems ermöglicht entwickle ich im Rahmen meiner Dissertationsschrift. Sollte dies für Sie spannend sein, kommen Sie gerne auf mich zu.


Bibliography

Adner, R. (2006). Match your innovation strategy to your innovation ecosystem. Harvard Business Review, 84(4).

Adner, R. (2017). Ecosystem as structure: an actionable construct for strategy. Journal of Management, 43(1), 39. https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&db=edsinc&AN=edsinc.A481211770&site=eds-live&scope=site

Aken, J. E. van. (2004). Management Research Based on the Paradigm of the Design Sciences: The Quest for Field‐Tested and Grounded Technological Rules. Journal of Management Studies, 41(2), 219–246. https://doi.org/10.1111/j.1467-6486.2004.00430.x

Dalenogare, L. S., Le Dain, M.-A., Ayala, N. F., Pezzotta, G., & Frank, A. G. (2023). Building digital servitization ecosystems: An analysis of inter-firm collaboration types and social exchange mechanisms among actors. Technovation, 124. https://doi.org/10.1016/j.technovation.2023.102756

Fließ, S., & Kleinaltenkamp, M. (2004). Blueprinting the service company: Managing service processes efficiently. Journal of Business Research, 57(4), 392–404.

Jacobides, M. G., Cennamo, C., & Gawer, A. (2018). Towards a theory of ecosystems. Strategic Management Journal (John Wiley \& Sons, Inc.), 39(8), 2255–2276. https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&db=bth&AN=130771714&site=ehost-live

Lingens, B., Seeholzer, V., & Gassmann, O. (2023). Journey to the Big Bang : How firms define new value propositions in emerging ecosystems. Journal of Engineering and Technology Management, 69(July), 101762. https://doi.org/10.1016/j.jengtecman.2023.101762

Shostack, G. L. (1984). Designing services that deliver. Harvard Business Review, 62(1), 133–139.

Vetterling, D., & Baumöl, U. (2023a). Ecosystems als Quelle kundenzentrierter Wertschöpfung – Konzepte und Steuerungspotenzial. Controlling – Zeitschrift Für Erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung, 35(5), 4–11.

Vetterling, D., & Baumöl, U. (2023b). Networked business design in the context of innovative technologies: Digital transformation in financial business ecosystems. Journal of Financial Transformation – Capco Institute, 58, 72–81.

Vetterling, D., Lucarelli, P., & Bischof, A. (2024). Advocating for Harnessing the Power of Ecosystems in Healthcare: The Case of an Ecosystem in the Realm of Parkinson’s Disease – A Position Paper. Proceedings of the 17th International Joint Conference on Biomedical Engineering Systems and Technologies, 838–845. https://doi.org/10.5220/0012399900003657

Zeithaml, V. A., Bitner, M. J., & Gremler, D. D. (1996). Services Marketing McGraw Hill. New York.


[1] https://www.notion.so/de-de.

Dennis Vetterling

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