Why Spotify did not use the Spotify Model

Das agile Organisationsmodell des schwedischen Musik- und Video-Streamingdienstes Spotify ist schon seit einiger Zeit in aller Munde. Viele Banken, darunter unter anderem die Commerzbank und die ING, orientieren ihre Organisationsstruktur am Spotify-Modell (Schmiedinger, 2020). Doch was zeichnet das Modell eigentlich aus? Und was ist dran an der Aussage, dass Spotify das Modell selbst gar nicht genutzt haben soll?

Der folgende Beitrag erklärt, was es mit Squads, Tribes, Chaptern und Guilds auf sich hat und inwiefern sich dieses agile Organisationsmodell von herkömmlichen Organisationsformen unterscheidet. Ausserdem werden die Vor- und Nachteile erläutert und geprüft, was dran ist an der Behauptung, Spotify hätte das Spotify-Modell selbst nicht genutzt. 

Das Spotify-Modell erklärt

Das ursprüngliche Modell stammt aus dem Jahr 2012 und wurde von Spotify in den Folgejahren mehrmals an seine geänderten Bedürfnisse angepasst (Schmiedinger, 2020). Der Hype um das Spotify-Modell ist seither ungebrochen – wurde es zunächst überwiegend von Startups genutzt, wurde es ab 2015 die Grundlage für die agile Organisationsstruktur der ING. Das Spotify-Modell besteht aus vier Aufbaukomponenten, die in Abbildung 1 illustriert sind.

Figure 1: Grundelemente des Spotify-Modells (Deloitte, 2018)

Squads: Ein Squad ist ein multidisziplinäres Team, das selbstorganisiert arbeitet. In der Regel bestehen Squads aus acht bis zehn Personen, die alle Kompetenzen abbilden, die zur Umsetzung eines Produktinkrements benötigt werden. Dieses Team ist verantwortlich für einen spezifischen Aspekt eines Produktes, wie beispielsweise das Design einer App-Funktionalität. Es gibt keine Führungsrolle innerhalb des Teams, jedoch hat jedes Squad einen Product Owner, der die anstehende Arbeit priorisiert (Obogeanu-Hempel, 2021).

Tribe: Mehrere Squads bilden einen Tribe. Die maximale Anzahl der Mitarbeiter eines Tribes ist 100. In den Tribes werden übergreifende Themen, wie beispielsweise «User-Experience» gebündelt, um einen intensiven Austausch zwischen den Mitgliedern verschiedener Squads sicherzustellen, die beispielsweise alle an dem Thema User-Experience, aber im Zusammenhang mit verschiedenen Produkten arbeiten (Deloitte, 2018).

Chapter: Squads innerhalb eines Tribes sind durch Chapter verbunden. Diese Organisationseinheit dient als Austauschplattform für Entwickler mit ähnlichen Aufgaben, beispielsweise um Herausforderungen oder neue Erkenntnisse zu diskutieren. Die Diskussionen werden durch den Chapter Lead moderiert. Darüber hinaus hat der Chapter Lead die Aufgabe, Teammitglieder weiterzuentwickeln und HR-Themen zu betreuen, wie z. B. Gehälter festzulegen. Der Chapter Lead ähnelt in seiner Funktion einem Linienmanager, mit dem Unterschied, dass auch er selbst Teil eines Squads und damit auch in die täglichen Aufgaben des Teams eingebunden ist (Deloitte, 2018).

Guilds: Die vierte organisatorische Einheit sind die Guilds, die informelle Interessensgruppen zum Austausch und zur Bündelung von Chapter-unabhängigem Wissen, wie beispielsweise Wissen zur Testautomatisierung, darstellen. Dabei ist der Zusammenschluss dieser Interessensgruppen freiwillig (Schmiedinger, 2020).

Vorteile des Spotify-Modells

Die Vorteile dieser agilen Organisationsstruktur bestehend aus selbst-organisierten und cross-funktionalen Teams liegen auf der Hand (Diehl, 2021; Deloitte, 2018):

1. Gesteigerte Innovationsfähigkeit

Durch die Vernetzung von Teammitgliedern mit verschiedenen beruflichen Hintergründen und Erfahrung sowie durch die Förderung des Wissenstransfers zwischen verschiedenen Teams wird die Innovationsfähigkeit und Kreativität der Mitarbeiter gefördert.

2. Erhöhte Produktivität

Die hohe Autonomie, die starke Vernetzung verschiedener Teams sowie Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen sind entscheidende Motivationsfaktoren für einzelne Teammitglieder. Diese gestiegene Motivation resultiert in einer erhöhten Produktivität.

3. Das Leben einer Fehlerkultur

Die regelmässige Reflektion zurückliegender Projekte und bestehender Prozesse sowie die Ableitung von Verbesserungsaktivitäten im Team fördern den gesunden Umgang mit Risiken. Mitarbeiter sehen Fehler als etwas Positives und reflektieren diese transparent im Team, um aus ihnen zu lernen.

Diese Vorteile verdeutlichen, warum das Spotify-Modell so beliebt ist. Jedoch sollte dieses Modell aus zwei zentralen Gründen nicht einfach als Blueprint für die agile Anpassung der unternehmenseigenen Organisationsstruktur verwendet werden. Erstens, eine Unternehmensstruktur ist immer dem individuellen Unternehmenskontext anzupassen. Zweitens, Spotify organisiert sich selbst heutzutage nicht mehr anhand des Modells.

Why Spotify did not use the Spotify Model 

In seinem Artikel «Failed #SquadGoals. Spotify doesn’t use “the Spotify model” and neither should you» erläutert der ehemalige Spotify Mitarbeiter Jeremiah Lee (2020), warum Spotify diese Organisationsstruktur grösstenteils wieder verworfen hat. Laut Aussage von Lee sind hierfür vier zentrale Gründe entscheidend:

1. Neuetikettierung einer Matrixstruktur

Im Kern handelt es sich bei dem Modell um eine Matrixstruktur, die nicht als solche bezeichnet wird. Jedes Chapter ist ein Funktionsbereich (z. B. Entwicklung, Test, Design) mit einem verantwortlichen Linienmanager. Ein Squad stellt ein funktionsübergreifendes Team dar, das auch in anderen Matrixorganisationen vorhanden ist. Diese neuen Bezeichnungen von bereits bekannten Elementen einer Matrixorganisation stifteten Verwirrung bei vielen Mitarbeitern.

2. Herausforderndes Matrix-Management

Jedes Squad, also eigentlich jedes Team, hat mehrere funktionale Manager für jedes Chapter, sprich Funktionsbereiche, wie beispielsweise Test, Entwicklung und Design. Unstimmigkeiten im Team müssen daher oft zwischen mehreren Managern geklärt werden und falls kein Konsens zustande kommt, an den Manager des Tribes weitergegeben werden. Dies führte zu einer sehr hohen Komplexität und Verwirrung hinsichtlich der Verantwortlichkeiten.

3. Team-Autonomie

Das Spotify-Modell ist unter der Prämisse der Sicherstellung maximaler Team-Autonomie konzipiert. Team-Autonomie ist wichtig und hilfreich in einem schnell agierenden Start-up, aber kann ein grösseres Unternehmen vor Herausforderungen stellen. Als Spotify wuchs, benötigte das Unternehmen eine stärkere Ausrichtung der Teams, um das schnelle Wachstum zu bewältigen und Doppelarbeiten und Komplexitäten zu vermeiden.

4. Agile Kompetenz

Bei Einführung des Spotify-Modells im Jahr 2012, übertrug Spotify die Entscheidung und Kontrolle über die eingesetzten agilen Prozesse und Praktiken den jeweiligen Squads. Das Problem hierbei war jedoch, dass nicht genügend Agile Coaches zur Verfügung standen, die die Squads in ihrer agilen Transformation unterstützten. Daneben verfügten viele Mitarbeiter nicht über ausreichende Kenntnisse der agilen Prinzipien und Praktiken, um diese effektiv umzusetzen.

Diese Punkte verdeutlichen, dass die Auswahl der geeigneten agilen Organisationsstruktur in einem sehr hohen Masse von den aktuellen Gegebenheiten innerhalb eines Unternehmens abhängt. Auch hier kann das Fazit gezogen werden: One size does not fit all. Dies hat zwei Konsequenzen: Es führt nicht zum Erfolg, erfolgreiche Konzepte anderer Unternehmen einfach 1:1 zu übernehmen. Darüber hinaus gilt auch bei der Organisationsstruktur das agile Credo der Selbstreflektion. Unternehmen sollten stetig überprüfen, ob ihre Organisationsstruktur ihren Anforderungen gerecht wird und sie dabei unterstützt, die besten Produkte und Services für ihre Kunden zu entwickeln.


Quellen

Deloitte (2018). Organisation neu denken Flexible Organisationsmodelle für das digitale Zeitalter. Organisation-neu-denken-flexible-organisationsmodelle-2018.pdf (deloitte.com)

Diehl (2021). Das Spotify Model als Blaupause für eine agile Organisation. Spotify Model – Beispiel für agile Organisationen – Andreas Diehl (#DNO) (digitaleneuordnung.de)

Lee (2020). Failed #SquadGoals. Spotify doesn’t use “the Spotify model” and neither should you. Spotify’s Failed #SquadGoals (jeremiahlee.com)

Obogeanu-Hempel (2021). Das Spotify Modell: Wunderwaffe oder überbewertet? Das Spotify Modell: Wunderwaffe oder überbewertet? | MarketScreener Schmiedinger (2020). Das Spotify-Modell – so führen Sie das Framework in Ihre Projektorganisation ein. https://www.projektmagazin.de/artikel/spotify-modell-projektorganisation

Katharina Schache

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