Innovationsmethode Geschäftsmodellmuster

Musikindustrie, Reiseindustrie, Verlagsbranche, Einzelhandel – viele Industrien sind bereits von tiefgreifenden Umwälzungen getroffen worden, die auf den Einstieg innovativer Unternehmen zurückzuführen sind. Obwohl eine solch drastische Entwicklung in der Finanzindustrie noch nicht stattgefunden hat, ist auch hier der Druck durch FinTechs deutlich spürbar – immerhin gaben 70 % der im Rahmen einer CC Sourcing-Studie befragten Finanzdienstleister an, damit zu rechnen, Marktanteile an FinTechs zu verlieren. Neuerdings suchen daher viele Finanzdienstleister die Kooperation anstelle der Konfrontation, denn unternehmenseigene Innovation ist bekanntlich schwer.

Erfolgreiche Innovation setzt eine Reihe von Fähigkeiten voraus: Das Erkennen und Bewerten der wichtigsten Trends und Technologien im Umfeld einer Unternehmung, die Analyse der Auswirkungen der wahrgenommenen Veränderungen auf das eigene Geschäftsmodell, die Generierung alternativer Gestaltungsoptionen und deren Umsetzung. Und eine Grundeinstellung, die kontinuierlich die eigene Wertschöpfungslogik hinterfragt. Fehlt diese, so fällt es etablierten Unternehmen oft schwer, mit Start-Ups vergleichbare Ergebnisse zu erzielen. Selbst wenn relevante Trends und Technologien erkannt werden – was alles andere als selbstverständlich ist –, verhindert die zutiefst menschliche Orientierung an Altbekanntem grössere Abweichungen von der bisherigen Geschäftstätigkeit – und behindert damit drei der vier genannten Voraussetzung für erfolgreiche Innovation.

Die hier vorgestellte Innovationsmethode dient dazu, eingefahrene Denkmuster aufzubrechen und neue Geschäftsmodelle zu designen sowie Verbesserungspotenzial für bestehende Geschäftsmodelle aufzuzeigen: Geschäftsmodellmuster.

Muster als Innovationsmethode

Der Einsatz von Mustern als Innovationsmethode folgt einer langen Tradition. Die TRIZ-Methode, die Ingenieuren bei der Erfindung neuer technischer Lösungen hilft, existiert bereits seit den 1960er Jahren. Sie basiert auf einer Analyse von über 40 000 Patenten und stellt 40 generische Prinzipien zur Lösung häufig auftretender Probleme bei der Erfindung neuer technischer Artefakte bereit (Beispiele solcher Prinzipien sind unter anderem Prinzip 28 «Ersatz mechanischer Wirkprinzipien» oder Prinzip 35 «Veränderung von Eigenschaften/des Aggregatzustandes»). Weitere Einsatzgebiete von Mustern sind zum Beispiel Architektur, Werbung. Softwareentwicklung – oder eben auch die Geschäftsmodellinnovation.

Muster sind also hinreichend abstrakte Varianten zur Lösung genereller Problemstellungen, die vom Anwender konkretisiert und auf den jeweiligen Kontext angepasst werden müssen. Übertragen auf Geschäftsmodellmuster sowie den Banking-Kontext bedeutet das, dass Muster wie der «Two-Sided Market» im konkreten Kontext sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle hervorrufen können – niemand würde auf die Idee kommen, den New York Stock Exchange und PayPal aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit zu vergleichen. Trotzdem weist ihre Wertschöpfung insofern die gleiche Logik auf, als sie zwei voneinander unterscheidbare Marktseiten bedienen und die Attraktivität ihrer Wertversprechung auf Netzwerkeffekten beruht.

  • Aus der Anwendung von Mustern im Innovationsprozess gehen meist Ideen hervor, die einen wesentlich höheren Innovationsgrad aufweisen als Ideen, die in einem völlig freien Innovationsprozess entstehen, die also sowohl neuartiger als auch nützlicher sind. Dieser Effekt beruht auf zwei Ursachen:Zum einen sind Individuen bei der Ideengenerierung ohne Stimuli, wie z. B. dem Brainstorming, auf ihre eigene Assoziationsfähigkeit angewiesen und neigen dazu, den Weg des geringsten Widerstands – hier kognitiven Aufwands – zu gehen. Kreativitätsmethoden, die mit Stimuli arbeiten, d. h. Informationen, die von aussen in den Prozess der Ideengenerierung eingebracht werden, verhindern dies, indem sie einen groben Rahmen vorgeben und dem Denken eine andere Richtung geben.
  • Zum anderen wird der Aspekt der Nützlichkeit durch den Ursprung der Muster unterstützt; da Muster Problemlösungsstrategien darstellen, die sich in der Vergangenheit mehrmals als erfolgreich herausgestellt haben, wird vermutet, dass ihre Anwendung auch bei zukünftigen Problemen Erfolg verspricht.

Geschäftsmodellmuster

Der Durchbruch der Nutzung des Geschäftsmodellbegriffs zur Beschreibung der Wertschöpfungslogik einer Unternehmung erfolgte Ende des letzten Jahrtausends als Folge der zunehmenden wirtschaftlichen Nutzung des Internets, die Unternehmen durch drastisch gesunkene Transaktionskosten eine wesentlich grössere Bandbreite an Wertschöpfungsmechanismen zur Verfügung stellte. Diese Vielfalt verlangte nach einem Strukturierungswerkzeug zur Definition und Kommunikation der Art und Weise, wie ein Unternehmen für seine Kunden Werte schafft und nachhaltig Gewinne erwirtschaftet. Ein Geschäftsmodell deckt daher die folgenden vier Dimensionen ab:

  • Angebot: was ist meine Wertversprechung?
  • Kunden: wen bediene ich und wie erreiche ich meine Kunden?
  • Infrastruktur: welche Aktivitäten, Ressourcen und Partner benötige ich für die Erstellung des Angebots?
  • finanzielle Überlebensfähigkeit: wie sieht mein Ertragsmodell aus, welche Kosten und Einnahmen fallen an?

Ein Geschäftsmodellmuster liegt vor, wenn die Wertschöpfungslogik mehrerer Unternehmen Ähnlichkeiten aufweist, die sich über mindestens zwei Geschäftsmodelldimensionen erstrecken.

Ein besonderes Interesse galt der Analyse der neu aufgekommenen internetbasierten Geschäftsmodelle und deren Klassifikation in bestimmte Typen – die ersten Geschäftsmodellmuster.

Die ersten Geschäftsmodellmuster sind daher meist prototypische Muster, d. h. sie stellen die Logik hinter einem gesamten Geschäftsmodell dar und umfassen zumindest drei der oben genannten Dimensionen, wenn nicht alle. Mit der Zeit traten dann verstärkt die sogenannten solution patterns in den Fokus der Betrachtung, Muster, die nur wenige Dimensionen umfassen und dementsprechend nur einen Teilaspekt der Wertschöpfung eines Unternehmens beschreiben. Ein Beispiel für ein prototypisches Muster ist der Value Chain Service Provider von Timmers (1998), der seinen Wettbewerbsvorteil daraus zieht, dass er sich

  • Angebot:
    auf die Erbringung einer bestimmten Leistung spezialisiert,
  • Kunden:
    die er über mehrere Industrien hinweg anbietet,
  • Infrastruktur:
    wobei er spezialisiertes Know-how und Eigentumsrechte als wichtigste Ressourcen aufbaut.
  • Finanzielle Überlebensfähigkeit:

Sein Angebot finanziert er je nach Kontext durch Dienstleistungs- oder Transaktionsgebühren.

Ein solution pattern ist beispielsweise das Muster Long Tail, bei dem ein Unternehmen sich vom Wettbewerb differenziert, indem es

  • Angebot:
    eine grosse Anzahl an Nischenprodukten anbietet,
  • Infrastruktur:
    wofür es einen möglichst kosteneffizienten (fast zwangsläufig digitalen) Vertrieb aufbauen und das Matching von Angebot und Nachfrage optimieren muss, um eine genügend grosse Kundenbasis zu finden und deren Suchkosten zu minimieren.

Beide Arten von Mustern können für Design und Innovation von Geschäftsmodellen eingesetzt werden. Wie genau, damit beschäftigen wir uns im Folgenden.

Anwendung von Geschäftsmodellmustern

Der Geschäftsmodellinnovationsprozess eines Unternehmens besteht aus vier Phasen, welche alle durch die Anwendung von Geschäftsmodellmustern unterstützt werden können:

  • Initiation: Analyse des eigenen Geschäftsmodells sowie des Wettbewerbsumfelds und relevanter Umwelteinflüsse
  • Ideation: Generierung möglicher Ideen und Alternativen für das Innovationsvorhaben
  • Integration: Auswahl der Ideen und deren Integration in das bestehende Geschäftsmodell oder Vervollständigung zu einem neuen Geschäftsmodell
  • Implementation: Umsetzung des Innovationsvorhabens anhand des zuvor entworfenen Zielbilds
PhaseNutzen von GeschäftsmodellmusternBeispiel
InitiationBeschreibung der Logik hinter der Kombination verschiedener Geschäftsmodellbausteine im eigenen Geschäftsmodell sowie in den Geschäftsmodellen von WettbewerbernEin Unternehmen, das bisher der Logik eines klassischen «Manufacturers» gefolgt ist, d. h. Güter produziert und die Eigentumsrechte an diesen Gütern veräussert, könnte bei der Analyse von Wertschöpfungstrends in anderen Branchen feststellen, dass viele Unternehmen mittlerweile nicht mehr Produkte, sondern Services in den Mittelpunkt ihrer Wertversprechung stellen, wie z. B. Rolls Royce in der Flugzeugindustrie.
IdeationAufbrechen festgefahrener Denkmuster und Erleichterung der Kommunikation in der GruppeInfolge dessen könnte das Unternehmen durch die Muster «Landlord» oder «Servitization of Products» dazu inspiriert werden, im Sinne eines wiederkehrenden Einkommensstroms nicht mehr den Erwerb, sondern die Nutzung seiner Produkte zu vermarkten.
IntegrationAuswahl der Ideen und deren Integration in das bestehende Geschäftsmodell oder Vervollständigung zu einem neuen GeschäftsmodellMöchte das Unternehmen aus dem vorherigen Beispiel noch einen Schritt weitergehen und sucht zur Vervollständigung seines Geschäftsmodells nach einem Ertragsmodell, könnte es z. B. das Muster «Digital Add-On» nutzen, um sein Produkt zusätzlich mit optionalen digitalen Services zu erweitern und diese je nach Konfigurationswunsch zusammen mit der eigentlichen Leistungserbringung periodisch in Rechnung zu stellen.
ImplementationVerfügbarkeit von Best Practices, da Muster in der Literatur anhand von Unternehmensbeispielen illustriert werdenDas Beispiel der Vermietung von Turbinen durch Rolls Royce ist in der Literatur gut dokumentiert, sodass Unternehmen, die ein ähnliches Modell verfolgen, aus den Herausforderungen der realen Umsetzung dieses Musters lernen können.

Fazit

Der Einsatz von Geschäftsmodellmustern ist eine nachweislich kreativitätsfördernde Innovationstechnik, bei der eingefahrene Denkmuster durch die Nutzung von Stimuli (Mustern) aufgebrochen werden. Dadurch fällt es leichter, die existierende Branchenlogik zu durchbrechen und die vorherrschende Wertschöpfungslogik nachhaltig zu transformieren. Geschäftsmodellmuster unterstützen den gesamten Innovationsprozess von der Analyse des bestehenden Geschäftsmodells bis hin zur Implementation des neuen.

Tanja Hessel
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