Business Ecosystems – Überschätzt oder eine wirkliche Möglichkeit für Finanzdienstleister?

Vor einigen Jahren schien das Thema «Business Ecosystems» der Allheilsbringer für Finanzdienstleistungsinstitute zu sein – alles «MUSSTE» ein Ecosystem sein oder werden.  So zumindest war häufig meine Wahrnehmung.

Nun dreht die Zinskurve und die Erträge aus der Fristentransformation sprudeln wieder – zumindest bei guter Arbeit in den Treasury-Abteilungen in der Vergangenheit … Also alles vorbei mit dem «Ecosystem»? Ich hoffe nicht – und das meine ich nicht nur aus meiner individuellen Perspektive, wo ich doch dieses Phänomen erforsche.

Im Folgenden möchte ich gerne einen Blick auf das Phänomen der Business Ecosystems erläutern, der Möglichkeiten für Banken aufzeigt, die «Denkweise» zu nutzen, um erfolgreich zu sein. Ich bin überzeugt, Business Ecosystems sind «gekommen, um zu bleiben» – um es mit «Wir sind Helden» zu sagen.

Aber zuerst einen kleinen Schritt zurück. Nach einem anfänglichen Hype zu dem Thema scheint mittlerweile etwas Ernüchterung einzusetzen – «wie viele erfolgreiche Business Ecosystems gibt es schon da draußen, ich kenne nur gescheiterte Gedankenschlösser?» fragte mich zuletzt ein Banker. Einen gewissen Gehalt an Wahrheit kann man dem nun nicht absprechen … viele Initiativen scheinen nicht die Power zu entwickeln, die man sich wahrscheinlich erhofft hatte. Große Initiativen, welche «ein Business Ecosystem» darstellen, das die Erträge nur so in die Bücher laufen lässt, fallen zumindest mir nicht ins Auge, wenn ich mir den Bankensektor im DACH-Raum so anschaue. Nun tut eine solche Erwartungshaltung dem Business Ecosystem aber vielleicht auch (noch) Unrecht. Erlauben Sie mir den Versuch einer Einordnung.

Was ist ein Business Ecosystem?

Auch wenn in den letzten Jahren verschiedene Einschätzung zu dem Phänomen entwickelt wurden – von Forschern und Praktikern – so möchte ich mich an die zentrale Idee von Moore halten, welcher als Begründer der Thematik im Management gilt. In einem Artikel (Predators and Prey), welcher 1993 in der Harvard Business Review erschienen ist, beschreibt er, dass Unternehmen nicht alleine agieren, sondern im Zusammenspiel mit anderen Akteuren in ihrem Umfeld Mehrwert für die Kunden schaffen (Moore, 1993). Adner (2006) hat schließlich vorgeschlagen, dass das Erzielen eines möglichst vollständigen Service-Angebots für die Endkunden Ziel von Business Ecosystems sei. Ein Business Ecosystem schlägt er vor als Struktur verschiedener Akteure zu verstehen, die gemeinschaftlich an der Werterzeugung für Kunden beteiligt sind (Adner, 2017). Spannend ist, dass sich Business Ecosystems von anderen gemeinschaftlichen Wertschöpfungsstrukturen insbesondere dadurch abgrenzen, dass sie a) geringere hierarchische Kontrolle einzelner Akteure über andere aufweisen (vgl. Supply-Chains) und b) multilaterale Beziehungen der einzelnen Akteure aufweisen (mehrfache Abhängigkeiten der Akteure in der Erstellung von Wert(en)). Sie ordnen sich grundsätzlich zwischen Markt und Hierarchie ein, wenn man so möchte (vgl. Jacobides, Cennamo and Gawer, 2018).

Was hat die Entwicklung getrieben?

Insgesamt sind aus meiner Sicht zwei Entwicklungen dafür verantwortlich, dass sich Business Ecosystems in den letzten Jahren besonders entwickelt haben – Die Nachfrage von uns Endkunden (1) sowie die technischen Grundlagen (2).

1) Für uns als Endkunden ist es immer selbstverständlicher nahtlose Services zu erhalten, die auch an klassischen Industriegrenzen keinen Halt machen. Große Technologiekonzerne haben uns gezeigt, wie «Convenience» geht und es stellt sich die Frage, warum es so nicht auch bei Finanzdienstleistungen sein sollte.

2) Die technologische Entwicklung ermöglicht die effiziente Vernetzung von verschiedenen Akteuren. Früher war das Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren häufig mit einem hohen Aufwand verbunden. Heute ermöglichen technische Lösungen wie APIs die effiziente Vernetzung verschiedener Akteure.

Warum kann also ein Business Ecosystem spannend sein?

Gerade im Finanzdienstleistungssektor sind die Services, die vom Markt gefordert werden, häufig komplex (i.e. vielschichtig). Möchte ich beispielsweise ein «komplettes» Service-Offering im Bereich Wohnen anbieten – Immobiliensuche, Finanzierung, Hausverwaltung, Vermittlung von Pflege, Zusatzservices (mein Lieblingsbeispiel wäre ja der «Grüner-Rasen-as-a-Service») und weitere, so wird es ein ziemliches Portfolio, welches ein Finanzdienstleister allein anbieten müsste. Die einzelnen Services gehen dabei auch weit über das eigentliche Finanzgeschäft hinaus. Das an sich ist weder schlecht noch gut – nur wenn ich als Bank die Kompetenz hier aufbauen möchte, ist es sicherlich teuer (und ggf. nicht wirklich sinnvoll …). In einem Business Ecosystem wird die Möglichkeit geboten, dass auch komplexe Service-Offerings für den Kunden («möglichst vollständiges Service-Angebot») durch verschiedene Akteure gemeinschaftlich zur Verfügung gestellt werden. Letztlich erhalte ich als Endkunde so ein Angebot, welches ich vorher nicht erhalten hätte (der gesamte «Kuchen» wird größer). Mitunter können sogar durch das Zusammenspiel von Akteuren, die vorher nicht zusammengebracht wurden, ganz neue Angebote entstehen (Stichwort: «Generativität» – oder anders: Es kommt auch noch Sahne auf den Kuchen).

Was habe ich von einem Business Ecosystem?

Nun das ist eine spannende Frage. Als ich meine Forschung hierzu 2021 gestartet habe, war genau das ein Aufhänger – «Dennis, Business Ecosystems klingen ja spannend, aber was habe ich davon» war eine Frage, die mir bereits vorher gerne gestellt wurde. Habe ich hier aktuell die volle Antwort– leider nein, aber was ich aktuell weiß, teile ich hier gerne mit:

  • Wir konnten zeigen, dass es nicht nur «ökonomische» Werte sind (Ertrag steigern/ Kosten reduzieren), die Organisationen versuchen durch ihr Engagement in Business Ecosystems zu erreichen. Hauptziel von Unternehmen ist das Erzeugen von Kapital. Kapital selbst ist jedoch ein Begriff, der viele verschiedene Facetten in seiner Bedeutung mit sich bringt. Ökonomisches Kapital ist eine Facette. Es gibt jedoch auch noch weitere Facetten, wie beispielsweise «Markenkapital» und «Netzwerkkapital».

    Markenkapital:
    Durch die Teilnahme an einem Business Ecosystem, in dem ein (oder mehrere) bestimmte andere Akteure sind, zielen einige Organisationen darauf ab, ihr eigenes Markenkapital zu steigern.

    Netzwerkkapital:
    Durch die Teilnahme an einem Business Ecosystem zielen einige Organisationen darauf ab, eine engere Verbindung zu KundInnen zu bekommen. Ebenso ist es für einige Akteure erstrebenswert, andere zu befähigen, dass sie ihre Dienstleistungen erbringen können.
  • Aus Endkundensicht können Business Ecosystems helfen, Services deutlich angenehmer zu beziehen. Ja, früher war es Usus, dass ich als Endkunde mir selbst mein «Päckchen» an Services zusammengestellt habe – aber früher waren Rechner auch noch groß wie die ein oder andere Studentenwohnung.

Was heißt ein Weg zum Business Ecosystem für mich als Finanzdienstleister?

Vor allem heißt es, dass man sich bewusst sein muss, was man kann – und (vor allem) was man nicht kann, wenn man sich damit befasst, ein Business Ecosystem aufzubauen. Der ein oder andere Lesende wird jetzt wahrscheinlich die Augen verdrehen ist doch klar – ja, aber so klar ist es anscheinend doch nicht. Viel zu häufig heißt es auf die Frage dazu, welche Rolle man in einem Business Ecosystem als Finanzdienstleister spielen mag: «Ganz klar, wir müssen der Orchestrator sein». Also derjenige, der die Fäden zusammenhält. Fragt man kritisch nach, so ist auf die Frage des «Warum» häufig ein, «weil wir müssen» die Antwort. Leider ist das aus meiner Sicht keine wirklich gute Basis für den Aufbau von Business Ecosystems. Ein «weil wir das Folgende können» wäre hier angebracht – ich (als Finanzdienstleister) muss schließlich nicht nur mich von meiner Rolle überzeugen, sondern auch KundInnen und Partner im Business Ecosystem.

Prahalad und Hamel haben bereits Anfang der 1990er-Jahre das Konzept der Kernkompetenzen geprägt (Prahalad and Hamel, 2009). Sie stellen dort die Analyse von Organisationen auf ihre Kernkompetenzen vor, um im Wettbewerb Vorteile zu sichern. Nun scheint mir ein ähnliches Vorgehen auch in Bezug auf den Aufbau von Business Ecosystems sinnvoll. Will ich Orchestrator sein, so muss ich beispielsweise die Akzeptanz des gesamten Netzwerks erhalten. Mir zu zutrauen und Vertrauen entgegengebracht bekommen, das Business Ecosystem zu kuratieren. Ich brauche auch finanzielle Mittel für den Aufbau – denn ein Business Ecosystem entsteht sicher nicht von heute auf morgen. Ich muss weiter auch den Weg finden, eine Nische mit meinem Business Ecosystem zu besetzen, die mir auch von den Endkunden zugetraut wird. Man kann als Finanzdienstleister alles wollen, aber können kann man eben wahrscheinlich nur einen Teil.

Manchen Bankengruppen ist der Aufbau von Business Ecosystems mit dem Fokus auf eine regionale Prägung näher, anderen der Fokus, globaler Player für die Belange der KundInnen zu sein, wieder anderen die Fokussierung auf das Asset Management. Nur wenige Finanzdienstleister werden wahrscheinlich alles anbieten können – und aus meiner Sicht ist das auch gar kein Problem.

Der Weg zu einem Business Ecosystem heißt aus meiner Sicht vor allem erst einmal eine Beschäftigung mit sich selbst, mit seinen eigenen Stärken und Schwächen.

Und nun?

Aus meiner Sicht ist das Konzept der Business Ecosystems wirklich gekommen, um zu bleiben – und das ist auch gut so. Betrachtet man es etwas nüchterner als vielleicht in der Vergangenheit, bieten sich enorme Chancen für Finanzdienstleister. Es ist jedoch wichtig, dass die jeweiligen Organisationen sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind. Dazu muss nicht alles «Business Ecosystem sein» – es gilt jeweils herauszufinden, ob es ein sinnvolles Konzept ist oder eben nicht.

Die aktuell grds. wieder bessere Ertragslage sollte nicht zum Stillstand in der Entwicklung der eigenen Geschäftsmodelle führen. Vielmehr sollten Finanzdienstleister die gewonnene Luft zum Atmen nutzen, um ein systematisches Assessment ihrer eigenen Stärken und Schwächen zu starten, ihre eigene Rolle zu finden, sollten sie den Aufbau eines Business Ecosystems anstreben und systematisch den entsprechenden Aufbau zu starten.


Bibliography

Adner, R. (2006) ‘Match Your Innovation Strategy to Your Innovation Ecosystem.’, Harvard Business Review, 84(4), pp. 98–107. Available at: https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&db=bsu&AN=19998909&site=eds-live&scope=site.

Adner, R. (2017) ‘Ecosystem as structure: an actionable construct for strategy’, Journal of Management, 43(1), p. 39. Available at: https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&db=edsinc&AN=edsinc.A481211770&site=eds-live&scope=site.

Jacobides, M. G., Cennamo, C. and Gawer, A. (2018) ‘Towards a theory of ecosystems.’, Strategic Management Journal (John Wiley \& Sons, Inc.), 39(8), pp. 2255–2276. Available at: https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&db=bth&AN=130771714&site=ehost-live.

Moore, J. F. (1993) ‘Predators and prey: a new ecology of competition.’, Harvard Business Review, 71(3), pp. 75–86.

Prahalad, C. K. and Hamel, G. (2009) ‘The core competence of the corporation’, Knowledge and Strategy, pp. 41–60. doi: 10.1016/b978-0-7506-7223-8.50003-4.

Dennis Vetterling

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