Digitale Transformation – Faktor Mensch (Teil 1)

Kaum ein Unternehmen zweifelt heute noch daran, dass kontinuierliche Innovation und Transformation der Schlüssel zu nachhaltigem Unternehmenserfolg sind. In einem zunehmend digitalen Umfeld, in dem Start-Ups und branchenfremde Technologieunternehmen kaum noch Markteintrittsbarrieren zu fürchten haben und aufgrund ihrer digitalen DNA oft eine überlegene Customer Experience bieten können, setzt eine Vielzahl etablierter Unternehmen auf die Einrichtung von Innovation Labs, um in einem geschützten Raum innovative Technologien zu entwickeln, die zu einem späteren Zeitpunkt ins Unternehmen eingegliedert werden sollen.

Gerade diesen Transfer ereilt jedoch oft das Schicksal der überwiegenden Mehrheit aller Projekte im Kontext der Digitalisierung, von denen je nach Studie 60 bis 90 Prozent hinter dem für sie prognostizierten Nutzen zurückbleiben. Denn während die Unternehmungen sich vor allem auf die fachliche Seite der Transformation fokussieren, vernachlässigen sie dabei, dass die erfolgreiche Einführung einer Technologie letztendlich vor allem von den Mitarbeitern abhängt. Mitarbeitern mit Hoffnungen, Ängsten, Wertvorstellungen und einer Geschichte, die sich nicht auf das Bild des rationalen homo oeconomicus reduzieren lassen, das offenbar von vielen Führungskräften stillschweigend vorausgesetzt wird.

Laut Umfragen von MIT, Capgemini und McKinsey lassen sich mehr als die Hälfte aller Herausforderungen bei digitalen Transformationsprojekten auf menschliche Faktoren zurückführen, unter anderem auf eine fehlende digitale Kultur, inadäquates Führungsverhalten, mangelnde digitale Skills sowie das Fehlen einer digitalen Vision. Im ersten Teil unseres Beitrags zum Faktor Mensch in der Digitalen Transformation beschäftigen wir uns daher mit der Fragen, wie Unternehmen Widerstände gegenüber Veränderungen abbauen können. Der zweite Beitrag untersucht im Anschluss, wie Unternehmen eine digitale Kultur etablieren können, die die Innovationskraft der Mitarbeiter für eine wahrhaft kontinuierliche Transformation des Unternehmens mobilisiert.

Widerstände abbauen

Veränderung bringt immer auch Unsicherheit mit sich. Bei jeder Art von Transformation müssen Führungskräfte sich darüber im Klaren sein, dass sie von ihren Mitarbeitern verlangen, alte Verhaltensweisen aufzugeben. Diese Verhaltensweisen sind nicht nur vertraut, sondern wurden im Laufe der Karriere innerhalb des Unternehmens als richtig belohnt und werden mit Erfolg assoziiert.

Gemeinsames Verständnis

Um diese zugunsten unbekannter Verhaltensweisen aufzugeben, müssen zunächst einige grundlegende Fragen zur Transformation beantwortet werden: das Warum, das Wohin, das Was und das Wie:

  • Warum ist die Adoption neuer Technologien notwendig und was passiert, wenn die Transformation ausbleibt?
  • Was ist das Ziel der Transformation? Wie helfen neue Technologien dabei, den Zweck und die Werte der Unternehmung zu erfüllen?
  • Wie wirkt sich die Transformation auf die Unternehmung als Ganzes, ihre einzelnen Bereiche und auf die Mitarbeiter aus? Wie verändern sich die Anforderungen an die Skills der Mitarbeiter und wie werden neue Fähigkeiten aufgebaut?
  • Wie genau verläuft die Transformation und wie kann jeder einzelne dazu beitragen?

Die Klärung dieser Fragen durch die Erarbeitung einer Transformationsstrategie, einer digitalen Vision des Top-Managements, einer Transformationsroadmap und einer Change-Impact-Analyse helfen dabei, Akzeptanz für die bevorstehende Veränderung und ein Gefühl der Sicherheit und Orientierung zu schaffen. Weitere geeignete Kommunikationsinstrumente sind Customer Journey Maps, die auf konkrete und fassbare Art und Weise eine Diskussion über die Vorteile digitaler Technologien für Kunden und Partner ermöglichen, sowie ein Digital-Skills-Inventar, das Mitarbeitern Auskunft darüber gibt, welche digitalen Fähigkeiten zukünftig für welche Rollen im Unternehmen benötigt werden.

Training

Darüber hinaus sollte das Reskilling und Upskilling der Mitarbeiter eine zentrale Rolle bei der Planung der Transformation einnehmen. Idealerweise beginnt das Training der Mitarbeiter nicht erst, wenn konkrete Transformationspläne vorliegen, sondern findet in regelmässigen Abständen in Form von Weiterbildungen statt, damit die Belegschaft bereits im Voraus mit der Funktionsweise und Anwendungspotenzialen innovativer Technologien vertraut sind und die Transformation mitgestalten können. Zu diesem Zweck sollte das Training neben Wissen und Fähigkeiten zu bestimmten Technologien auch innovative Methoden wie Design Thinking oder die Anwendung des Ecosystem Canvas miteinbeziehen. Darüber hinaus sollten eLearning, Gamification sowie die Möglichkeiten von Virtual Reality für die Lernerfahrung genutzt werden.

Dringlichkeit

Besteht ein gemeinsames Verständnis über die Hintergründe und Ziele der Digitalen Transformation sowie über den einzuschlagenden Weg und wurden die notwendigen Fähigkeiten vermittelt, gilt es noch, eine letzte Hürde für die erfolgreiche Umsetzung des Transformationsvorhabens im Alltag zu überwinden: die Priorisierung von Transformation vor Effizienz. Das Erlernen neuer Verhaltensweisen bedingt zu Beginn unweigerlich einen Leistungseinbruch bei der Aufgabenerfüllung, bis sie den Ausübenden «in Fleisch und Blut» übergegangen sind. Zugunsten einer effizienten Auftragsbearbeitung wird daher im Tagesgeschäft schnell auf altbekannte Muster zurückgegriffen. Um dies zu verhindern, muss durch die gesamte Organisation hinweg ein Gefühl der Dringlichkeit für die Transformation geschaffen werden.

Gute Methoden, um dieses Gefühl auf Managementebene zu erzeugen, sind unter anderem Maverick Scans und Stresstests, die Gedankenexperimente darüber zulassen, welche Auswirkungen der Erfolg alternativer Geschäftsmodelle oder extremer Umweltveränderungen auf die Unternehmung hätten. Auch der Versuch des Transfers disruptiver Innovation in die eigene Industrie kann das Gefühl für potenzielle Gefahren verstärken. Handfestere Methoden umfassen zum Beispiel den regelmässigen Kontakt zu Mitarbeitern an der Kundenschnittstelle oder die Befragung von Kunden konkurrierender Anbieter, um sich ein Bild davon zu machen, welche Anforderungen Kunden an das Angebot der Unternehmung stellen, welche Bedürfnisse sie damit zu decken suchen und welche Bedürfnisse heute vielleicht noch nicht hinreichend berücksichtigt werden.

Wenn es darum geht, das Gefühl der Dringlichkeit auch auf Mitarbeiterebene zu erzeugen, gibt es häufig ein grundlegendes Kommunikationsproblem, das beseitigt werden muss, denn Manager tendieren häufig dazu, beunruhigende Nachrichten nicht weiter nach unten zu kommunizieren. Der Grund ist meist die Befürchtung, Unruhe und Panik unter den Mitarbeitern auszulösen. Werden Probleme verschwiegen, ist es allerdings ungleich schwieriger, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderung zu schaffen. Daher sollten Führungskräfte nicht versuchen, wahrgenommene Probleme unter den Teppich zu kehren, sondern als Herausforderungen mit einem klaren Lösungsansatz kommunizieren. Dabei helfen kann zum Beispiel eine Videobotschaft von Kunden, die dem reinen Wissen um Verbesserungsbedarf eine emotionale Komponente hinzufügt. In periodischen Abständen sollten darüber hinaus auch Mitarbeiter ohne direkten Kundenkontakt zusammen mit Sales-Repräsentanten an Kundengesprächen teilnehmen. Eine eher spielerische Möglichkeit, Mitarbeiter für die Digitale Transformation zu begeistern, sind Planspiele, bei denen ein Challenger-Team das aktuelle Geschäftsmodell angreift, während ein anderes Team es verteidigt.

Role Modeling

Im Idealfall sind nach Ergreifen der zuvor aufgeführten Massnahmen sowohl Manager als auch Angestellte bestens auf die Digitale Transformation vorbereitet und engagieren sich für deren Umsetzung. Da Ideale in der Realität jedoch höchst selten anzutreffen sind, können Digitalisierungsverantwortliche sich in ihren Bemühungen, die Unternehmung für das Thema zu gewinnen, auf einige Schlüsselpersonen in der Unternehmung fokussieren, die ihnen bei Kommunikation und Wissenstransfer helfen. Zum einen sind dies naturgemäss die Führungskräfte, die mit gutem Beispiel vorangehen und als Vorbilder fungieren müssen. Dazu gehört auch, dass sie auf sozialen Medien präsent sind und dort über ihre Erfahrungen mit der Digitalen Transformation berichten. Sie sollten so oft wie möglich das Gespräch mit Mitarbeitern über Vorteile und Herausforderungen der Digitalisierung suchen und auch dazu bereit sein, eigene Schwierigkeiten einzugestehen und sich von digital versierten Mitarbeitern selbst in einer Art Reverse-Mentoring-Programm in die Funktionsweise neuer Technologien einweisen zu lassen.

Solche digital erfahrenen Mitarbeiter können ebenfalls wichtige Vorbilder für Kollegen sein und als Digital Champions die Kommunikation zwischen Managern und Mitarbeitern sowie den Transfer von Wissen und digitalen Fähigkeiten in die einzelnen Unternehmenseinheiten hinein fördern. Sie jedoch nur als Kommunikationsenabler zu sehen, würde das Potenzial fähiger Mitarbeiter allerdings bei weitem nicht ausschöpfen.

Wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter über das reine Mittragen der Transformation hinaus zur aktiven Förderung von Veränderungsvorhaben mobilisieren können und wie sich das Führungsverhalten dafür verändern muss, dazu mehr im zweiten Beitrag.

Tanja Hessel
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