Sind unsere Arbeitsplätze in Gefahr?

Einschätzung des Effekts von künstlicher Intelligenz auf den Schweizer Arbeitsmarkt

Kurzzusammenfassung Artikel

Teil 2: Ergebnisse der Studie – Auswirkungen auf den Schweizer Wirtschaftssektor und Implikationen


Anmerkung: Dieser Blogbeitrag fasst den Artikel «Are Our Jobs at Risk? Estimating the Effect of Artificial Intelligence on the Swiss Labor Market» zusammen. Autoren: Timon Jaeggi, Benjamin Schaefer, Christian Dietzmann, Reinhard Jung and Ulrich Matter

Verfügbar: https://journals.aom.org/doi/abs/10.5465/AMPROC.2023.11166abstract

Vorgeschlagene Zitation: Jaeggi, T., Schaefer, B., Dietzmann, C., Jung, R., & Matter, U. (2023). Are Our Jobs at Risk? Estimating the Effect of Artificial Intelligence on the Swiss Labor Market. In Academy of Management Proceedings (Vol. 2023, No. 1, p. 11166).


Um die Auswirkungen der KI auf den Schweizer Wirtschaftssektor zu analysieren, wurde eine umfangreiche qualitative und quantitative Studie zur Exposition einzelner Berufe durch KI im Rahmen der aufgabenbasierten Sichtweise durchgeführt. Zu diesem Zweck wurde ein neuartiges Maß entwickelt, um die potenzielle Exposition von Berufen zu quantifizieren, wobei sowohl potenzielle Substitutions- als auch Komplementäreffekte berücksichtigt wurden (Jaeggi et al., 2023). Dieses Maß wurde mit Daten zu Beschäftigung, Bildung und Löhnen in der Schweiz verglichen, um die Auswirkungen von KI auf aggregierter Ebene zu untersuchen (Jaeggi et al., 2023). Die ausführlichen Ergebnisse inklusiver graphischer Aufbereitung sind in der Studie dargestellt. Die theoretischen Grundlagen sind im ersten Teil dieser Blogserie erläutert worden.

Ergebnisse der Studie

Die Studie ergab, dass eine hohe Übereinstimmung von Aufgaben (bestimmt durch die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten) und Technologie zu hohen Substitutionseffekten führen kann (Jaeggi et al., 2023). Zugleich belegen die Ergebnisse, dass das Potenzial zur Substitution durch KI in Berufen mit geringen kognitiven Anforderungen am stärksten ausgeprägt ist (Jaeggi et al., 2023). Eine hohe Übereinstimmung zwischen Aufgabe und Technologie kann jedoch durch die Erweiterung der menschlichen Sinne, der körperlichen Arbeit und der menschlichen Kognition auch zu komplementären Effekten führen und somit zu einer höheren Effizienz (Jaeggi et al., 2023). Es fällt auf, dass KI vor allem Berufe ergänzen kann, die ein hohes Maß an zwischenmenschlicher Interaktion erfordern (Jaeggi et al., 2023). Unternehmen mit geringen digitalen Kompetenzen müssen sowohl Komplementarität- als auch Substitutionspotenziale ausschöpfen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu erhalten (Jaeggi et al., 2023). Außerdem liefern die Resultate den Beschäftigten einen Hinweis darauf, ob sich KI auf ihre Arbeitsplätze zu ihrem Vorteil oder Nachteil auswirken wird (Jaeggi et al., 2023). Falls Arbeitnehmer einem hohen Substitutionspotenzial ausgesetzt sind, müssen Ausbildungsprogramme rechtzeitig dafür sensibilisiert werden, um die gefragten Fähigkeiten zu vermitteln (Jaeggi et al., 2023).

Auswirkungen auf den Schweizer Wirtschaftssektor

Die Studie ist eine der ersten, die den Schweizer Wirtschaftssektor untersucht, indem sie die Ergebnisse auf individueller Ebene zu den Sektoren aggregiert, die für die Schweiz von großer wirtschaftlicher Bedeutung sind (Jaeggi et al., 2023). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Beschäftigte im Beherbergungs- und Verpflegungsdienstleistungen (AFS) am stärksten von KI betroffen sind (Jaeggi et al., 2023). Mit einer durchschnittlichen Exposition von insgesamt 60 Prozent haben die Berufe in diesem Sektor das grösste Potenzial für KI-Substitution (41 Prozent durch Embodied-KI und 19 Prozent durch Software-KI) (Jaeggi et al., 2023). Im Gegensatz dazu kann Software-KI

Abbildung 1: Aggregierte KI-Expositionsmaße für ausgewählte Wirtschaftszweige

Anmerkung: Die vertikale Achse gibt den aggregierten Anteil der Aufgaben der Arbeitnehmer innerhalb eines Sektors an, wobei 1 für 100 Prozent der Aufgaben innerhalb dieses Sektors steht. Die folgenden Wirtschaftszweige werden berücksichtigt: Beherbergungs- und Verpflegungsdienstleistungen (AFS), Finanz- und Versicherungswesen (FI), verarbeitendes Gewerbe (allgemein, MA), chemische Industrie (CM), professionelle, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen (PST) sowie Gesundheits- und Sozialwesen (HSA). Die Abbildung basiert auf Jaeggi et al., 2023.

Beschäftigte in durchschnittlich 34 Prozent der Aufgaben in den Sektoren Finanzen und Versicherungen (FI) und professionelle, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen (PST) ergänzen (Jaeggi et al., 2023). In Anbetracht der potenziellen Folgen durch KI-Komplementarität können die Berufe in diesen Sektoren am meisten durch eine höhere Arbeitsnachfrage und Lohnsteigerungen profitieren (Jaeggi et al., 2023). Bei dem Vergleich der Sektoren der verarbeitenden Industrie (MA) und der chemischen Industrie (CM) fällt auf, dass die Verteilung der KI-Expositionen vergleichsweise ähnlich ist mit geringfügigen Unterschieden bei der Substitution von verkörperter KI und der Ergänzung von Software-KI (Jaeggi et al., 2023). Dieser Unterschied spiegelt möglicherweise die Tatsache wider, dass die chemische Produktion (z. B. Pharmazeutika, Pestizide, synthetische Brennstoffe oder synthetische Materialien) im Gegensatz zur allgemeinen Produktion (z. B. Holz oder Textilien) tendenziell einen höheren Anteil an Forschung und folglich einen größeren Anteil an Informationsverarbeitung und wissenschaftlicher Originalität aufweist, was das Komplementärpotenzial begünstigt (Jaeggi et al., 2023). Der Sektor der Gesundheitsversorgung und des Sozialwesens (HSA) ist mit rund 41 Prozent der nicht betroffenen Aufgaben am wenigsten von der KI-Technologie betroffen (Jaeggi et al., 2023). Soziale und medizinische Berufe dürften daher relativ gesehen nur geringfügige KI-induzierte Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt erfahren (Jaeggi et al., 2023).

Zudem zeigt die Studie, dass die KI-Substitution vor allem Beschäftigte am unteren Ende der Qualifikationsleiter betrifft (Jaeggi et al., 2023). Sowohl der Schweizer Medianlohn als auch der Bildungsgrad korrelieren negativ mit der KI-Substitution (Jaeggi et al., 2023). Im Gegensatz dazu ist die KI-Komplementarität auf der oberen Qualifikationsstufe am stärksten ausgeprägt und betrifft Beschäftigte mit höheren Löhnen und höherem Bildungsniveau (Jaeggi et al., 2023). Werden die Expositionsmaße mit den absoluten Beschäftigungszahlen in der Schweiz gewichtet, zeigt sich, dass 10 Prozent der Schweizer Arbeitskräfte derzeit in gering qualifizierten Berufen beschäftigt sind, die stark von KI-Substitution betroffen sind (Jaeggi et al., 2023). Darüber hinaus arbeiten 48 Prozent der Schweizer Arbeitskräfte in gering- bis mittelqualifizierten Berufen, die nur mäßig betroffen sind (Jaeggi et al., 2023). Der am stärksten von der KI-Komplementarität betroffene Teil, rund 61 Prozent der Schweizer Erwerbsbevölkerung, setzt sich dagegen hauptsächlich aus hochqualifizierten Berufsgruppen zusammen (Jaeggi et al., 2023).

Implikationen

Organisationen und ihr Management müssen die Auswirkungen und Einflussbereiche von KI verstehen, damit sie proaktiv auf digitale Trends reagieren und so wettbewerbsfähig bleiben können (Jaeggi et al., 2023). Beispielsweise ist es notwendig, dass Unternehmen verstehen, wie KI zur Entwicklung von neuen Geschäftsmöglichkeiten genutzt werden kann (Jaeggi et al., 2023). Gleichzeitig gilt es zu prüfen, inwiefern das existierende Geschäftsmodell durch KI beeinträchtigt werden könnte (Jaeggi et al., 2023). Darüber hinaus hat die Technologie einen direkten Einfluss auf die makroökonomische Entwicklung und ist für die künftige Entwicklung der Beschäftigung von großer Bedeutung (Frey & Osborne, 2013). Die politischen Verantwortlichen sollten sich darauf einstellen, dass der technologische Fortschritt in der KI gewisse Industrien und Wirtschaftssektoren verändern wird (Jaeggi et al., 2023). Da KI immer mehr kognitive Arbeitsbereiche erschließt (Brynjolfsson & McAfee, 2011; Frey & Osborne, 2013), sind vor allem die Volkswirtschaften betroffen, die in hohem Maße von Branchen geprägt sind, die solche Aspekte einbeziehen (z. B. die Dienstleistungsbranche) (Jaeggi et al., 2023). Wenn KI zur Substitution von Berufen in einer Volkswirtschaft führt, müssen die politischen Entscheidungsträger Umschulungs- und Weiterbildungsprogramme für die am stärksten betroffenen Beschäftigten in Betracht ziehen, um eine massive technologische Arbeitslosigkeit zu verhindern (Felten et al., 2019, S. 2). Umfassende politische Maßnahmen zielen auch darauf ab, den wirtschaftlichen Schaden der KI-Substitution abzumildern, darunter ein universelles Grundeinkommen oder Sondersteuern für Unternehmen, die KI-Technologie einsetzen (Bruun & Duka, 2018). Umgekehrt sollten die politischen Entscheidungsträger, wenn die Einführung von KI in den meisten Berufen zu einem Beschäftigungsanstieg führt, die Fortschritte der KI durch Anreizprogramme zusätzlich unterstützen (Jaeggi et al., 2023). Geht man davon aus, dass Substitutionseffekte direkt mit Arbeitsplatzverlusten verbunden sind, müssen staatliche Institutionen die negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung abmildern oder verhindern (Jaeggi et al., 2023).


Literatur:

Bruun, E., & Duka, A. 2018. Artificial Intelligence, Jobs and the Future of Work: Racing with the Machines. Basic Income Studies, 13(2).

Brynjolfsson, E., & McAfee, A. 2011. Race Against the Machine: How the Digital Revolution is Accelerating Innovation, Driving Productivity, and Irreversibly Transforming Employment and the Economy. Lexington, MA: Digital Frontier Press.

Felten, E. W., Raj, M., & Seamans, R. 2019. The Occupational Impact of Artificial Intelligence: Labor, Skills, and Polarization. New York, NY: NYU Stern School of Business.

Frey, C. B., & Osborne, M. A. 2013. The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation? Technological forecasting and social change, 114: 254-280.

Jaeggi, T., Schaefer, B., Dietzmann, C., Jung, R., & Matter, U. (2023). Are Our Jobs at Risk? Estimating the Effect of Artificial Intelligence on the Swiss Labor Market. In Academy of Management Proceedings (Vol. 2023, No. 1, p. 11166).

Benjamin Schaefer

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