2. Blockchain-Forum – Learning by doing

„Zum Glück sind nicht alle Leute hier, die von der Blockchain-Revolution betroffen sein werden, sonst hätten wir ein Platzproblem.“ Mit diesen Worten leitet Veranstalter Thomas Zerndt (CEO, Business Engineering Institute (BEI) St. Gallen) das zweite Blockchain-Forum in Kooperation mit dem Frankfurt School Blockchain Center und dem Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen ein. Die Veranstaltung findet in einem imposanten ehemaligen Fabrikgebäude statt, einem architektonischen Wahrzeichen der Stadt Gossau. Ein charmanter Widerspruch zur vergleichsweise kurzen Lebensdauer und Virtualität der Blockchain? Nur auf den ersten Blick, denn so wie das Werk 1 seit über einhundert Jahren den Charakter der Stadt geprägt hat, wird die Blockchain als Schlüsseltechnologie die Zukunft der Finanzindustrie und vieler weiterer Industrien prägen und erfordert eine nicht minder praktische Beschäftigung mit dem Thema, als die Kulisse der Fabrik heraufbeschwört.

Learning by doing

70 % der DLT-Innovationen stammen aus dem Bereich der Kryptowährungen, erklärt Philipp Sandner (Frankfurt School Blockchain Center).

Learning by doing – das ist die Botschaft des Forums, die in sämtlichen Vorträgen und durch die zahlreichen Demonstrationen von Blockchain-Prototypen zum Ausdruck kommt. Besonders treffend bringt es Mitveranstalter Philipp Sandner (Leiter, Frankfurt School Blockchain Center) zum Ausdruck: „Das Thema wird durch die Praxis getrieben, von Start-Ups.“ Wer auf wissenschaftliche Forschung warte, sei es zur besten DLT-Lösung (Distributed-Ledger-Technologie), passenden Anwendungsfällen oder den richtigen Geschäftsmodellen, der verpasse das Thema. Die Zahlen, die er dazu präsentiert, sind eindrücklich: Die vier bedeutendsten Kryptowährungen stehen vielen der im DAX gelisteten Unternehmen in puncto Marktkapitalisierung in nichts nach, SAP an der Spitze des Index wird von Bitcoin sogar übertroffen. Für die zweitgrösste Blockchain Ethereum hat sich bereits zweieinhalb Jahre nach deren Betriebsstart ein Ecosystem von 60000 grösstenteils autodidaktischen Programmierern gebildet und selbst noch vergleichsweise unbedeutende Blockchains/DLTs wie IOTA oder Dash entwickeln die Technologie ständig weiter, z. B. im Hinblick auf Micropayments für Internet-of-Things-Anwendungen (IOTA) oder die Ausdifferenzierung von Steuerungsmechanismen (Dash). Die zwiegespaltene öffentliche Meinung zur Blockchain, die die Technologie an sich positiv bewerte, Kryptowährungen dagegen skeptisch gegenüberstehe, sei schlichtweg nicht haltbar. Schliesslich stammten rund 70 % der DLT-Innovationen aus dem Bereich der Kryptowährungen. Schon das blosse Besitzen von Kryptowährung sei durch die damit einhergehende Beschäftigung mit der dahinterstehenden Technologie eine wertvolle Erfahrung – learning by doing eben.

Warum die unmittelbare Beschäftigung mit der Blockchain und DLT im Allgemeinen vor allem für Finanzinstitute so wichtig ist, erklären Ante Plazibat (Doktorand und Blockchain-Experte, BEI) und Johannes Wotzka (IT-Fachexperte, BEI). Sie präsentieren die Ergebnisse einer Umfrage, die die Rollen von Banken als Transaktionsabwickler und Intermediäre bei länderübergreifenden Transaktionen durch die infrastrukturellen Charakteristika der Blockchain gefährdet sieht. Einzig die Beratung bleibe relativ unberührt, eine Einschätzung, die Martin Rindlisbacher (Senior Business Architect & Executive Director, UBS) teilt: Beratung zu Finanzthemen brauche es auch in einer von der Blockchain dominierten Finanzindustrie, daran ändere sich rein gar nichts. Was sich ändere, sei die technische Umsetzung.

Von smarten Bonds und Kaffeemaschinen

Beispiele zur Illustration, wie die unternehmensübergreifende Transaktionsabwicklung mithilfe von DLT aussehen kann, gibt es über alle Vorträge hinweg:

  • intelligente Ausgabe und Verwaltung von Anleihen, Settlement von Wertschriftentransaktionen in Echtzeit und ein Wallet, mit dem Autos in Zukunft Gebühren eigenständig bezahlen können (UBS)
  • Unterzeichnung und Deponierung von Mietvertrag und Mietkaution (Hypothekarbank Lenzburg)
  • vereinfachtes Customer Onboarding bei mehrfachen Bankbeziehungen (BEI)

sind nur einige der im Finanzbereich vorgestellten Projekte. Diese werden oft live auf der Bühne als Prototyp demonstriert, um die Ausführungen auch für Technologieneulinge verständlich zu machen. Der greifbarste Prototyp ist dabei mit Abstand die von Ante Plazibat und Johannes Wotzka vorgestellte Kaffeemaschine, die die Funktion eines Smart Contracts demonstriert und einem Teilnehmer nach der Überweisung von 0.0000001 Ether (umgerechnet 0,0051 Rappen) pünktlich zur Pause einen heissen, vollautomatisch gebrühten Kaffee beschert.

In der Mittagspause gibt es die Gelegenheit, sich die Prototypen aus der Nähe anzuschauen.

In der Mittagspause gibt es dann auch die Gelegenheit, sich die Prototypen aus nächster Nähe anzuschauen und von den Rednern und Veranstaltern erklären zu lassen, die mit grossem Engagement sowohl fortgeschrittenere Anwendungen im Finanzsektor mit den Teilnehmern diskutieren als auch grundlegende Fragen zur Funktionsweise der Blockchain oder verschiedenen Kryptowährungen beantworten oder die Funktion von Kryptowallets demonstrieren. Ungeduld auf Seiten der Redner ist zu keiner Zeit zu spüren, denn sie wissen: das Thema ist kompliziert. Marc Burkhalter (Doktorand, BEI) bringt diese Einstellung folgendermassen auf den Punkt: „Wenn es um die Blockchain geht, gibt es keine dummen Fragen.“

Lessons Learned – Erkenntnisse und Tipps aus der Praxis

Auch die Weitergabe von Erkenntnissen aus der eigenen Arbeit mit Distributed-Ledger-Technologien ist den Rednern ein Anliegen. Robin Mager (Geschäftsführer, N-ERGIE IT GmbH) zum Beispiel sieht das grösste Anwendungspotenzial für die Blockchain vor allem in Bereichen, in denen sich Konsortien wirtschaftliche unabhängiger Unternehmen bilden können. Dabei seien vom Staat regulierte, unternehmensübergreifende Prozesse der ideale Startpunkt für die Entwicklung von Blockchain-Prototypen, da die Rollen der beteiligten Unternehmen, die Abläufe und die von jedem Teilnehmer benötigten Informationen bereits definiert und gut dokumentiert seien. Allerdings müsse man bei jedem möglichen Anwendungsfall zunächst prüfen, ob eine Blockchain wirklich die technologisch sinnvollste Lösung darstelle. Viele Probleme liessen sich auch mit herkömmlichen Technologien lösen, denn die einzelnen Charakteristika der Blockchain seien keineswegs neu – verteilte Datenbanken oder kryptographische Verschlüsselungsmethoden habe es auch zuvor schon gegeben. Das Neue sei die einzigartige Kombination dieser Charakteristika.

“Mit DLT ist es einfach, Ecosysteme rund um Kundenbedürfnisse aufzubauen.” (Marianne Wildi, Hypothekarbank Lenzburg)

Genauso sieht dies auch Senior Architect Martin Rindlisbacher, der vier Schritte zur Analyse der Auswirkungen der Blockchain auf das eigene Geschäftsmodell vorstellt, die dabei helfen sollen, die richtigen Handlungsmassnahmen für den Umgang mit der Blockchain im eigenen Unternehmen zu finden und sich nicht vom Hype beeinflussen zu lassen.

Ein zusätzlicher Ratschlag von Marianne Wildi (CEO, Hypothekarbank Lenzburg) ist sich zunächst einen Anwendungsfall ohne grosses Risiko zu suchen, an dem man die Technologie erproben kann, wie die Hypothekarbank Lenzburg es mit der Mietkautionslösung getan hat. Und bei der Konzeption der Lösung nicht alte Strukturen zu zementieren, sondern kundenzentriert zu denken: „Mit DLT ist es einfach, Ecosysteme rund um Kundenbedürfnisse aufzubauen. Als Kunde möchte man Lösungen für Probleme aus einer Hand erhalten.“

Lernen im Konsortium – Kompetenzzentrum Blockchain Ecosystems

Michael Fischbach (BEI) stellt das neue Kompetenzzentrum Blockchain Ecosystems vor.

Am Ende der Veranstaltung bleibt es trotz aller Bemühungen der Redner den Teilnehmern überlassen, die Erkenntnisse aus der Veranstaltung in ihren Unternehmen in die Tat umzusetzen. Ihre Herausforderungen werden vielfältig sein, denn obwohl sich 90 % der Finanzdienstleister der Blockchain viel Potenzial zusprechen, arbeiten erst knapp 30 % an ersten Anwendungsfällen. Sie müssen unter anderem die richtigen Anwendungsfälle für ihre Unternehmen finden, Wissen aufbauen, Entscheidungsträger und Mitarbeiter überzeugen und Partner finden, um das für sie notwendige Ecosystem aufzubauen. All diese Herausforderungen seien am besten in einem industrieübergreifenden Konsortium zu meistern, meint Michael Fischbach, Leiter des von den Veranstaltern in Kooperation mit Blockchain-Start-Up Noumena neu gegründeten Competence Centers Blockchain Ecoystems. Er lädt alle Interessierten zur Pre-Launch-Session am 24. April nach Zürich ins Smith and De Luma ein. Das Kompetenzzentrum werde mit einer maximalen Teilnehmerzahl von 14 Unternehmen industrieübergreifend Wissen zur Technologie und möglichen Anwendungsfällen aufbauen und einen gemeinsamen Prototypen erarbeiten. Damit solle genau die notwendige praktische Beschäftigung mit Distributed-Ledger-Technologien erreicht werden, die es so dringend brauche.

Doch vor der praktischen Beschäftigung steht die Information, weshalb das Blockchain-Forum seine Türen erneut am 08. November in Frankfurt öffnen wird, um auch die Unternehmen abzuholen, die heute noch nicht mit im Saal sitzen.

Tanja Hessel
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