Positionierung von Banken im Internet der Dinge

The IoT may be as broadly transformational to the financial services industry as the internet itself
Jim Eckenrode, Deloitte Center for Financial Services

 

Seit der Einführung von Informationstechnologie in Unternehmen lassen sich drei grosse Wellen der Produktivitätssteigerung erkennen, die jeweils einem bestimmten Thema folgen: Die erste in den 60er und 70er Jahren befasste sich mit der Automatisierung und Standardisierung von Unternehmensprozessen; die zweite – mit der Einführung des Internets – mit der Koordination und Integration von Prozessen über Unternehmensgrenzen, Kanäle und Regionen hinweg. Die dritte Welle, in der wir uns gerade befinden, wird getrieben von vernetzten, intelligenten Objekten, die untereinander Daten über ihren Zustand und ihre Umwelt austauschen – dem Internet der Dinge.

Laut Gartner wird es bis 2020 mehr als 20 Milliarden vernetzte «Dinge» geben, GE schätzte 2014 die durch IoT-Anwendungen geschaffenen Mehreinnahmen und Kosteneinsparungen für Unternehmen sowie den öffentlichen Sektor bis 2024 auf insgesamt 19 Billionen USD. Wie eine Umfrage der International Data Coporation im selben Jahr ergab, schätzten mit 94,4 % eine überwältigende Mehrheit der Befragten aus der Finanzindustrie das Internet der Dinge als strategisch bedeutsam und die Finanzbranche transformierend ein, zur gleichen Zeit konnten sich allerdings nur etwa 43 % der Befragten tatsächlich etwas darunter vorstellen. Aus diesem Grund möchte der Newsletterbeitrag in diesem Monat als Einstieg ins Thema dienen, einen Einblick in die Funktionsweise des Internets der Dinge geben und mögliche Use Cases für die Finanzindustrie vorstellen.

Das Internet der Dinge

The Internet of Things (IoT) is a system of interrelated computing devices, mechanical and digital machines, objects, animals or people that are provided with unique identifiers and the ability to transfer data over a network without requiring human-to-human or human-to-computer interaction.
TechTarget

TechTarget definiert das Internet der Dinge als ein «System zusammenhängender Rechengeräte, mechanischer und digitaler Maschinen, Objekte, Tiere oder Personen, die eindeutig identifizierbar sind und die Fähigkeit besitzen, Daten ohne menschliches Eingreifen über ein Netzwerk zu versenden.» Das Internet der Dinge besteht also im Kern aus der Verbindung intelligenter «Dinge», welche aus den drei folgenden Kompontenten bestehen:

  1. Physische Komponente (Gerät, Maschine, Objekt, Tier, Person)
  2. «Intelligente» Komponente (Sensoren, Mikroprozessoren, Datenspeicher, Bedienelement, Software, Betriebssystem, Benutzeroberfläche)
  3. Konnektivitätskomponente (Anschluss, Antenne, Protokoll)

Diese drei Bestandteile bilden das Grundgerüst des Internets der Dinge, auf welchem basierend Daten gesammelt, integriert und analysiert werden (4.), um dann in Form eines digitalen Services einen Mehrwert zu bieten (5.) (siehe Abbildung 1):

Abbildung 1 Ebenen einer IoT-Anwendung (Quelle: Fleisch et al. 2014)

Ebene 4 ermöglicht Real-Time-Überwachung und -Management von Objekten und Prozessen sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatpersonen. Die daraus entstehenden Möglichkeiten für digitale Services umfassen unter anderem die Verbesserung von Produktdesign, Marktsegmentierung und After-Sales-Service, die Personalisierung des bestehenden Angebots, die Optimierung von Reparaturdienstleistungen sowie die autonome Prozessoptimierung durch Maschinen selbst. Da die Fähigkeiten der Dinge nicht mehr an ihren ursprünglichen, physischen Kontext gebunden sind und ein wesentlicher Teil des Werts des Internets der Dinge aus der gesamthaften Betrachtung der Daten über eine Reihe thematisch zusammenhängender Dinge entsteht (z.B. Smart Home oder Smart Farming als Ganzes vs. Optimierung einzelner Geräte / Maschinen), wird das Internet der Dinge als ein treibender Faktor zum Aufbrechen traditioneller Wertschöpfungsstrukturen und zur Bildung von Ecosystemen rund um bestimmte Kundenbedürfnisse beitragen. Und dabei auch vor dem Banking nicht haltmachen.

Banking of Things

Bei der Finanzindustrie handelt es sich um einen Bereich der Wirtschaft, dessen Produkte zum grossen Teil immaterieller Natur sind und nicht durch Sensoren gemessen werden können. Das Internet der Dinge wirkt sich – einmal abgesehen von der physischen Infrastruktur aus Filialen und Geldautomaten – also eher indirekt auf die Finanzindustrie aus. Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von Use Cases, von denen im Folgenden einige aus den Bereichen Monitoring und Optimierung physischer Infrastruktur, Payments, Monitoring von Kundenassets und Identitäts- und Datenmanagement vorgestellt werden.

Monitoring und Optimierung physischer Infrastruktur

Der naheliegendste Einsatz von Connected Devices, mit welchem bereits verschiedene Banken experimentieren, lässt sich beim Management der bankeigenen Infrastruktur finden, namentlich Geldautomaten und Bankfilialen. Durch den Einsatz von Sensoren in und um Geldautomaten können die Positionierung der Automaten optimiert, Diebstahl und Betrug verhindert, die Instandhaltung und Reparatur vereinfacht und das Liquiditätsmanagement verbessert werden, letzteres zum Beispiel indem der Nachfüllbedarf der Automaten automatisch übermittelt wird und eine App die bestmögliche Route zur Befüllung der Automaten innerhalb eines definierten geografischen Raums berechnet.

Innerhalb einer Bankfiliale können Kunden durch den Einsatz von Beacons persönlich begrüsst werden oder kontextrelevante Angebote erhalten. Darüber hinaus können die Gestaltung der Filiale sowie die Mitarbeiterplanung verbessert werden, indem nachverfolgt wird, welche Angebote am meisten von Kunden genutzt werden und welche Wartezeiten sich an welchen Stationen jeweils ergeben.

Payments

Das oft bemühte, da sehr anschauliche, Beispiel des Kühlschranks, der bei Bedarf eigenständig Milch nachbestellt, steht für den nächsten IoT-Bereich, der für Banken geradezu prädestiniert scheint: von Maschinen ausgelöste Zahlungen. Der Anwendungsbereich beschränkt sich dabei natürlich nicht nur auf Kühlschränke, sondern auf jegliche physischen Geräte oder Objekte sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich, die nachbefüllt oder repariert werden müssen oder sich für das Ertragsmodell pay-peruse eignen, z. B. für Connected Cars, Smart Homes oder Smart Factories, genauso wie für jeglichen Nachfüllbedarf an Office Supplies zum Beispiel mithilfe smarter Behälter. Damit der Kunden dabei nicht den Überblick über die von Maschinen ausgelösten Zahlungen verliert, können Banken sich als Anbieter einer Personal Finance Management-Lösung für Gerätezahlungen etablieren, deren Funktionen sich über die Zahlungsnachverfolgung und Budgetplanung auch auf das Zuweisen von Budgets für bestimmte Geräte erstrecken könnte. Denkbar wäre auch das Angebot einer Commerce-Plattform, die zwischen den Kunden / Maschinen und möglichen alternativen Anbietern der nachgefragten Produkte / Services steht und das jeweils beste Angebot unter Berücksichtigung bestimmter Parameter auswählt.

Nichtsdestotrotz stellt gerade der Bereich Payments Banken auch vor grosse Herausforderungen. Zum einen drängen Technologieunternehmen wie Google, Apple oder Samsung, die sich darüber hinaus auch stark in der Entwicklung von IoT-Anwedungen, z. B. in den Bereichen Smart Home oder Connected Cars, engagieren, mit eigenen Zahlungslösungen in den Markt. 2015 noch ermittelte die Harvard Business Review in einer Umfrage, dass Konsumenten Banken ihre Daten eher anvertrauen würden als Technologiekonzernen, der Vorsprung betrug jedoch nur etwa acht Prozentpunkte – Banken wurden von 76 % der Befragten als vertrauenswürdig eingestuft, Internetgiganten von 68 %. Zahlungsdienstleister wie Alipay oder PayPal sowie Kreditkartenunternehmen hingegen schnitten mit dem Vertrauen von 85 % der Befragten direkt nach Hausärzten am besten ab und sind somit ebenfalls eine ernstzunehmende Konkurrenz. Eine Chance, sich in diesem Umfeld zu behaupten, haben Banken in jedem Fall nur dann, wenn ihre Lösungen tatsächlich an Kundenbedürfnissen ausgerichtet sind und ebenso einfach und intuitiv zu handhaben sind wie die der Technologiekonzerne. Eine weitere Herausforderung stellen die Menge und die Grösse der durch Maschinen getätigten Zahlungen dar. Zum einen muss die Zahlungsinfrastrukur mit dem schieren Volumen an Transaktionen umgehen können, zum anderen muss es möglich sein, auch Micropayments, die einen signifikanten Anteil von Machine Payments ausmachen könnten, rentabel auszuführen. Für Letzteres bietet die Weiterentwicklung der Distributed Ledger Technologie einen vielversprechenden Ansatz.

Monitoring von Kundenassets

Wie zu Beginn des Kapitels «Banking of Things» angesprochen handelt es sich bei Bankprodukten mehrheitlich um immaterielle Produkte. Nichtsdestotrotz lässt sich bei einer Reihe dieser Produkte durch die Auswertung von kundenseitig generierten Sensordaten die Datengrundlage für die Bestimmung der Konditionen der jeweiligen Produkte signifikant verbessern, wodurch diese an die Bedürfnisse und das Verhalten des jeweiligen Kunden angepasst werden können. Ein Beispiel für ein solches Produkt sind Versicherungsdienstleistungen. Man denke dabei an Autoversicherungen, die sich an vom Auto generierten Daten zum Fahrverhalten des Konsumenten orientieren. Dasselbe Prinzip lässt sich genauso auf Krankenversicherungen oder Gebäudeversicherungen anwenden. Ein weiteres Produktbeispiel ist die Kreditvergabe. So können Sensordaten zum Beispiel Auskunft über die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens geben oder Daten, die das nahende Lebensende einer Maschine ankündigen, auf künftige Liquiditätsengpässe hinweisen, sodass eine Bank dem Unternehmen proaktiv eine Finanzierungslösungen unterbreiten kann. Zentral bei solchen Vorhaben wird sein, herauszufinden, welche Daten in einem bestimmten Kontext wirklich relevant sind (z. B. zur Überprüfung der Kreditwürdigkeit) sowie die Kunden von der Herausgabe der notwendigen Daten zu überzeugen, ohne dass diese dies als zu tiefen Eingriff in ihre Privatsphäre empfinden.

Identitäts- und Datenmanagement

Der letzte Bereich, der im Rahmen dieses Beitrags angeschnitten werden soll, ist der des Identitäts- und Datenmanagements. Eine Voraussetzung für das Internet der Dinge ist, dass jedes Ding eine nachprüfbare Identität besitzt, die mit einem oder mehreren Nutzern verbunden ist, welche zur Nutzung der jeweiligen Objekte / Geräte autorisiert sind und auf gleichzeitig sichere und einfache Art und Weise authentifiziert werden können. Darüber hinaus gibt es einen Trend, der auf die Selbstbestimmung der Konsumenten hinsichtlich der Verwendung der von ihnen generierten Daten abzielt und der bereits Ausdruck in Regulationen wie beispielsweise der GDPR findet. Dieser Trend könnte dazu führen, dass eine zentrale Stelle benötigt wird, die die durch IoT-Devices generierten Daten für Konsumenten verwaltet und einen Teil davon mit autorisierten Applikationen teilt. Darüber hinaus besitzen Banken bereits Erfahrung bei der Identifizierung von Kunden und deren Authentifizierung für eine Datenübertragung unter höchsten Sicherheitsanforderungen. Genauso können sie durch PSD2 bereits heute erste Erfahrungen beim Teilen sensitiver Kundendaten über APIs sammeln. Gute Voraussetzungen also, um sich als vertrauenswürdiger Partner für das Management von Identität und Datenweitergabe zu etablieren.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Die Herausforderungen bei der Umsetzung von Internet der Dinge-Anwendungen sind zurzeit noch vielfältig. Zum einen liegt dies daran, dass sich die IoT-Infrastruktur noch im Aufbau befindet und es daher prozentual gesehen nur wenige Geräte gibt, die mit Sensoren ausgestattet sind. Darüber hinaus konzentrieren sich Prognosen über den künftigen Sensoreinsatz auf eine recht gerine Bandbreite an Sensoren, die für fortgeschrittenere Anwendungen, wie z. B. die Einschätzung der Kreditwürdigkeit, nicht ausreichen. Doch selbst wenn sie es täten, würde darauf die Herausforderung folgen, herauszufinden, welche Daten für eine Kreditvergabeentscheidung wirklich relevant sind. Bei der Kommunikation von Milliarden Geräten ist die Ausgestaltung adäquater Data Security-Massnahmen von zentraler Bedeutung, genauso wie die Schaffung eines einheitlichen Standards für die Kommunikation von Geräten untereinander.

Fazit

Neben den technischen Herausforderungen dürfen die Wirtschaftlichen allerdings nicht in den Hintergrund treten. Denn wer sich erfolgreich als Anbieter von IoT-Lösungen etablieren will, darf nie nur von der Machbarkeit, sondern muss von einem Kundenbedürfnis ausgehen. Wie bereits angesprochen, werden diese Kundenbedürfnisse dem jetzigen Trend folgend weiter gefasst sein und von einer Reihe unterschiedlicher Rollen und Teilnehmer innerhalb eines Ecosystems bedient werden. Banken sollten sich daher mit der Tatsache anfreunden, dass sie mit grosser Wahrscheinlichkeit oft selbst nicht die Rolle des Orchestrators in diesen Ecosystemen einnehmen werden, denn Zahlungs- oder Finanzierungsdienstleistungen sind immer nur ein Mittel zu dem Zweck, ein dem Finanzierungsbedarf zugrundeliegendes Bedürfnis zu befriedigen. Vielmehr sollten sie nach Möglichkeiten suchen, ihre Produkte so organisch wie möglich in den Prozess der Befriedigung dieser «primären» Bedürfnisse einzubinden. Natürlich können und müssen Banken auf der Suche nach neuen Geschäftsmöglichkeiten auch über die traditionellen Grenzen ihrer Tätigkeit hinausgehen. Doch auch dabei gilt es, strategisch nach realistischen Ansatzmöglichkeiten zu suchen, einen Mehrwert für alle Ecosystemteilnehmer zu schaffen, und sich nicht an Tätigkeitsfeldern zu versuchen, die zwar rentabel sind, für die andere Unternehmen aber mitunter besser ausgestattet sind.

Um Lösungen für die Herausforderungen von Banking im Kontext des IoT zu entwickeln, arbeitet das CC Sourcing an dem Prototyp Smart City im Bankenkontext. Dieser setzt sich u. a. auch mit der Frage auseinander, welche Daten sinnvollerweise für die Adressierung von Kundenbedürfnissen genutzt werden können, wie der Kunde seine Datensouveränität regulationskonform behalten kann und wie Services rund um das Kundenbedürfnis bereitgestellt werden könnten. So wird klar, wie sich eine Bank mit Services im Kontext einer Smart City positionieren kann – was für Geschäftsmodelle es hierfür braucht, wie die kollaborativen Prozesse gestalten werden und welcher Bedarf an Systemunterstützung besteht.

Tanja Hessel
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