Forschungsbereich Distributed Ledger Technology

Vorstellung des aktuellen Forschungsprojektes: Die Entwicklung eines Frameworks für Distributed Ledger Technology (DLT) Implementierungen in kooperativen Beziehungen

Das Competence Center Ecosystems des Business Engineering Institute St. Gallen verfolgt im Rahmen des Konsortialforschungsansatzes nach Österle und Otto (2010) die Entwicklung von Lösungen für relevante Problemstellung aus der Praxis. Zudem dient der Ansatz des Design Science Research (DSR) nach Hevner (2007) als Grundlage für die Entwicklung von relevanten und zeitgemässen Artefakten im Bereich Informationssysteme.

Im Rahmen dieses Blog-Beitrages stelle ich mein aktuelles Forschungsziel vor[1], welches darin besteht, ein Vorgehensmodell zu entwickeln, das den methodischen Ansatz von DLT-Implementierungen demonstriert und unterstützt. Dieses Modell soll Unternehmen befähigen, relevante Anforderungen des Implementierungsprozesses adäquat zu adressieren und zielt darauf ab, im Projektmanagement eingesetzt zu werden, um die Konzeptions-, Planungs- und Umsetzungsphasen einer DLT-Implementierung zu unterstützen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Adressierte Phasen des Projektmanagement Lifecycle im Rahmen der Forschung

Wer kennt es aus seinem Projektalltag? Kritisch sind vor allem die Phasen Konzeptualisierung, Planung, und Implementierung (bzw. Ausführung). Sofern das Projekt nicht ausreichend ausgearbeitet ist, werden die weiteren Phasen wohlmöglich scheitern. Für die Konzeption benötigt man entsprechenden Support «von ganz oben» und ausreichende finanzielle Mittel – vor allem Zeit und Ressourcen! Im Hinblick auf die DLT kommt hinzu, dass die DLT idealerweise mehrere Unternehmen involviert, was das Projektvorhaben durchaus komplexer gestalten kann, sofern es gemeinschaftlich entwickelt wird.

Zunächst folgt ein kurzer Recap zu DLT[2] und Vorgehensmodellen. Zum Abschluss stelle ich kurz den Forschungsansatz und aktuelle Ergebnisse vor.

Ein kurzer Einblick in DLT

Die DLT beschreibt eine dezentral organisierte Architektur, welche aus unabhängigen jedoch miteinander verbundenen Knotenpunkten besteht. Jeder Knoten kann beispielsweise ein Individuum oder Unternehmen darstellen (Kannengießer et al., 2020), welcher in dem Netzwerk Transaktionen durchführen und einsehen kann. Jeder Knoten hat zu jeder Zeit den gleichen Stand des „Kassenbuches“, d.h. der im Netzwerk durchgeführten Transaktionen. Dies führt zu einer hohen Transparenz und Sicherheit, da zum einen jeder die Transaktionen einsehen kann und Daten an mehreren Orten gespeichert sind. Zudem können Effizienzsteigerungen generiert (beispielsweise schnellere Transaktionen) oder die Transparenz erhöht werden (beispielsweise durch die Rückverfolgbarkeit von Gütern) (Malhotra et al., 2022). Entscheidungen, beispielsweise über den wahren Stand der Transaktionen, werden im Idealfall gemeinschaftlich durch Konsens getroffen. Die Governance in so einem Netzwerk kann vollständig elektronisch durch Smart Contracts abgedeckt werden, welche u.a. kodierte „Wenn-Dann“ Statements enthalten.

Durch den dezentralen Charakter besteht das Netzwerk idealerweise aus mehreren Teilnehmern damit die Eigenschaften und Vorteile der DLT auch genutzt werden können. Dem Begriff DLT sind verschiedene Konzepte und Designs untergeordnet. Das wohl bekannteste Konzept ist die Blockchain, während das Design Bitcoin das initiale Ziel hatte, intermediäre Funktionen im Zahlungsverkehr abzuschaffen (Nakamoto, 2008). Seit der Veröffentlichung des ersten White Papers durch Satoshi Nakamoto sind weitere Konzepte und Designs entstanden, die Unternehmen befähigen können, Geschäftsmodelle zu optimieren oder neue Geschäftsmodelle entstehen zu lassen (Heines, 2023). Die Optimierung von Geschäftsmodellen kann beispielsweise durch die Verbesserung von Prozessen durch den Einsatz der Technologie gefördert werden. Neue Geschäftsmodelle entstehen durch den Eintritt in zuvor nicht vorhandene Märkte, wie beispielsweise Mikro-Payments, Krypto Plattformen, oder DAOs. Zudem können durch die Anwendung der DLT 1) neue Strukturen der Zusammenarbeit, wie beispielsweise Ecosystems[3] entstehen (Malhotra et al., 2022) oder 2) die Anwendungsintensität der Technologie durch die gemeinschaftliche Zusammenarbeit gefördert werden.

Was ist die Herausforderung in der Praxis?

Die Implementierung der DLT ist, wie bei anderen Technologien auch, mit Anforderungen und Herausforderungen verbunden, die gerade durch den dezentralen Charakter und die Involvierung weiterer Akteure im Vergleich zu anderen Technologien Besonderheiten aufweist. Obwohl viele Investments in DLT getätigt werden (Statista, 2022), ist die tatsächliche Implementierungsrate gering (vgl. Trujillo et al., 2017). Dies kann verschiedene Gründe haben. Möglicherweise liegt dies an fehlenden oder für die DLT-geeigneten Anwendungsfällen oder auch an der Unkenntnis über erforderliche Anforderungen im Implementierungsprozess. Viele DLT-Projekte kommen in der Praxis nicht über das Konzept oder ein Pilotprojekt hinaus. Zum einen ergeben sich Anforderungen des Prozesses an die DLT («Ist die DLT überhaupt dafür geeignet?») und Anforderungen der Technologie an das/die Unternehmen («Wir brauchen Skills für DLT!»). Das zu entwickelnde Vorgehensmodell setzt genau an diesem (letzten) Punkt an und soll Unternehmen in den Phasen «Konzeption, Planung und Umsetzung» unter Bezugnahme der evaluierten Implementierungsanforderungen (Anforderungen der Technologie an das/die Unternehmen) unterstützen.

Wozu ist ein Vorgehensmodell gut und wobei hilft es den Unternehmen?

Durch die sequenzielle Anordnung einer Methodik können Arbeitsschritte veranschaulicht dargestellt werden (March & Smith, 1995) und im Rahmen der Projekttätigkeit als unterstützendes Hilfsmittel eingesetzt werden. Vorgehensmodelle, als Teilbereich einer Methode, dienen in der Wirtschaftsinformatik dazu, bestimmte Abläufe spezifizierter Aktivitäten in einer Reihenfolge darzustellen (Winter, 2003). Ein Vorgehensmodell gibt zudem erforderliche Massnahmen und Aktivitäten wieder, um die Transformation von einem Ist- zum Sollzustand zu begleiten (Heinrich & Leist, 2000). Komplettiert wird eine Methode durch detaillierte Beschreibungen der Aktivitäten, Ergebnisse, Rollen, und zu benutzende Techniken. Die Erarbeitung solcher Modelle oder Methoden erfolgt durch die Abbildung realer oder erdachter Sachverhalte (Winter, 2003). Im Rahmen des Forschungsprojektes dient die Analyse von DLT-basierten Anwendungsfällen als Grundlage für die Konstruktion eines solchen Vorgehensmodells. Es werden also reale Anwendungsfälle umfassend analysiert und für die Modellentwicklung verwendet. Abbildung 2 veranschaulicht die Komponenten eines Vorgehensmodells. Ein einfaches Beispiel eines Vorgehensmodells ist das Wasserfallmodell im Rahmen des Projektmanagements, welches die Aktivitäten (ähnlich Abbildung 1) sequenziell darstellt.

Abbildung 2: Ordnungsschema von Vorgehensmodellen (in Anlehnung an Fischer et al., 1998)

Ein weiteres Beispiel, das jeder Person wohlmöglich bekannt vorkommt: Prozessmodelle. Prozessmodelle helfen im Business Process Management (BPM), komplexe Unternehmensprozesse vereinfacht und verständlich zu erfassen, wobei sich die Abstraktionsebene von Kern- (bzw. Sub-) und Unterprozessen unterscheidet. Prozessmodelle beinhalten verschiedene Komponenten: Rollen, Aktivitäten, Sub-Aktivitäten, verbundene Prozesse, verwendete Systeme und Software und Ergebnisse. Allein das Erfassen komplexer Prozesse birgt einige Herausforderungen, vor allem wenn der Prozess zwar standardisiert ist, jedoch durch die Mitarbeiter in verschiedenster Weise ausgeführt wird. Durch die Erfassung der Prozesse kann zum einen die Standardisierung erfolgen und zum anderen Ineffizienzen aufgedeckt werden. Zudem dient ein sachlich dokumentierter Prozess dazu, dass neue Mitarbeiter oder Mitarbeiter aus anderen Unternehmensbereichen diesen Prozess verstehen, auch wenn das Fachgebiet ein anderes ist.

Ein entsprechendes Vorgehensmodell für DLT-Implementierungen hat den gleichen Zweck: Es soll den komplexen Sachverhalt einer DLT-Implementierung detailliert jedoch auf anschauliche und verständliche Weise darstellen. Das Vorgehensmodell muss sowohl vom technischen als auch strategischen Experten gleichermassen verstanden werden und die Implementierung in allen erforderlichen Unternehmensbereichen unterstützen, da Transformationsprojekte immer alle Unternehmensbereiche einschliessen. Daher schliesst das Modell die strategische, organisatorische, architektonische, kulturelle, und externe Perspektiven ein.

Ein kurzer Einblick in den Forschungsansatz und erste Ergebnisse

Für die Entwicklung des Vorgehensmodells werden zunächst Anforderungen an die Implementierung von DLT gesammelt («Was benötigen die Unternehmen für die Implementierung?») und im Rahmen von Interviews und Fallstudien untersucht. Bislang besteht nur eine fragmentierte Literatur (z. B. in Bezug auf spezifische Anwendungsfälle oder Branchen), weshalb die Zusammenführung der Anforderungen ein Neuheitswert darstellt. Es muss jedoch positiv betont werden, dass der rein technische Fokus der Vergangenheit durch andere Perspektiven (z. B. Nachhaltigkeit, Regulierung) im Rahmen der DLT kontinuierlich erweitert wird.

Die primäre Konsolidierung und Analyse von Anforderungen an die DLT-Implementierung hat den Vorteil, dass aus diesen Rollen, Methoden und Vorgehen (siehe Abbildung 2) sowie die erforderlichen Tätigkeitsbereiche im Unternehmen spezifiziert werden können. Durch die Berücksichtigung verschiedener Ebenen (strategisch, organisatorisch, architektonisch, kulturell, extern) ist die Modellentwicklung umfassend für die ganzheitliche Unternehmenssicht gedacht. Die bisherige Recherche ergab, dass Anforderungen auf verschiedenen Ebenen (strategisch, organisatorisch, architektonisch, kulturell, extern) existieren, die von den Unternehmen berücksichtigt werden müssen. So wurden insgesamt 39 konkrete Anforderungen gesammelt, die nunmehr in Interviews und Fallstudien untersucht werden. Dadurch wird eine ausführliche Darlegung und die Differenzierung in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren (z.B. Geschäftsmodell, Konzept oder Design) ermöglicht. Aus der eingehenden Analyse geht hervor, dass Anforderungen wie Datenschutz, Datensicherheit und Interoperabilität hohe Aufmerksamkeit genießen. Weitere Anforderungen, wie etwa die Bewertung der Tauglichkeit von Anwendungsfällen für die DLT oder die Beurteilung der Auswirkungen der DLT auf die Kundenwahrnehmung, werden zwar erwähnt, jedoch nicht eingehend untersucht.

Ein kurzer Einblick in die nächsten Schritte

Im weiteren Verlauf der Forschung werden aus den Anforderungen Gestaltungsprinzipien für die Implementierung von DLT abgeleitet und daraus der übergeordnete Rahmen entwickelt. Einige, beispielhaft hergeleitete Meta-Anforderungen, die aus dem Anforderungsmodell stammen:

  • Bewertung des strategischen Einflusses und der Risiken der DLT auf etablierte Initiativen, Durchführung einer strategischen Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsanalyse für die DLT-Integration
  • Förderung der internen und externen Wissensentwicklung und des Wissenstransfers
  • Bewertung der End-to-End-Datenintegrität in Übereinstimmung mit dem ausgewählten Konzeptentwurf

Das Forschungsprojekt hat eine Gesamtdauer von 3,5 Jahren, die im Januar 2025 mit der Einreichung meiner Dissertation an der Universität St. Gallen und der anschließenden Disputation endet. Die Teilergebnisse des Forschungsprojekts werden auf renommierten Konferenzen und in weiteren Publikationen veröffentlicht.

Durch die hohe praktische Relevanz bin ich auf der kontinuierlichen Suche nach Interviewpartnern, die in der Praxis DLT-Projekte begleiten oder begleitet haben. Eine breite Abdeckung von Anwendungsfällen ermöglicht es zudem, die Forschungsergebnisse im Detail auszuarbeiten. Wenn Sie Interesse haben, an dem aktuellen Forschungsprojekt im Rahmen von Interviews mitzuwirken, können Sie mich unter benjamin.schaefer@bei-sg.ch erreichen.


Quellen

[1] Detaillierte Einblicke in das Forschungsprojekt sind auf Anfrage erhältlich.

[2] Zum Nachlesen finden sich in unserem Blog zahlreiche Beiträge zum Thema DLT.

[3] Der aktuellen Stand des Forschungsbereichs Business Ecosystems von Dennis Vetterling wird in diesem Blogbeitrag aufgezeigt: Forschungsbereich Business Ecosystems: Vorstellung des aktuellen Forschungsprojekts: Konzeptualisierung der Akkumulation von Wert (Value Capture) durch ein Framework | ccecosystems.news.

Benjamin Schaefer

Was sind Deine Erfahrungen mit dem Thema? (Kommentieren geht auch ohne Anmeldung oder Einloggen; einfach kommentieren, auf Freigabe warten und fertig!)