Kollaborative Wertschöpfung in digitalen Ecosystemen: Erfolgsfaktoren am Beispiel einer Blockchain-basierten Tokenization Plattform 

Nahezu alle Unternehmen agieren heute in Ecosystemen. Traditionelle Geschäftsnetzwerke weichen diesem neuen Wertschöpfungsmodell, in denen mehrere Organisationen zusammenarbeiten, um die Bedürfnisse der Kunden effektiver zu erfüllen. Dieser Wandel hin zu einer Ecosystem-basierten Wertschöpfung erfordert eine effiziente Koordination und den Einsatz von Technologie. Ein innovativer Wegbereiter für die Etablierung digitaler Ecosysteme ist hierbei die Blockchain. Doch welcher Fähigkeiten bedarf es sich als Akteur an diesen neuen Plattformen zu beteiligen?  

In diesem Beitrag werden wir uns diese Plattformen an einem bestehenden Beispiel näher anschauen und erste Erkenntnisse für Erfolgsfaktoren bei der gemeinsamen Wertschöpfung ableiten. Die Ergebnisse basieren auf einer Forschungsstudie, welche federführend in Zusammenarbeit mit der Universität Bern entstanden ist. Zu diesem Zweck wurde eine Fallstudie über eine Schweizer Blockchain-basierte Plattform im Finanzdienstleistungssektor durchgeführt. Aus der organisatorischen Perspektive konnten bereits neue Fähigkeiten identifiziert werden, welche differenziert über die Entwicklungsstufen des Ecosystems betrachtet werden müssen.  

Blockchain als Enabler digitaler Ecosysteme 

Vorbei sind die Zeiten, in denen ein einziges Unternehmen alle Kundenbedürfnisse befriedigen konnte. Ecosysteme sind als dynamische Netzwerke miteinander verbundener Unternehmen entstanden, wie z. B. Hersteller, Softwareanbieter und Banken, die zusammenarbeiten, um Werte zu schaffen. Diese Ecosysteme erfordern eine effiziente Koordination zwischen den Teilnehmern. Um diese Komplexität zu bewältigen, wenden sich Unternehmen neuen Technologien wie Blockchain zu, um eine nahtlose Zusammenarbeit zu ermöglichen und die Wertschöpfung zu verbessern. 

Die Blockchain-Technologie, die auch als Distributed-Ledger-Technologie (DLT) bekannt ist ermöglicht den Betrieb von verteilten Datenbanken (d.h. Distributed Ledger), die dezentral organisiert sind [1]. Auf dieser Grundlage können Services auf verteilten Ledger abgebildet werden, um z.B. Transaktionen zwischen Akteuren (z. B. Unternehmen) aufzuzeichnen und assoziierte Prozesse durch formalisierte Geschäftslogiken (d. h. Smart Contracts) automatisiert auszulösen. DLT-Systeme können mehrere Softwareanwendungen hosten, die von jedem Mitglied des Systems genutzt werden können. Zum detaillierten Nachlesen haben wir bereits in einem vorherigen Blogbeitrag grundlegend die Funktionsweise der Blockchain-Technologie beschrieben. 

Dieser dezentrale Ansatz ermöglicht nicht nur einen sicheren Datenaustausch in Ecosystemen, sondern auch gemeinsame Prozessmodelle für eine kollaborative Wertschöpfung. Aufbauend auf diesem Konzept schafft die Integration der Blockchain-Technologie ein neues Paradigma: Akteure können zusammengebracht werden und sich um eine digitale Plattform gruppieren.  

Die Relevanz organisatorischer Fähigkeiten steigt 

In diesem Umfeld Bedarf es neuer Fähigkeiten für die teilnehmenden Akteure. Die Nutzung der Blockchain zur Erleichterung einer effizienten gemeinsamen Wertschöpfung birgt nicht nur technische Herausforderungen, sondern auch strukturelle Hürden [2]. Die gemeinsame Erstellung von Dienstleistungen erfordert eine gemeinsame Vision aller Teilnehmer, während die Operationalisierung der Wertschöpfung von effektiven Prozessen und der richtigen Bereitstellung von Ressourcen abhängt [3]. Im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen können besondere Fähigkeiten erforderlich sein, insbesondere aufgrund des stark regulierten Charakters von Märkten wie dem Schweizer Finanzmarkt, wo ein proaktiver Umgang mit den Aufsichtsbehörden für die Einführung neuer Dienstleistungen unerlässlich ist. 

In den letzten Jahren haben die immateriellen Ressourcen von Unternehmen, wie ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und ihr Wissen, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Bei der Betrachtung von Unternehmen gibt es zwei Hauptperspektiven: die wissensbasierte Perspektive und die ressourcenbasierte Perspektive. Die wissensbasierte Perspektive geht davon aus, dass die Fähigkeiten eines Unternehmens, d. h. seine Fähigkeit, seine Ressourcen effektiv zu gestalten, umzusetzen und zu nutzen, um seine Ziele zu erreichen, ihm einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Im Bereich der Informationssysteme gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie die IT zu den Fähigkeiten eines Unternehmens beiträgt. Einige sehen in der IT eine wertvolle Ressource, betonen aber auch die entscheidende Rolle der Mitarbeiter bei der effektiven Nutzung der IT.  

Jüngste Studien haben untersucht, wie Unternehmen innerhalb digitaler Plattform-Ökosysteme Fähigkeiten entwickeln und zusammenarbeiten können, um gemeinsame Werte zu schaffen. Zu diesen Fähigkeiten gehören die Fähigkeit zur Innovation, zur Orchestrierung, zur Zusammenarbeit im Vertrieb und zur Schaffung einer gemeinsamen Vision. Abbildung- 1 gibt einen beispielhaften Überblick über die organisatorischen Fähigkeiten aus der Forschung nach Schreieck et al. (2021, p. 369). 

Ressource  Organisatorische Fähigkeit  Beschreibung  
Human  IS Technical Skills  Die Fähigkeit eines Unternehmens, die aktuellen Kenntnisse seiner Mitarbeiter in Bezug auf Hardware und Software zu nutzen  
Technology  IS Infrastructure  Die Fähigkeit eines Unternehmens, IT-Ressourcen, einschliesslich Hardware, Software und Netzwerktechnologien, in Kombination mit anderen Ressourcen und Fähigkeiten zu mobilisieren und einzusetzen  
IS Development  Die Fähigkeit eines Unternehmens, auf neuen Technologien basierende Lösungen umzusetzen, verbunden mit der Wachsamkeit gegenüber Innovationen und Trends  
IS Planning & Change Management  Die Fähigkeit eines Unternehmens, technologische Veränderungen zu antizipieren und den Einsatz von IS entsprechend zu planen  
Relationship  Structural IT Governance  Die Fähigkeit eines Unternehmens, „Geschäfts- und IT-Management-(Entscheidungs-) Funktionen“ zu alignieren und den Austausch zwischen ihnen zu ermöglichen.  
Process IT Governance  Die Fähigkeit eines Unternehmens, „strategische IT-Entscheidungsfindung zu formalisieren und zu institutionalisieren“.  
Relational IT Governance  Die Fähigkeit eines Unternehmens, „Kompetenzen zu koordinieren und Wissen über Unternehmensgrenzen hinweg zu kombinieren“.  
Digital Business Innovation  Die Fähigkeit der Ecosystem Teilnehmer, sich zu organisieren und zu koordinieren, um gemeinsam neue Wege für Innovation zu erkunden, die von der IT unterstützt werden  
Abbildung 1: Übersicht organisatorischer Fähigkeiten aus der IS-Forschung nach Schreieck et al. (2021, S. 369). 
Fallstudie: Kollaborative Wertschöpfung auf einer Blockchain-basierten Tokenization Plattform 

Eine Übersicht für den Technologieeinsatz und damit verbundenen relevanten Fähigkeiten wurde in der Forschung bisher noch nicht ermittelt. Als zentraler Untersuchungsgegenstand wollen wir diese integrative Perspektive auf die Fähigkeiten beim Einsatz von Blockchain in Ecosystemen liefern. Vor diesem Hintergrund erweitern wir das von Schreieck et al. (2021) ursprüngliche Verständnis von organisatorischen Fähigkeiten unter Berücksichtigung der Blockchain. Um einen realen Einblick in die erforderlichen Fähigkeiten zu geben, befassen wir uns mit einer konkreten Fallstudie, welches die kollaborative Wertschöpfung auf einer Blockchain-basierten Tokenization Platform adressiert. Zur Veranschaulichung wurden die Namen der Akteure vereinfacht.  

In diesem Kontext hat die Bank und Token Venture in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern eine Blockchain-basierte Plattform entwickelt. Sie ermöglicht die Tokenisierung von Wertpapieren von Schweizer KMUs für neue Prozessverbesserungen (z.B. sofortige Abwicklung, automatisierte Verwaltung des Aktionärsregisters) und neue Marktpotentiale bei der Ausgabe, Übertragung und Speicherung von digitalen Vermögenswerten. Die Bank ist mit über 1.200 Mitarbeitern eine der grössten Banken der Schweiz und besteht seit mehr als 150 Jahren. Neben ihrem Bankangebot betreibt sie eine Handelsplattform als Marktführerin für nicht börsennotierte Wertpapiere. Token Venture wurde 2018 gegründet und beschäftigt derzeit mehr als zehn Mitarbeitende. Sie betreiben eine eigene Tokenization-Plattform und bietet Dienstleistungen zur Digitalisierung von Aktien von Schweizer KMUs an, wodurch Prozesse (z.B. Kapitalerhöhungen) erleichtert und effizienter abgewickelt werden können. 

Abbildung 2: Vereinfachte Übersicht des «Minimal Viable Ecosystem» mit relevanten Akteuren im Kontext der Blockchain-basierten Tokenization Plattform 

Die Plattform der Bank basiert auf einer «Public Permissionless Blockchain»1. Zusammen mit einem Bankensoftwareanbieter wird die Verwahrung der entsprechenden kryptographischen Schlüssel über einen weiteren spezialisierten Lösungsanbieter sichergestellt. Darüber hinaus sind alle Module technisch über eine offene Architektur integriert und entsprechen den bestehenden regulatorischen Standards. Initiiert und entwickelt wurde die Plattform von der Innovation Venture. Der erste Proof-of-Concept wurde von Innovation Venture entwickelt, anschliessend wurde der Bank die Plattform produktiv bereitgestellt. Der rechtliche Rahmen für die Tokenisierung der Aktien wurde in Zusammenarbeit mit verschiedenen Rechtsexperten entwickelt. Abbildung 2 gibt einen schematischen Überblick über das digitale Ecosystem. Es wird davon ausgegangen, dass die Nutzung der Blockchain erhebliche Effizienzgewinne und das Potenzial zur weiteren Automatisierung nachfolgender Geschäftsprozesse (z.B. Auszahlung von Dividenden) mit sich bringt. 

Die Schaffung einer gemeinsamen Vision und die Orchestrierung als wesentliche Faktoren für den Aufbau von Ecosystemen 

Die ersten Erkenntnisse deuten darauf hin, dass organisatorische Fähigkeiten ein wichtiger Faktor für die Entstehung des Ecosystems für digitale Vermögenswerte sind. Einerseits waren die technischen Fähigkeiten der Partner von besonderer Bedeutung für die Konzeption der Plattform. Die grundlegenden technologischen Komponenten waren bereits vorhanden, wie z. B. das Handelssystem der Bank, und es war möglich, für die Entwicklung auf bestehende Partnerschaften zurückzugreifen. Spezifische Komponenten im Zusammenhang mit Blockchain mussten jedoch grundlegend neu entwickelt werden.  

Für die kollaborative Wertschöpfung schien die Fähigkeit, neue Geschäftsinnovationen zu entwickeln und diese in die bestehenden Governance-Strukturen und -Prozesse einzuführen, besonders wichtig zu sein. Vor allem die Neuartigkeit der Technologie und der neue Rechtsrahmen schufen Spannungsfelder. In der ersten Analyse haben wir festgestellt, dass zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung s unterschiedliche organisatorische Fähigkeiten erforderlich waren. Die Initiatoren der Studie möchten diesen zeitlichen Aspekt in weiteren Fallstudien genauer untersuchen. 

Darüber zeigt sich, dass die Fähigkeit, Wissen in einem Ecosystem zu teilen und es gemeinsam aufzubauen, eine wesentliche Rolle für dessen Erfolg spielt. Die Akteure verfügen über Wissen in unterschiedlichen Bereichen (Regulation, Technologie und Financial Services). Die Akteure investierten in den Wissensaustausch, um so eine gemeinsame Wissensgrundlage und ein einheitliches Verständnis zu schaffen.  

Die Beobachtungen verdeutlichen zudem, wie wichtig es ist eine gemeinsame Vision zu entwerfen. Diese wurde typischerweise als isoliertes, vom Plattformbetreiber definiertes Konzept verstanden. Im Falle des untersuchten Ecosystems wurde die Vision jedoch von den verschiedenen Interessengruppen gemeinsam gestaltet und geformt. Diese kollektive Gestaltung der Vision wurde bewusst gewählt, um das Engagement der verschiedenen Organisationen für das gemeinsame Unterfangen zu stärken.  

Ein abschliessender und wesentlicher Faktor besteht zudem in der Orchestration des Ecosystems. Die Steuerung des Ecosystems wurde nicht zentral von einem Akteur gesteuert, wie dies in anderen Plattform-Ecosystemen der Fall ist [4], sondern von mehreren Akteuren gemeinsam (Bank und Token Venture). Die Fähigkeit, diese Struktur zu institutionalisieren, war ein entscheidender Faktor für das Entstehen der Plattform.  

Best Practices müssen sich erst noch etablieren 

Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass organisatorische Fähigkeiten eine wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Erfolg von Ecosystemen spielen. Insbesondere in den verschiedenen Entwicklungsstufen eines Ecosystems, wie dem Aufbau oder dem Betrieb, werden die unterschiedlichen Fähigkeiten differenzierend erforderlich. Die Blockchain erweist sich hierbei als ein alternatives IT-Paradigma für den Aufbau von Ecosystemen. Indem sich Unternehmen diese Fähigkeiten als Best Practices zu eigen machen, wird es in Zukunft möglich,- die Komplexität zu bewältigen und neue Wege der Wertschöpfung zu erschliessen. 


Quellen:  
[2] Spohrer, K., & Risius, M. (2022). The Affordances of Blockchain Platforms: Why Service Providers Use Blockchains. In J. Dibbern, J. Förderer, T. Kude, F. Rothlauf, & K. Spohrer (Eds.), Digitalization Across Organizational Levels. Springer. 

[1] Kannengießer, N., Lins, S., Dehling, T., & Sunyaev, A. (2020). Trade-offs between Distributed Ledger Technology Characteris-tics. ACM Computing Surveys, 53(2), 1–37. https://doi.org/10.1145/3379463 

[3] Valkokari, K. (2015). Business, Innovation, and KnowledgeEcosystems: How They Differ and How to Survive and Thrive within Them. Technol. Innov. Manag. Rev., 5(8), 17–24 

[4] Schreieck, M., Wiesche, M., & Krcmar, H. (2021). Capabilities for value co-creation and value capture in emergent platform ecosystems: A longitudinal case study of SAP’s cloud platform. J. Inf. Technol., 36(4), 365-390. 

Roger Heines

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