Governance im Ecosystem

Seit der Einführung des Internets gegen Ende des letzten Jahrtausends hat der technologische Fortschritt zur steten Reduktion von Transaktions- und Koordinationskosten sowie zur Digitalisierung von vormals an physische Träger gebundenen Leistungen geführt. Ein Resultat dieser Entwicklung ist die zunehmende Durchlässigkeit von Branchengrenzen, welche immer mehr zur Bildung branchenübergreifender Ecosysteme rund um die Bedürfnisse einzelner Marktteilnehmer führt. Ecosysteme sind, laut Definition des CC Sourcing, sich dynamisch entwickelnde Gemeinschaften von Akteuren, die durch die gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen bzw. die Ausübung komplementärer Wertschöpfungsaktivitäten und die Einhaltung spezifischer Normen und Regeln in einem gemeinsamen Geschäftsmodell Werte schaffen. Die Erschliessung von Ecosystemen und die Realisierung ihrer kommerziellen Potentiale erfordert von Banken das Teilen von vormals betriebsinternen Ressourcen (z.B. Daten) mit anderen Teilnehmern im Ecosystem. Diese Öffnung von Banken gegenüber branchennahen und -fernen Kollaborationspartnern im Rahmen gemeinschaftlicher Geschäftsmodelle wirft für Bankmanager allerdings die Frage auf, wie die Bereitstellung der Ressourcen und die gemeinschaftliche Wertschöpfung über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus gesteuert werden können.

Dieser Beitrag führt daher in das Thema Ecosystem Governance ein, beschreibt die verschiedenen Governance-Dimensionen, die bei der gemeinschaftlichen Wertschöpfung berücksichtigt werden müssen, und formuliert Handlungsempfehlungen für Banken zur effektiven Steuerung von Ecosystemen.

Governance – Corporate vs. Ecosystem

“Ordnungspolitik bzw. Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse und unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann.”

UN Commission on Global Governance (1995)

Governance ist ein vielschichtiger Begriff, der sowohl formelle als auch informelle Steuerungsmechanismen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft umfasst. Auf die Wirtschaft bezogen beschäftigt sich die Unterkategorie der Corporate Governance mit «procedures and processes according to which an organisation is directed and controlled» (OECD). Zur Governance gehört dabei nicht nur die aktive Steuerung des Unternehmens, sondern als notwendige Voraussetzung ebenso die Festlegung von Rollen, Verantwortlichkeiten und Regeln sowie die Verteilung von Entscheidungsgewalt innerhalb der Unternehmung, die Governance-Struktur. Diese Struktur zeichnet sich sowohl durch eine gewisse Beständigkeit als auch durch ein hierarchisches Beziehungsgeflecht mit formeller Weisungsbefugnis aus, was sich auf die im Unternehmen angewendeten Governance-Mechanismen auswirkt – Mechanismen, die sich trotz der sehr ähnlichen Definition von Ecosystem Governance als «the use of strategic procedures and processes to control, maintain, or change the ecosystem» nur bedingt auf die dynamische Kooperation innerhalb eines Ecosystems übertragen lassen, in welchem formelle Weisungsbefugnis und Kontrolle durch Kooperations- und Anreizmechanismen ersetzt werden müssen.

Dimensionen von Governance im Ecosystem

Die zentrale Rolle bei der Governance eines jeden Ecosystems kommt einem Schlüsselunternehmen zu, das die Nutzung der Wertschöpfungsressourcen, die von den einzelnen Teilnehmern eingebracht werden, koordiniert: dem Orchestrator. Die Mechanismen zur Steuerung von Ecosystemen werden daher meist aus dessen Perspektive erforscht und lassen sich in folgende Kategorien einteilen (vgl. Alves et al., 2016; Schreieck et al., 2017; Tiwana, 2014):

  • Offenheit
  • Verteilung von Entscheidungsrechten
  • Wertverteilung
  • Koordination

Offenheit

Die Offenheit eines Ecosystems ist in erster Linie eine strategische Entscheidung darüber, welche Akteure Zugang zu den Wertschöpfungsressourcen innerhalb des Ecosystems erhalten. Bei den Ressourcen kann es sich sowohl um physische als auch digitale Güter / Dienstleistungen, Kapital oder Daten handeln. Die Bereitstellung einer oder mehrerer (digitaler) Plattformen, auf deren Grundlage ein wesentlicher Teil der Leistungen im Ecosystem geschaffen und vermittelt werden, ermöglicht es dem Orchestrator, alleine oder gemeinsam mit anderen Teilnehmern den Zugang zum Ecosystem bis zu einem gewissen Grad zu steuern.

Verteilung von Entscheidungsrechten

Die Verteilung von Entscheidungsrechten bestimmt den Grad an Dezentralisierung des Ecosystems bzw. den Grad der Autonomie der Teilnehmer im Ecosystem gegenüber dem Orchestrator bei der Nutzung der im Ecosystem vorhandenen Wertschöpfungsressourcen. Entscheidungsrechte unterscheiden sich in strategische und Implementationsentscheidungsrechte sowie in plattform- und angebotsspezifische Entscheidungsrechte. Die Verteilung dieser Rechte variiert von Ecosystem zu Ecosystem, wobei die Entscheidungsgewalt nie allein nur bei einem Teilnehmer liegt, sondern in unterschiedlichem Masse zwischen den Teilnehmer im Ecosystem aufgeteilt ist.

Wertverteilung

Die Governance-Kategorie Wertverteilung umfasst die Aufteilung der materiellen (monetären) und immateriellen Werte, die durch die gemeinschaftliche Ressourcennutzung innerhalb des Ecosystems generiert werden, unter den Ecosystem-Teilnehmern. Die Preissetzung gehört als Voraussetzung zur Wertverteilung ebenfalls in diese Kategorie und legt fest, durch welche Marktseite(n) eine Plattform Erträge generiert und ob eine Seite subventioniert wird. Subventionen können dabei temporär als Markteinstiegsstrategie zur Lösung des Henne-Ei-Problems dienen oder als permanenter Mechanismus etabliert werden. Darüber hinaus muss der Orchestrator entscheiden, ob er seine Einnahmen durch die Nutzung oder den Zugang zur Plattform generieren möchte sowie ob er für die Verteilung der über die Plattform generierten Einnahmen einen festen oder variablen Prozentsatz bestimmt.

Koordination

Die Governance-Kategorie Koordination schliesslich umfasst all jene Mechanismen, die die Konsistenz und Integration der Aktivitäten, Beziehungen und Strukturen eines Ecosystems sicherstellen und eine harmonische und effektive Wertschöpfungszusammenarbeit der Teilnehmer im Ecosystem sicherstellen (Alves et al., 2009).

Tabelle 1 gibt einen konsolidierten Überblick über die Governanceaufgaben, die in den einzelnen Kategorien auf den vom Business Engineering definierten Ebenen Strategie, Prozess und System anfallen:

Tabelle 1: Ecosystem-Governance-Aufgaben in Anlehnung an Alves et al. (2009)

Die zuvor dargestellten Dimensionen und die aus Orchestratorsicht definierten Governanceaufgaben aus Tabelle 1 bieten für Banken bereits einen ersten Anhaltspunkt zur Ableitung von Handlungsmassnahmen zur Steuerung von Ecosystemen. Darüber hinaus gibt es auf den Ebenen Strategie, Prozesse und Systeme einige übergeordnete Überlegungen, die für das effektive Design und die Steuerung von Ecosystemen berücksichtig werden sollten.

Handlungsempfehlungen

Strategie

Eine effektive Ecosystem Governance muss direkt beim Design des Ecosystems ansetzen. Das bedeutet, dass Banken den strategischen Planungsprozess zur Konzeption eines Ecosystems nicht hinter verschlossenen Türen abhalten, sondern von Anfang an ihre potenziellen Kollaborationspartner miteinbeziehen sollten. Das bedeutet zwar einen gewissen Kontrollverlust, erhöht dafür allerdings die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen, erfolgreichen Implementation der Strategie. Ein Designtool, mit dessen Hilfe die Logik und Funktionsweise des gemeinschaftlichen Geschäftsmodells im Ecosystem für jeden Teilnehmer nachvollziehbar dargestellt werden kann, ist bei diesem Schritt eine grosse Hilfe. Ebenso die explizite Formulierung von Prinzipien, an denen das Ecosystem seine Wertschöpfungsaktivitäten ausrichtet.

Auch die Einnahme der Rolle im Ecosystem sollte offen diskutiert werden. Eine erfolgreiche Positionierung im Ecosystem bedeutet nicht zwangsläufig die Einnahme der Orchestratorenrolle – PayPal ist das beste Gegenbeispiel. In der Rolle eines Kontributors unterstützt das Unternehmen die digitale Zahlungsabwicklung zwischen den Ecosystem-Teilnehmern, ohne dabei die Rolle des Orchestrators in den jeweiligen Ecosystemen zu besetzten. Belegt eine Bank eine andere Rolle im Ecosystem, hat das natürlich Auswirkungen auf die Governance-Möglichkeiten und -Mechanismen, die zur Steuerung des Ecosystems genutzt werden können und aus der neuen Perspektive auf ihre Anwendbarkeit geprüft werden müssen.

Prozesse

Auf Prozessebene liegt das Ziel erfolgreicher Governance im Aufbau effizienter unternehmensübergreifender Zusammenarbeitsprozesse und erfordert ein tiefgreifendes Verständnis der Wertschöpfungsressourcen, die ein jeder Teilnehmer zum Ecosystem beitragen kann (auch daher der Appell für eine gemeinschaftliche Planung – denn wer kann die eigenen Fähigkeiten besser einschätzen, als die betroffenen Parteien selbst?). Besondere Bedeutung kommt dem Management von Informationsflüssen zu. Dabei sollten Banken beachten, dass ein Gewinn jedes einzelnen Mitglieds eines Ecosystems einen Gewinn für das Ecosystem darstellt und es daher durchaus im eigenen Interesse sein, anderen Teilnehmern zur Unterstützung ihrer Wertschöpfung mehr Daten zur Verfügung zu stellen als unbedingt notwendig.

Systeme

Voraussetzung für eine effiziente Kollaboration ist die Modernisierung und Öffnung der Bankensysteme. Das bedingt zum einen Modularisierung, zum anderen die Schaffung von offenen Schnittstellen für Drittanbieter. Je nach Ecosystem müssen die APIs jedoch nicht unbedingt öffentlich sein. Da das Bereitstellen öffentlicher Schnittstellen hohe Anforderungen an die Systemsicherheit zur Verhinderung von Cyberkriminalität stellt, könnte es durchaus sinnvoll sein, zuerst Erfahrungen im Umgang mit APIs zu machen, die nur einem überschaubaren Kreis an Drittparteien zur Verfügung gestellt werden.

Fazit

Die Steuerung von Kollaboration und Wertschöpfung im Ecosystem kann nicht mit traditionellen Governance-Mechanismen bestritten werden und bedeutet für jeden Teilnehmer einen gewissen Grad an Kontrollverlust. Kontrollverlust, wenn auch beängstigend, kann in der Form von Innovation durch Handlungsfreiräume viel zum erfolgreichen Funktionieren eines Ecosystems beitragen. Die zentrale Aufgabe für Banken bei der Bildung und Steuerung von Ecosystemen ist daher nicht das Ausüben grösstmöglicher Kontrolle, sondern Anreizmechanismen zu finden und zu nutzen, die aus der Perspektive ihrer jeweiligen Rolle im Ecosystemen am meisten zur Maximierung der Wertschöpfung im gesamten Ecosystem beitragen.

Mit der konkreten Ausgestaltung und Best Practices bei der Steuerung von Ecosystemen beschäftigt sich das CC Sourcing im kommenden 4. Workshop nächsten Februar auf der Schwägalp.

Tanja Hessel
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