Der Capability Kompass

Ausgangslage

Der digitale Wandel hat einen spürbaren Einfluss auf die Geschäftstätigkeiten einer Organisation; er wirkt in allen Unternehmensbereichen. Eine große Herausforderung für Organisationen liegt in der Entwicklung der passenden Kultur und in der Anpassungsfähigkeit an die neuen Gegebenheiten, zum Beispiel, traditionelle Bankgeschäfte mit digitalen Angeboten in Einklang zu bringen. Damit diese Transformation gelingen kann, ist eine hohe Veränderungs- und Lernbereitschaft ein Muss, und das über die gesamte Organisation hinweg. Bei Veränderungen muss der Fokus für die Unternehmensführung auf der Ganzheitlichkeit liegen, damit „Organisationsgärtchen“ vermieden werden und eine effektive (was) und effiziente (wie) Transformation durchgeführt werden kann.

Doch, wenn man nun eine Fintech-Integration oder die Digitalisierung von Prozessen als ganzheitliche Transformation betrachtet, dann ist dies zu kurz gedacht. Es geht nicht nur um die Automatisierung etc. und Integration digitaler Produkte, sondern um eine strategische, kulturelle, organisatorische, systemseitige und partnerschaftliche Ausrichtung auf die Endkunden. Damit sind wir bei der Ganzheitlichkeit und wie dieser Rechnung getragen werden kann. Betrachtet man das Individuum an sich, lässt sich feststellen, dass jeder gewisse Kompetenzen besitzt und die Möglichkeit hat, bestehende und neue Kompetenzen zu (weiter-)entwickeln. So ist es auch mit Organisationen und deren Kompetenzen; sie können organisch entwickelt und weiterentwickelt werden.

Damit Unternehmen Unterstützung erhalten auf der Reise der Transformation, gibt es einige Modelle, die eine Struktur bieten und in gewisser Weise den Weg aufzeigen können. Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, was man betrachten soll. Die Komplexität in Unternehmen ist hoch, und meist sind die Problemfelder gar nicht so genau zu benennen. Aussagen wie: „Wir denken unsere Prozesse zu wenig aus der End-to-End-Perspektive“ oder „Wir müssen innovativer und agiler werden“ geben zu wenig Anhaltspunkte, damit das Problem angegangen werden kann. Es benötigt eine strukturierte Herangehensweise zur Schaffung einer Diskussionsbasis und relevante Kriterien als Anhaltspunkte und Messinstrumente, damit eine Transformation (von IST zu Soll) angestoßen werden kann.

Abbildung 1: Transformationsprozess, Quelle: Angelehnt an St.Galler House of Digital Business (IWI-HSG); Osmundsen, Iden, & Bygstad (2018). Digital Transformation: Drivers, Success Factors and Implications. In: Mediterranean Conferance on Information Systems (MCIS) (Vol.37)

Der Capability Kompass

Ein Instrument zur Unterstützung auf diesem Weg ist der Capability Kompass (CK), ein Analyseinstrument (GAP-Analyse) für die ganzheitliche Betrachtung von Transformationsvorhaben. Die Basis für den CK bilden unterschiedliche Modelle (Agile Adoption Framework, Agile Software Solution Framework, Agile Maturity Map, SAFe Measure & Grow, Squad Health Check Model und Deloitte’s Organizational Agile Maturity Assessment) sowie Inputs von Partnern aus dem Kompetenzzentrum Ecosystem des BEI St. Gallen. Die Verifizierung der Kriterien und die damit verbundene Praxiserprobung wurden ebenfalls mit den Partnern des CC Ecosystem durchgeführt. Die enge Zusammenarbeit mit den Partnerbanken ermöglichte die Ausgestaltung dieses validierten Instruments und die stetige Weiterentwicklung.

Abbildung 2: Betrachtete Modelle zur Entwicklung des CK, Quelle: Dissertation Katharina Schache

Der CK basiert auf 135 wissenschaftlich eruierten und praxisgeprüften Kriterien, die eine Betrachtung unterschiedlicher Dimensionen einer Organisation ermöglichen und so ganzheitliche Transformationsvorhaben unterstützen können. Unter Betrachtung ist zu verstehen, dass der Aufbau und die Weiterentwicklung einzelner Fähigkeiten (Kriterium) in einer Kategorie passieren.

Abbildung 3: Business Engineering Model / Ganzheitliche Betrachtung einer Organisation

Die Kriterien, die jeweils eine Fähigkeit der Organisation wieder spiegeln, sind in folgende Kategorien geordnet:

Tabelle 1: Kategorien des CK

Zusätzlich sind die 135 Kriterien auf Themen gemappt, die für Organisationen von hoher Relevanz sind:

Die Themen erlauben eine schnelle Filterung der 135 Kriterien auf die vorhandene Problemstellung. Auf jedes Thema sind zwischen 10-30 Kriterien gemappt, die eine direkte Auswirkung darauf haben. Zum Beispiel zahlt das Kriterium «Effektive IT-Nutzung» auf das Thema «Effizienz» in der Kategorie «IT» ein oder das Kriterium «Förderung der internen und externen Zusammenarbeit» auf das Thema «Kollaboration» in der Kategorie «Strategie & Zweck».

Die Anwendung

Damit man mit den 135 Kriterien arbeiten kann, ist ein einfacher und effizienter Vorgehensansatz wichtig. Der Vorgehensansatz zur Anwendung des CK ist aus unterschiedlichen Methoden hergeleitet:

Im definierten Vorgehen wird empfohlen, dass die Vorauswahl und Endauswahl der Kriterien durch unterschiedliche Parteien gechallenged und die Ableitung von Massnahmen durch die relevanten Stellen durchgeführt wird.

Wobei der entwickelte Vorgehensansatz eine gewisse Flexibilität beinhaltet, sodass individuelle Bedürfnisse berücksichtigt werden können. Der CK ermöglicht die Betrachtung aus zwei grundsätzlichen Perspektiven: IST zu SOLL oder SOLL zu IST. Nach dieser Analyse werden anschließende Handlungsmassnahmen abgeleitet und eine Umsetzungsroadmap aufgestellt. Die Anwendung des CK ist vorgesehen für fünf unterschiedliche Ebenen:

  • Gesamtorganisation
  • Organisationseinheit (OE)
  • Team
  • Führungsebene
  • Externe (Kooperationspartnern & Netzwerkpartnern)

Die Anwendung des Capability Kompass erfordert eine klare Zielfestlegung und Fokussierung, wobei ein Bottom-Up-Ansatz (Ebene Mitarbeitende) oder Top-Down-Ansatz (Ebene Management) gewählt werden kann. Die Auswahl der zu untersuchenden Kriterien für die jeweilige Problemstellung ist entscheidend, und die Diskussion auf Basis dieser Kriterien bildet die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis der Herausforderung. Diese Diskussionen gilt es zu führen bei der Auswahl der Kriterien. Mit 15-25 ausgewählten Kriterien kann, nach unserer Einschätzung, eine gezielte Eingrenzung vorgenommen werden, um die Fragestellung handhabbar zu machen. Die Dauer der Analyse ist variabel und abhängig von der spezifischen Problemstellung. Eine Analyse einer Organisationseinheit wird beispielsweise mit einer geschätzten Dauer von 3-4 Monaten (ohne Umsetzung) veranschlagt, wobei die Verfügbarkeit der Beteiligten und ausreichend Zeit für Kommunikation und Beurteilung der Kriterien berücksichtigt werden müssen. Innerhalb der fünf Ebenen sind unterschiedliche Anwendungskonstellationen möglich. Der Anwendungsbereich des Capability Kompass ist vielfältig. Einige Beispiele zur Inspiration:

  • Standortbestimmung OE «Vertrieb»
  • Prüfung der Innovationskraft und Fähigkeit auf Marktveränderungen reagieren zu können
  • Standortbestimmung der Gesamtorganisation im Kontext Zukunftsgerichteter Fähigkeiten
  • Einschätzung der Verkraftbarkeit einer Organisation für weitere Transformationsvorhaben
  • Einstufung der Agilen Fähigkeiten zweier internen Teams (Produktentwicklung & Vertrieb)
  • Handlungsmassnahmen zur für den steigenden Druck zu Innovation und Veränderungen bei der Rekrutierung von Fachkräften
  • Untersuchung von Kooperationspartnern bei der Umstellung auf Value-Streams
  • GAP-Analyse für die Planung der künftigen Strategieperiode
  • Standortbestimmung der Ausprägung gewünschter bzw. angestrebter Leadership-Kompetenzen
  • Entwicklungspfad von Change-Management Fähigkeiten einer OE
  • Vergleich zweier Abteilungen IT & Vertrieb (internes Benchmarking) bzgl. künftig relevanten Fähigkeiten

Wir hoffen, euch mit diesem Blogbeitrag einen Einblick in den Capability Kompass gegeben zu haben.

Ansprechpartner: joel.eugster@bei-sg.ch.

Joël Eugster

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