DeFi 2.0

Dieser Beitrag ist der dritte Teil unserer dreiteiligen Serie zum Thema «Decentralized Finance – ein Hype, eine Bedrohung oder eine Chance für regulierte Finanzinstitute?».

Seit dem DeFi-Sommer 2020 sind DeFi-Applikationen in der Blockchain-Industrie zu einem bedeutenden Trend geworden . Der Total Value Locked (TVL), also der Wert der in DeFi-Applikationen blockierten Digital Assets wie Ethereum, hat sich innerhalb von nur zwei Jahren von rund 1 Mia. USD Mitte 2020 auf rund 69 Mia. USD am 05. August 2022 vervielfacht, auch wenn sich der TVL durch einen Kurseinbruch vieler Tokens vom Höchststand von 254 Mia. USD im Dezember 2021 wieder deutlich entfernt hat[1]. Es hat sich gezeigt, dass eine dezentrale Finanzinfrastruktur interessante neue Geschäftsmodelle ermöglicht, z. B. Decentralized Exchanges (DEX) oder Automated Asset Management (AAM). Bisher können Investoren innerhalb dieser Geschäftsmodelle hohe Renditen auf ihr eingesetztes Kapital erzielen, sie gehen dabei jedoch auch entsprechende Risiken ein, die vor allem von unerfahrenen Investoren oft nicht erkannt werden. Die Kombination aus Rendite und vermeintlich tiefem Risiko hat sehr viele Investoren angezogen, vornehmlich Early Adopter aus dem Retail-Segment.

Im ersten Teil dieser Beitragsreihe wurde vorgestellt, wie sich Decentralized Finance (DeFi) und Centralized Finance (CeFi) unterscheiden, wie durch Smart Contracts auch ohne Intermediäre Vertrauen geschaffen werden kann und wie verschiedene Geschäftsmodelle wie Decentralized Exchanges und Automated Asset Managers funktionieren. Der zweite Teil befasst sich mit den Chancen und Herausforderungen, die Decentralized Finance Banken eröffnet, wie beispielsweise die Opportunität, das eigene Angebot an Digital Assets um Protokoll- bzw. Governancetoken von DeFi-Applikationen zu erweitern oder als Facilitator für Investoren zu fungieren, die nicht genügend Hintergrundwissen besitzen, um eigenständig in DeFi-Geschäftsmodelle zu investieren. Beide Artikel zeigen Stärken und Potentiale von DeFi-Applikationen auf, z. B. die Unabhängigkeit von zentralen Intermediären, die verhindert, dass das System einen zentralen Angriffspunkt besitzt, und die Verfügungsgewalt der Investoren über ihre Assets stärkt, oder das Yield Farming[2], welches Investoren im Vergleich zu klassischen Investitionsmöglichkeiten eine Vergrösserung ihres Investments ohne zusätzlichen Kapitaleinsatz ermöglicht.

Allerdings wurden in den vergangenen 24 Monaten auch Schwachstellen von DeFi-Applikationen identifiziert. Beispielsweise hat die Borrowing-Lending-Plattform Compound 2021 einen Bug im Smart Contract entdeckt, über welchen Investoren unerlaubt Governance-Token von Compound («COMP») anfordern konnten, ohne dafür die entsprechende Gegenleistung an Liquidität für den Lending Pool zu hinterlegen. Der Bug wurde durch das Entwicklerteam geschlossen und fast die Hälfte der gestohlenen 114 Mio. USD wieder an Compound retourniert[3]. Neben technischen Fehlern wie fehlerhaft programmierten Smart Contracts hat seit Veröffentlichung des ersten Beitrags im April 2022 auch menschliches Versagen, z. B. in Form von mangelhafter Deckung des eigenen Stablecoins mit Digital Assets oder sehr riskanter Investmentstrategien mit geliehenem Kapital, zum Untergang einiger DeFi-Applikationen wie z.B. Terraform Labs mit dem Stablecoin Terra Luna[4] und CeFi-Unternehmen wie dem Borrowing-Lending Dienstleister Celsius[5] oder dem Krypto-Hedgefunds 3 Arrows Capital[6].

Der dritte und letzte Teil betrachtet aktuelle Entwicklungen im DeFi-Sektor genauer und untersucht, wie sie bekannte Herausforderungen im Kontext von DeFi, wie z. B. das Fehlerpotential beim Aufsetzen von Smart Contracts, fehlende Anreizstrukturen für Investoren oder die Voraussetzungen an die technischen und fachlichen Kenntnisse von Investoren, adressieren, ohne dabei die Stärken von DeFi-Applikationen zu beeinträchtigen.

Herausforderungen von DeFi 1.0[7]

Fehlende Anreizstrukturen

Die Ertragsmöglichkeiten in DeFi-Geschäftsmodellen sind vielfältig, z. B. erhalten Liquidity Provider auf Decentralized Exchanges (DEX) für die von ihnen zur Verfügung gestellte Liquidität einen Anteil an den Handelsgebühren. Genauso erhalten Kreditgeber eine Gebühr für die Bereitstellung von Kapital in dezentralen Borrowing-Lending-Applikationen. Die Suche nach der maximal möglichen Rendite im Kontext von DeFi-Applikationen wird als Yield Farming bezeichnet. Zusätzlich zu den erwirtschafteten Erträgen durch z. B. Bereitstellung von Digital Assets, erhalten Investoren oftmals eigene Token der DeFi-Applikation, welche sie an Börsen handeln können. Oftmals wählen Investoren die DeFi-Applikation mit dem aktuell maximalen Ertrag aus Yield Farming und Liquidity Mining und transferieren Digital Assets rasch zu einer anderen Applikation, wenn diese bessere Konditionen bieten kann, z. B. indem sie höhere Rewards für das Bereitstellen von Kapital auszahlt. In DeFi 1.0 bestehen fast keine Anreize für Investoren, sich längerfristig in einer DeFi-Applikation zu engagieren, was wiederum die Liquiditätskosten für die Protokollbetreiber in die Höhe treibt da höhere Anreize für die Liquidity Provider durch das DeFi-Protokoll bereitgestellt werden müssen

Skalierung

Eine weitere Herausforderung besteht in der Skalierungsfähigkeit von DeFi-Applikationen. Die Skalierungsfähigkeit einer Blockchain ist Bestandteil des sogenannten Blockchain-Trilemmas, welches das Spannungsfeld zwischen Skalierbarkeit, Dezentralität und Sicherheit beschreibt. Durch eine höhere Gewichtung eines Faktors, werden die beiden anderen Faktoren (in diesem Falle z. B. die Sicherheit und die Dezentralität) negativ beeinflusst[8]. Die Skalierungsfähigkeit beschreibt, wie viele Transaktionen eine Applikationen bei vorwiegend gleichbleibender Geschwindigkeit und Transaktionskosten (Gas-Fees) verarbeiten kann Sie hängt vor allem von der Skalierungsfähigkeit der zugrundeliegenden Layer-1-Blockchain ab. Als Layer-1-Blockchain werden Blockchainprotokolle bezeichnet, auf welchen weitere Applikationen oder Anwendungen aufgebaut sind. Diese Applikationen oder Anwendungen verwenden die zugrundeliegende Architektur der Layer-1-Blockchain (z. B. Ethereum) mit allen Vor- und Nachteilen, um die eigene Anwendung (z. B. DEX) zu betreiben. Einer der Hauptgründe für die schwierige Skalierung von DeFi-Applikationen ist die Verwendung der Ethereum-Blockchain als Settlement Layer für Transaktionen. Ein Grossteil der DeFi-1.0-Applikationen ist auf Grund der Verfügbarkeit von Smart Contracts sowie des stabilen technischen Grundgerüstes auf Ethereum aufgebaut und nutzt diese Blockchain für das Settlement von Transaktionen (Settlement Layer). Unter dem Begriff Settlement wird in diesem Kontext die Verbuchung von Transaktionen auf der Blockchain verstanden. Dies beinhaltet die Abfrage der Bestände des sendenden Public Keys, das Mining des Blocks mit den Transaktionsdetails, die Zurechnung an den empfangenden Public Key und die Mitteilung («Broadcasting») der abgeschlossenen, korrekten Transaktion an die weiteren Blockchain-Teilnehmer sowie Nodes. Die Unveränderbarkeit der erfassten Transaktionen auf dem Settlement Layer ist essenziell für die automatische Abwicklung von Smart Contracts, da Transaktionen nicht vor Ausführung nochmals durch einen (zentralen) Intermediär geprüft werden. Der Settlement Layer Ethereum ist somit die Single Source of Truth für alle Transaktionen von DeFi-Applikationen, welche die Ethereum-Blockchain als Grundlage verwenden.

Die Ethereum-Blockchain besitzt als nach Marktkapitalisierung[9] zweitgrösste Blockchain eine sehr starke Dezentralisierung; die hohen Transaktionskosten sowie beispielsweise die vergleichsweise langsamen Blockzeiten stehen einer Skalierung der DeFi-Applikationen jedoch im Weg[10]. Die Transaktionskosten setzen sich aus dem verfügbaren Speicherplatz pro Block sowie der Blockzeit (der zeitlichen Dauer, bis ein neuer Block an eine Blockchain angehängt wird) zusammen. Je kleiner der verfügbare Speicherplatz pro Block sowie je höher die Blockzeit, desto grösser die Kosten pro Transaktion. Die Ethereum-Blockchain möchte mit dem anstehenden Wechsel des Konsensmechanismus von Proof-of-Work zu Proof-of-Stake einen ersten Schritt in Richtung Skalierbarkeit machen[11].

Verständnis von DeFi

Die Handhabung des eigenen Private Keys, der Transaktionen an und von DeFi-Applikationen sowie die Partizipation an DeFi-Geschäftsmodellen an sich, ist komplex und setzt Vorwissen voraus. Oftmals ist weiteres technisches sowie finanzfachliches Spezialwissen für die erfolgreiche Partizipation an DeFi-Geschäftsmodellen notwendig. Beispielsweise, welche Auswirkungen die Veränderung von Preisbändern bei der Einlieferung von Handelspaaren in DEX haben oder wie Governance-Token für Yield Farming möglichst effektiv genutzt werden. Ersteres beeinflusst die Ertragsmöglichkeiten für Liqudity Provider, da die Preisbänder den finanziellen Rahmen für das eigene Angebot (Kauf- & Verkaufspreis des bereitgestellten Handelspaares) abstecken. Governance-Token stellen einen wesentlichen Ertragsbestandteil von DeFi-Geschäftsmodellen dar und können im Rahmen von Liquidity Mining weiter verliehen werden. Ohne ein grundlegendes Verständnis von DeFi sowie den zugrundeliegenden DeFi-Geschäftsmodellen erhöht sich das Risiko für Investoren deutlich.

Dezentralität

Die Dezentralität von DeFi-Applikationen hängt zum einen davon ab, wie viele Token von einzelnen Parteien, z. B. den Entwicklern oder grösseren Investoren gehalten, werden und wie viele sich tatsächlich im freien Umlauf befinden. Wird ein grosser Anteil Token von einer geringen Anzahl an Blockchain-Teilnehmern gehalten, können diese Teilnehmer z. B. die Weiterentwicklung des Protokolls stark beeinflussen oder bei einer Veräusserung der gehaltenen Token den Kurs beeinflussen. Zum anderen hängt die Dezentralität davon ab, wer die Kontrolle über die Nodes besitzt, die am Konsensmechanismus beteiligt sind. Insbesondere neue DeFi-Applikationen mit eigener Blockchain betreiben die ersten Nodes alle selbst, bis sich eine genügend grosse Community gebildet hat. Durch diese faktische Zentralisierung der Nodes beim Entwicklerteam ist der Dezentralitätsgrad von neuen DeFi-Applikationen mit eigener Blockchain ernsthaft in Frage zu stellen.

Damit DeFi-Applikationen eine breitere Adoption erfahren und massentauglich werden, müssen die hier dargestellten Schwachstellen bzw. Optimierungspotentiale von DeFi 1.0 behoben werden. DeFi 2.0 versucht genau dies mithilfe einiger neuer Ansätzen.

DeFi 2.0

Die Stärken aus DeFi 1.0 sollen durch DeFi 2.0 weiter ausgebaut und die bestehenden Schwächen adressiert werden. Hierbei werden sowohl technische Lösungen zur Behebung der Schwächen eingesetzt (z. B. Smart-Contract-Versicherungen auf Blockchain-Basis) als auch neue Anreizsysteme für Investoren, um Liquidität länger in Liquidity oder Lending Pools zu halten. In diesem Abschnitt werden Lösungsansätze exemplarisch vorgestellt und wenn möglich mit einem Praxisbeispiel unterlegt.

Smart Contracts

Für die Abwicklung von dezentralen Finanztransaktionen ohne zentrale Intermediäre werden programmierte Smart Contracts verwendet. Sollte der Smart Contract Fehler aufweisen oder von Dritten attackiert werden, sind die darin blockierten Digital Assets in Gefahr. Um im Falle eines Angriffs oder eines fehlerhaften Smart Contracts die Rückerstattung zumindest eines Teils der Assets sicherzustellen, wurden dezentrale Smart-Contract-Versicherungen entwickelt. Die Versicherung funktioniert insofern ähnlich wie eine klassische Versicherung, als sich die notwendigen Mittel aus den Beiträgen der Versicherten zusammensetzen und bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Geschädigte einen Teil der verlorenen Assets zurückerhalten können. Ein Beispiel für eine solche Smart-Contract-Versicherung ist Nexus Mutual. Im Gegensatz zu einer klassischen Versicherung, die sich strikt an die im Vertrag festgehaltenen Geschäftsbedingungen hält, entscheiden bei Nexus Mutual die Mitglieder des Claims Assessment Comittees, ob dem Antrag auf Auszahlung der Versicherungssumme stattgegeben wird[12].Grundsätzlich kann jeder Token-Halter als Claims Assessor agieren. Zu diesem Zwecke stakt[13] der Claims Assessor einen bestimmten Betrag des Nexus-Tokens für einen vorher definierten Zeitraum. Um ein ehrbares Verhalten der Claims Assessors sicherzustellen, wacht ein Beratungskomitee über ihre Aktivitäten. Bei einem betrügerischen Verhalten des Claims Assessors kann dieser den gesamten Bestand der gestakten Nexus-Token verlieren[14].  

Neue Anreizsysteme für Investoren

Als Anreiz für Investoren, die Digital Assets länger in einer DeFi-Applikation zu halten, werden in DeFi 2.0 neue Anreizsysteme eingesetzt. Ein Beispiel ist OlympusDAO, ein DeFi-Projekt, welches eine stabile Währung im DeFi-Sektor etablieren möchte. Um dies zu erreichen, nimmt OlympusDAO für die eigene Währung OHM eine ähnliche Rolle wie eine Nationalbank in einer klassischen Volkswirtschaft ein: Sie steuert die Geldmenge, führt dem Markt neues Geld zu oder entzieht dem Markt wieder Geld, um den Wechselkurs zu stabilisieren. Gedeckt werden die OHM-Token zu 100 % mit dem Stablecoin DAI. In dieser Rolle kauft OlympusDAO von den Investoren DAI-Token , anstatt dass die Investoren die Digital Assets dem Pool leihweise zur Verfügung stellen (wie beispielsweise in einer klassischen DeFi-1.0-Applikation). Diese Assets werden für das Treasury der OHM-Token verwendet. Die Investoren können nach einer bestimmten Zeitperiode den OlympusDAO-Token OHM für einen vereinbarten Discount beziehen («Bonding»)[15]. Durch die zeitlich versetzte Auszahlung des OHM wird die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass die Investoren den OHM-Token bei Erhalt direkt gegen ein anderes Asset tauschen und somit dem Protokoll Liquidität entziehen. Im Gegensatz zu einem Stablecoin wie USDC oder Tether ist der Anspruch von Olympus nicht, eine 1:1-Bindung an eine gesetzliche Währung beizubehalten, sondern eine Deckung der eigenen Bestände durch ein Digital Asset sicherzustellen. Dadurch soll dem OHM-Token ein gewisser Wert beigemessen werden können. In der Praxis ist der Kurs des OHM-Token mit einem Preispremium versehen, welches die hohen Staking-Rewards für das Staking von OHM-Token und das zugrunde liegende Treasury in DAI widerspiegelt[16].

Skalierung

Wie im ersten Teil des Beitrags angesprochen, ist ein grosses Hindernis für die Skalierung von DeFi-Applikationen die begrenzte Skalierbarkeit der Ethereum-Blockchain. Erste Schritte zur Lösung sollen in naher Zukunft durch den Wechsel der Ethereum-Blockchain von Proof-of-Work (PoW) zu Proof-of-Stake angegangen werden. Zusätzlich werdenmit Shard-Chains und der Beacon-Chain eine neue Struktur der Ethereum-Blockchain geschaffen (Voraussichtlich 2023 verfügbar). Shard-Chains sind zusätzliche Chains, welche jeweils einen Teil der Transaktionen einer Blockchain verarbeiten. Durch die Aufteilung von Transaktionen auf Shards werden Transaktionen parallel abwickelbar und tragen so zur Skalierung der Ethereum-Blockchain bei. Shard-Chains werden als On-Chain-Skalierungslösung bezeichnet und sind Bestandteil der Layer-1-Lösung[17].

Zusätzlich bieten Layer-2-Lösungen eine Skalierung der zugrundeliegenden Layer-1-Blockchain an. Beispiele für Layer-2-Lösungen sind unter anderem Sidechains (siehe Polygon-Beispiel in diesem Abschnitt) oder zk-Rollups (zero knowledge Rollups), welche Transaktionen zu Badges zusammenfassen und gesammelt abwickeln[18].

Ein Beispiel für die Nutzung von Sidechains ist die Polygon-Blockchain[19]. Side-Chains sind Blockchains, welche über einen eigenen Konsensmechanismus sowie oftmals auch eigene Token verfügen. Transaktionen, die auf der Sidechain getätigt werden, werden dort zunächst gebündelt und verarbeitet und im Anschluss auf die Main Chain übertragen. Die Polygon-Blockchain sichert ihre Transaktionen auf der Ethereum-Blockchain[20]. Innerhalb der Polygon-Blockchain können Digital Assets beliebig transferiert werden und durch den skalierbareren Konsensmechanismus «Proof-of-Stake»[21] finden diese Transfers rascher und kostengünstiger statt, als wenn für diese Transaktionen die Ethereum-Blockchain verwendet werden würde. Um die Sicherheitsvorteile der Ethereum-Blockchain (z. B. Dezentralität, Konsensmechanismus, Anzahl Nodes etc.) weiterhin nutzen zu können, werden die Informationen zu den Transaktionen auf der Polygon-Blockchain auch auf der Ethereum-Blockchain veröffentlicht. Durch die Prozessierung der eigentlichen Transaktion auf der Polygon-Blockchain werden die Skalierungshindernisse auf der Ethereum-Blockchain (wie erwähnt z. B. die hohen Gas-Fees, die längeren Blockzeiten etc.) grundsätzlich gelöst. Bekannte DeFi-Applikationen, welche die Polygon-Blockchain nutzen, sind z. B. die DEX Curve.fi oder der dezentrale Borrowing-Lending-Service von Aave, auf den ich schon im zweiten Beitrag dieser Reihe eingegangen bin[22]

User Experience

Die Interaktion mit DeFi-Applikationen setzt ein Grundwissen im Bereich Blockchain voraus. So muss ein Nutzer z. B. wissen, wie Transaktionen mit dem eigenen Private Key durchgeführt werden oder wie Digital Assets über verschiedene Blockchains transferiert werden können. Die Komplexität von DeFi-Geschäftsmodellen sowie der vielfältigen, ihnen zugrunde liegenden Blockchains macht das Management der eigenen DeFi-Assets zu einer zeitaufwändigen und komplexen Tätigkeit. Für die Steigerung der DeFi-Nutzung ist somit ein detailliertes technisches Wissen in der breiten Bevölkerung notwendig oder eine Vereinfachung im Umgang mit DeFi-Applikationen und den eigenen Digital Assets. Letzteres möchte das deutsche Unternehmen «Unstoppable Finance»[23] erreichen, indem es eine Wallet für Endnutzer anbietet, welche verschiedene Blockchains abbildet und Transfers zwischen verschiedenen Blockchains ermöglicht. So können sowohl Digital Assets einfach zwischen unterschiedlichen Blockchains transferiert werden als auch die aktuellen Bestände pro Blockchain an einem Ort eingesehen werden.

Dezentralität

Der Dezentralitätsgrad einer Blockchain ist neben der Skalierung ein weiterer Bestandteil des oben angesprochenen Blockchain Trilemmas[24]. Je dezentraler eine Blockchain organisiert ist, desto höher die Sicherheit, da eine grössere Anzahl an unabhängigen Teilnehmern die Transaktionen auf der Blockchain bestätigen. Auf der anderen Seite verlangsamt eine hohe Dezentralität die Transaktionszeit durch mehr notwendige Bestätigungen. Eine weitere Herausforderung eines hohen Dezentralitätsgrades sind Updates sowie Weiterentwicklungen der Blockchain, welche von den einzelnen (dezentralen) Token-Haltern mittels Abstimmung vor der Implementierung abgesegnet werden müssen. Beispielsweise hat der Vorschlag für die Einführung von SegWit (Verkleinerung der Blockgrösse und damit eine tieferer Blockzeit) auf der Bitcoin-Blockchain bereits 2015 stattgefunden, die Implementierung mit einer Softfork hat allerdings erst 2017 begonnen. Da es sich bei der Implementierung um eine Softfork gehandelt hat, bleibt die ursprüngliche Bitcoin-Blockchain weiter gültig und Teilnehmer können entscheiden, welcher Standard für eine Transaktion genutzt werden soll[25].
Die tendenziell geringere Anzahl an Transaktionen pro Sekunde (TPS) einer stark dezentralen Blockchain können durch entsprechende Konsensmechanismen (z. B. Proof-of-Stake) oder durch eine geeignete Blockchain-Architektur abgefangen werden. Daher auch die Umstellung der Ethereum-Blockchain. Neue Layer-1-Blockchains wie Cardano («ADA») oder Solana («SOL») möchten sich als Alternative zu Ethereum positionieren und durch eine höhere Anzahl TPS sowie den Proof-of-Stake-Konsensmechanismus bei vergleichsweise gleichbleibender Sicherheit eine Skalierung von DeFi-Applikationen ermöglichen. Dies wird unter anderem durch eine entsprechende Architektur der zugrundeliegenden Blockchain erreicht, z. B. besteht die Cardano-Blockchain aus zwei Teilen: Dem Settlement-Layer zur Abwicklung von Transaktionen[26] und dem Computation Layer, welcher die Regeln für die Abwicklung von Transaktionen bereitstellt, z. B. Regeln für programmierbare Token[27]. Durch die Aufteilung der Tätigkeiten in zwei Layer, können Transaktionen auf dem Settlement-Layer rascher durchgeführt werden. Gerade Cardano beansprucht für sich, dass alle Blöcke der Cardano-Blockchain durch Staking-Pools der Community erstellt werden und somit eine dezentrale Verteilung der Staking-Rewards sichergestellt wird[28]. Wenn das Gegenteil der Fall wäre, d. h. würden die Cardano-Entwickler oder frühe Investoren einen Teil der Staking-Pools betreiben, könnte von keiner konsequenten Dezentralität des Protokolls gesprochen werden. Wie sich zeigt, besitzt Cardano ebenfalls Potential im Kontext von Dezentralität, da rund 16 Prozent aller verfügbaren ADA-Token – ADA ist das native Token der Cardano-Blockchain – sich unter der Kontrolle von wenigen Investoren befinden[29]. Im Vergleich zu der Anzahl DeFi-Applikationen auf der Ethereum-Blockchain hat Cardano deutlich Nachholbedarf, aktuell sind lediglich 73 DeFi-Applikationen auf Cardano[30], 203 auf Ethereum[31].

Konklusion

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Herausforderungen von DeFi 1.0 vonseiten der DeFi-Industrie durch angepasste Mechanismen sowie Aggregationen mit einer hohen User Experience adressiert werden. Dennoch stehen diese Lösungen erst am Anfang, sie sind oftmals auf einzelne Protokolle beschränkt und beschreiben noch keinen Marktstandard. Vornehmlich sind Herausforderungen im Kontext der Dezentralität vorhanden, welche auch mit DeFi 2.0 nicht final gelöst werden. Insbesondere wird spannend sein zu verfolgen, wie sich das Verhältnis von Ertrag und Risiko in DeFi-Applikationen einpendeln wird. Es ist davon auszugehen, dass sich sowohl Erträge als auch Risiken mit zunehmender Maturität der DeFi-Industrie verringern werden. Im zweiten Beitrag dieser Serie wurde das Thema Regulatorik angeschnitten, welches für eine grössere Adaption von DeFi zwingend adressiert werden muss.

Aktuelle Marktbewegungen und die Konkurse von grossen DeFi-Applikationen wie Celsius und dem Hedgefonds 3 Arrow Capital sorgen für negative Einflüsse auf Kurse und die öffentliche Wahrnehmung von DeFi. Mittel- bis langfristig sind diese Fälle aber sehr wertvoll für die DeFi-Industrie, da sie der Maturität der Industrie durch risikomindernde Massnahmen oder Smart-Contract-basierte Sicherheitsnetze für Investments zuträglich sind.

Abschluss der Beitragsserie

Decentralized Finance ist seit dem DeFi-Sommer 2020 den anfänglichen Kinderschuhen entwachsen und eine feste Grösse in der Blockchain-Industrie geworden. Für Banken bieten sich verschiedenste Chancen und Herausforderungen im Umgang mit der vermeintlichen Disruption. Dennoch befinden sich die Entwicklungen noch im Anfangsstadium und eine Massenadaption von DeFi bei Privat- und Geschäftskunden ist noch nicht erreicht. Ungeachtet der aktuellen Marktsituation ist das zugrundeliegende Konzept von DeFi relevant für Banken und die Auseinandersetzung mit dem Thema unabdingbar. Exogene Faktoren wie Regulierungen werden die DeFi-Industrie weiter reifen lassen und eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den Auswirkungen auf das eigene Geschäftsmodell kann vor allzu bösen Überraschungen schützen.


[1] DeFi Llama, 2022 (DeFi Llama, 2022); abgerufen am 5.8.2022, von https://defillama.com/

[2] Zur Erinnerung: Yield Farming bezeichnet die Verleihung von Token zur Generierung von Zinseinkünften. Für das Zurverfügungstellen von Kapital erhalten die Investoren wiederum Token, die sie an anderer Stelle ebenfalls verleihen können.

[3] 13 Biggest DeFi Hacks and Heists, 2022 (Decrypt, 2022); Abgerufen am 2.7.2022, von https://decrypt.co/93874/biggest-defi-hacks-heists

[4] Weitere Informationen: Coindesk, 2022; Abgerufen am 1.7.2022, von https://www.coindesk.com/learn/the-fall-of-terra-a-timeline-of-the-meteoric-rise-and-crash-of-ust-and-luna/

[5] Weitere Informationen: Coindesk, 2022; Abgerufen am 1.7.2022, von https://www.coindesk.com/business/2022/06/30/crypto-lender-celsius-network-exploring-options-to-preserve-and-protect-assets/

[6] Weitere Informationen: Coindesk, 2022; Abgerufen am 1.7.2022, von https://www.coindesk.com/business/2022/06/29/genesis-faces-hundreds-of-millions-in-losses-as-3ac-exposure-swamps-crypto-lenders-sources/

[7] DeFi 1.0 und DeFi 2.0 sind keine trennscharfen Begriffe, sondern stehen für die erste Welle an DeFi-Anwendungen, deren Schwachstellen mittlerweile gut bekannt und dokumentiert sind (DeFi 1.0) und eine Reihe neuerer Anwendungen, die versuchen, eben diese Schwachstellen zu beheben.  

[8] Das Blockchain Trilemma (Crypto Valley Journal, 2020); Abgerufen am 7.7.2022, von https://cvj.ch/fokus/hintergrund/das-blockchain-trilemma/

[9] Coinmarketcap, 2022 (Coinmarketcap, 2022); Abgerufen am 2.7.2022, von https://coinmarketcap.com/

[10] Why Ethereum Users Tolerate Exorbitant Gas Fees (coindesk.com, 2022); Abgerufen am 5.7.2022, von https://www.coindesk.com/layer2/2022/02/17/why-ethereum-users-tolerate-exorbitant-gas-fees/

[11] Die Zusammenführung (Ethereum.org); Abgerufen am 8.8.2022, von https://ethereum.org/de/upgrades/merge/

[12] Nexus Mutual (Nexus Mutual, 2022); Abgerufen am 2.7.2022, von https://nexusmutual.io/

[13] Dt. 3. Pers. Sing. von staken

[14] Claims Assessment (Nexus Mutual, 2021); Abgerufen am 15.5.2022, von https://nexusmutual.gitbook.io/docs/claims-assessment/claims-assessment

[15] Bonding (Olympus, 2022); Abgerufen am 2.7.2022, von https://docs.olympusdao.finance/main/basics/bonding

[16] Coinmarketcap (Coinmarketcap, 2022); Abgerufen am 10.8.2022, von https://coinmarketcap.com/currencies/olympus/

[17] Scaling (Ethereum.org, 2022); Abgerufen am 10.8.2022, von https://ethereum.org/en/developers/docs/scaling/

[18] Blockchain Layer 1 vs. Layer 2 Scaling Solutions (Binance, 2022); Abgerufen am 10.8.2022, von https://academy.binance.com/en/articles/blockchain-layer-1-vs-layer-2-scaling-solutions

[19] Polygon (Polygon, 2022); Abgerufen am 5.7.2022, von https://polygon.technology/solutions/polygon-pos/

[20] Sidechains (Ethereum.org, 2022); Abgerufen am 5.7.2022, von https://ethereum.org/en/developers/docs/scaling/sidechains/  

[21] Wie der Proof of Stake funktioniert, kann in diesem Beitrag von Colin Halblützel nachgelesen werden.

[22] Top Polygon DeFi Apps (DappRadar, 2022); Abgerufen am 5.7.2022, von https://dappradar.com/rankings/protocol/polygon/category/defi

[23] Why DeFi needs a curation layer : introducing the Unstoppable Finance protocol valuation framework (Unstoppable Finance, 2022) ; Abgerufen am 5.7.2022, von https://medium.com/@unstoppablefinance/why-defi-needs-a-curation-layer-introducing-the-unstoppable-finance-protocol-evaluation-framework-b55fdae29603

[24] Das Blockchain Trilemma (Crypto Valley Journal, 2020); Abgerufen am 7.7.2022, von https://cvj.ch/fokus/hintergrund/das-blockchain-trilemma/

[25] Was ist SegWit (Seggregated Witness) und wie funktioniert es? (Bitpanda, 2022); Abgerufen am 10.8.2022, von https://www.bitpanda.com/academy/de/lektionen/was-ist-segwit-segregated-witness-und-wie-funktioniert-es/

[26] Designing In Layers – Cardano Settlement Layer (Why Cardano, 2020); Abgerufen am 10.8.2022, von https://why.cardano.org/en/introduction/designing-in-layers/

[27] Cardano Computation Layer (Why Cardano, 2020) ; Abgerufen am 10.8.2022, von https://why.cardano.org/en/introduction/cardano-computation-layer/

[28] Twitter (Input Output, 2021); Abgerufen am 5.7.2022, von https://twitter.com/InputOutputHK/status/1377376420540735489?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1377376420540735489%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Ffinance.yahoo.com%2Fnews%2Fcardano-blockchain-achieves-100-decentralization-220615285.html

[29] Cardano-Wale halten über 16 Prozent aller ADA (BTC-Echo, 2022); Abgerufen am 5.7.2022, von https://www.btc-echo.de/schlagzeilen/cardano-wale-halten-ueber-16-prozent-aller-ada-138382/

[30] Dapps (CardanoCrowd, 2022); Abgerufen am 5.7.2022, von https://cardanocrowd.com/dapps

[31] Ethereum DeFi Ecosystem (defiprime.com, 2022); Abgerufen am 5.7.2022, von https://defiprime.com/ethereum#:~:text=We%20have%20226%20DeFi%20projects,of%20them%20built%20on%20Ethereum.


Dominik Jocham

Was sind Deine Erfahrungen mit dem Thema? (Kommentieren geht auch ohne Anmeldung oder Einloggen; einfach kommentieren, auf Freigabe warten und fertig!)