Was macht einen Robo-Advisor aus?

Online-Vermögensverwaltung erlebt in Deutschland seit einigen Jahren einen rasanten Aufschwung. Seit 2017 wuchs die Anzahl der Nutzer um den Faktor 7 von ca. 291.000 im Jahr 2017 auf ca. 2,01 Millionen im Jahr 2020 (vgl. Statista 2020), während das Anlagevolumen sich von ca. 756 Millionen Euro auf 8,068 Milliarden Euro mehr als verzehnfachte (vgl. Statista 2020). Ausschlaggebend für diesen Trend sind vor allem zwei Faktoren: zum einen der durch die Finanzkrise 2007 verursachte Vertrauensverlust in die persönliche Bankberatung, zum anderen die zunehmende Nachfrage nach digitalen Angeboten durch die Digital Natives. Die neue, mit Smartphone und Tablets aufgewachsene Kundengeneration, auch bekannt als „Generation Y“, ist viel mehr der elektronischen Kommunikation verbunden, wodurch der persönliche Kontakt wie beispielsweise zu Kundenberatern bei Banken an Relevanz verliert (vgl. Alt/Puschmann 2016, 29). Im Zuge des Wandels vom persönlich-individuellen Kundenerlebnis bei einer Bank hin zu dem Wunsch standardisierter und digitalisierter Prozesse gewinnt „Robo-Advice“, das die persönliche, menschliche Beratung durch das Angebot algorithmenbasierter Anlagevorschläge ersetzt, zunehmend an Bedeutung (vgl. Dapp 2016, 1).

Aus diesem Grund gibt diese Beitragsreihe einen Überblick darüber, was Robo-Advice ist, welche Geschäftsmodelle und Strategien Robo-Advisors verfolgen und wie sich der traditionelle Kundenberatungsprozess durch den Einsatz von Robo-Advice verändert. Die Beiträge basieren auf meiner Bachelorarbeit „Eine Analyse des Einflusses von Robo-Advice auf den Kundenberatungsprozess im Kapitalanlage-Bereich“, die ich am Institut für Wirtschaftsinformatik der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig verfasst habe.


In meinem letzten Beitrag habe ich die Kundenberatungsprozesse bei einem menschlichen Berater und einem Robo-Advisor im Detail vorgestellt. Heute erkläre ich, wodurch diese Unterschiede verursacht werden. Dieser Schritt ist wichtig, um die Unterschiede zwischen den beiden Beratungsprozessen nachvollziehen und erklären zu können, um dann in einem nächsten Schritt den Einfluss von Robo-Advice auf den Kundenberatungsprozess herzuleiten und schließlich die Vor- und Nachteile von Robo-Advice gegenüber dem traditionellen Kundenberatungsprozess bewerten zu können.

Prozesscharakteristika eines Robo-Advisors

Der Beratungsprozess eines Robo-Advisors weist sieben übergeordnete Charakteristika auf: Accessibility, Verfügbarkeit, Standardisierung, Automatisierung, Transparenz, Usability und Effizienz.

Übergeordnetes ProzesscharakteristikumEinzelne Prozesscharakteristika
AccessibilityOnline-Verfügbarkeit
Geringe Mindestvoraussetzungen
VerfügbarkeitPermanente Erreichbarkeit
Permanente Überwachung
StandardisierungVermeidung subjektiver Beratungsfehler
AutomatisierungAutomatisierung
TransparenzVergleichbarkeit
UsabilityUnkompliziertes Onboarding / Einfachheit
Customer Experience
(Convenience)
(Customer Centric)
Flexibilität
EffizienzRessourcenersparnis
Effizientes Onboarding
Effizienz bei Risikoanalysen
Geschwindigkeit
Effizienz in Compliance
Produktivität
Tabelle 1: Prozesscharakteristika eines Robo-Advisors

Einige der Charakteristika erhalten dabei in der Literatur grössere Beachtung als andere. So nimmt man auf die Effizienz und die Usability von Robo-Advice mit jeweils 22 Textstellen fast dreimal mehr Bezug als auf die Accessibility der Dienstleistung mit lediglich acht Textstellen. Mit einem deutlichen Abstand folgt das zweitmeist referenzierte übergreifende Prozesscharakteristikum, die Transparenz, mit 13 Treffern. Im Folgenden erläutere ich die übergeordneten Prozesscharakteristika und ihre einzelnen Bestandteile näher:

Accessibility

Der Beratungsprozess eines Robo-Advisors erfolgt ausschliesslich digital über eine Internet-Webseite oder Smartphone-Applikation (vgl. Finextra 2016, 12, 15). Im Gegensatz zur traditionellen Anlageberatung, welche gewöhnlich eine Mindestanlagesumme von 100.000 Euro erfordert (vgl. Bloch/Vins 2017, 118), wird die Kundenzielgruppe bei der digitalen Vermögensverwaltung nicht eingeschränkt und kein Mindestanlagevolumen verlangt. Ausserdem sind die Servicegebühren eines Robo-Advisors deutlich geringer als die der traditionellen Anlageberatung . Aus diesen Gründen ist die Accessibility, also ein „einfacher“ Zugang zur Inanspruchnahme der Dienstleistung, für den Robo-Advisor charakteristisch. Grundsätzlich wird dadurch ermöglicht, dass gering vermögende Kunden den Service einer Vermögensverwaltung in Anspruch nehmen können (vgl. Warmund/Lewis 2016, 5, Pertlwieser/Lehr 2017, 140).

Verfügbarkeit

Eine weitere Prozesseigenschaft stellt die permanente Verfügbarkeit des Robo-Advisors dar: Der Beratungsprozess eines Robo-Advisors kann grundsätzlich jederzeit und an jedem beliebigen Ort in Anspruch genommen werden, vorausgesetzt, der Benutzer verfügt über ein internetfähiges Endgerät und die Webseite des Robo-Advisors unterliegt keinen Serverproblemen (vgl. Bundesverband deutscher Banken e.V. 2017, 3, Fisch et al. 2017, 14f). Ausserdem ist ein Robo-Advisor in der Lage, bereits zugewiesene Kunden-Portfolien permanent zu überwachen, bei Bedarf automatisch ein Rebalancing durchzuführen und den betreffenden Kunden darüber unverzüglich zu informieren. Durch den Einsatz eines Robo-Advisors können die Investments des Kunden permanent kontrolliert werden, was durch einen menschlichen Berater nicht möglich wäre (vgl. Bloch/Vins 2017, 118). Aufgrund dessen, dass der Kunde den Beratungsprozess zeitlich und räumlich unabhängig starten kann, entfallen zu berücksichtigende Termine und Öffnungszeiten. Im Falle eines Serverausfalls kann jedoch keine Beratungsdienstleistung stattfinden und es kommt zu keiner Kundenakquisition.

Standardisierung

Als nächste prozessbezogene Eigenschaft ist die Standardisierung zu erwähnen. Der gesamte Beratungsprozess eines Robo-Advisors ist standardisiert und folgt demnach einem festgelegten Muster. Alle Prozessschritte sind hierbei in ihrer Reihenfolge und den darin enthaltenen Abläufen unveränderbar. Aus diesem Grund kann jedem Kunden stets eine konstante Qualität gewährleistet werden, menschliche, subjektive Beratungsfehler können ausgeschlossen werden (vgl. Siegismund 2018, 20, Bundesverband deutscher Banken e.V. 2017, 4). Aufgrund von Musterportfolien und einer festgelegten Servicegebühr unterliegt der Robo-Advisor im Gegensatz zum menschlichen Berater ausserdem keinen potentiellen Interessenskonflikten durch Verkaufsprovisionen (vgl. Bloch/Vins 2017, 119). Eine Standardisierung kann den Beratungsprozess jedoch auch negativ beeinflussen: Robo-Advisors sind auf vordefinierte Angaben innerhalb des Fragenkatalogs programmiert und berücksichtigen keine individuellen Präferenzen oder scheitern an aussergewöhnlichen Situationen, die innerhalb des Beratungsprozesses auftreten können. Beispielsweise muss sich der Kunde für eines der vorgeschlagenen Anlageziele entscheiden, auch wenn keines davon seinen Vorstellungen entspricht. Auch Verständnisprobleme auf Seiten des Kunden können nicht gelöst werden. Diese Szenarien können dazu führen, dass Anleger mit ungleichen Investment-Absichten dennoch das gleiche und somit eventuell unpassende Musterportfolio vorgeschlagen bekommen bzw. der Beratungsprozess abgebrochen werden muss (vgl. Kaya 2017, 3, Fisch et al. 2017, 17f, Singh/Kaur 2017, 41).

Automatisierung

Eine vierte Prozesseigenschaft des Robo-Advisors ist die Automatisierung. Beispielsweise wird automatisch die Kundenkommunikation dokumentiert und E-Mails bei Marktveränderungen an den Kunden versandt (vgl. Deloitte 2016, 5, Kaya 2017, 3). Durch automatisierte Sub-Prozesse kann der Beratungsprozess schneller und ohne menschliches Zutun ausgeführt werden. Somit kann es zu keinen personellen Engpässen in der Anlageberatung kommen und Personal, Zeit sowie Kosten können eingespart werden.

Transparenz

Als weitere Besonderheit des Robo-Advisors stellt sich dessen Transparenz heraus, durch die jeder Schritt innerhalb des End-to-End-Prozesses rational begründet werden kann (vgl. Pertlwieser/Lehr 2017, 140, Warmund/Lewis 2016, 5, Hölscher/Nelde 2018, 70). Ein permanenter Zugang zur Plattform gewährt dem Kunden jederzeit einen Überblick über seine Investments und Einsicht in seine Vertragsunterlagen (vgl. Pertlwieser/Lehr 2017, 131, Siegismund 2018, 21). Vor Beginn eines Beratungsprozesses ist es dem Kunden möglich, unterschiedliche Robo-Advisors miteinander zu vergleichen und Erfahrungsberichte zu lesen (vgl. Bloch/Vins 2017, 119, Bundesverband deutscher Banken e.V. 2017, 3). Dies führt dazu, dass der Kunde sich hinreichend über Angebote informieren und den für ihn besten Anbieter auswählen kann. So wird das Risiko eines Abbruchs des Beratungsprozesses durch den Kunden reduziert.

Usability

Ein Robo-Advisor ist auch von seiner Usability geprägt: Leicht verständliche Fragen und die einfache Erläuterung komplexer Themen sind Teil des Beratungsprozesses. Inhalte werden modern präsentiert (vgl. Pertlwieser/Lehr 2017, 131) und der Kunde wird aktiv in den Prozess eingebunden, in dem er beispielsweise spielerisch anhand von Mustersituationen Anlageentscheidungen treffen muss und so an der Ermittlung seiner Risikoeinstellung beteiligt ist (vgl. Petry 2017, 29). Der gesamte Beratungsprozess wird hierbei über eine Smartphone-Applikation oder über eine Internet-Webseite ausgeführt, wodurch das Kundenerlebnis zusätzlich gestärkt wird (vgl. Warmund/Lewis 2016, 5). Bereits getätigte Investments sowie die monatliche Sparrate kann der Kunde flexibel und ohne Zusatzkosten mit wenigen Mausklicks verkaufen oder erweitern. Auch im Falle des Verkaufs des gesamten Portfolios ist es möglich, das Robo-Advisor-Konto später ohne weitere Kosten fortzuführen (vgl. Bloch/Vins 2017, 119). Da alle Prozessschritte digital sind, entfallen bei Robo-Advice die Papiernutzung sowie ein Filialbesuch gänzlich (vgl. Bloch/Vins 2017, 118, Fisch et al. 2017, 14f). Ein persönlicher Kontakt ist durch den Verlust des menschlichen Beraters im gesamten Verlauf des Beratungsprozesses aber nicht vorhanden, wodurch individuelle Fragen des Kunden nicht beantwortet werden können (vgl. Singh/Kaur 2017, 41). Ausserdem ist es nicht ersichtlich, wie ernst und gewissenhaft ein Kunde Fragen beantwortet. Bei Ungeduld oder fehlender Konzentration neigen Menschen zum Beispiel dazu, unzureichende oder zufällige Angaben zu machen, die möglicherweise zu einer unpassenden Portfolio-Allokation führen (vgl. Kaya 2017, 3).

Effizienz

Das siebte und zugleich letzte ermittelte Prozesscharakteristikum stellt die Effizienz dar. Aufgrund dieser Eigenschaft führt der Robo-Advisor die einzelnen Sub-Prozesse bzw. Aktivitäten innerhalb des Beratungsprozesses in kürzerer Zeit aus (vgl. Stolberg 2017, 233). Beispielsweise können Algorithmen in Echtzeit die Risikotoleranz des Kunden berechnen oder neue Anlagevorschläge ermitteln (vgl. Bundesverband deutscher Banken e.V. 2017, 6, Fisch et al. 2018, 26). Zudem erfolgt die Kundenkommunikation ausschliesslich auf digitalem Wege und der Beratungsprozess ist innerhalb von zehn bis 20 Minuten vollendet (vgl. D’Acunto et al. 2019, 1989, Siegismund 2018, 21). Der Einsatz eines Robo-Advisors ist im Vergleich zum traditionellen Beratungsprozess um einiges effizienter und produktiver, da die Arbeitsgeschwindigkeit eines menschlichen Beraters stets geringer als die eines Robo-Advisors ist (vgl. Stolberg 2017, 233, Finextra 2016, 12). Dadurch haben sowohl Kunde als auch Berater mehr Zeit für andere Dinge zur Verfügung (vgl. Kaya 2017, 3). Die Effizienz kann besonders dadurch verdeutlicht werden, dass für die Account-Verwaltung beim Robo-Advisor lediglich ein Account-Manager pro 20.000 Kunden-Accounts benötigt wird, während in der traditionellen Vermögensverwaltung bis zu drei Berater 60 bis 150 Kunden bedienen.

Anhand der Prozesscharakteristika eines Robo-Advisors lassen sich bereits einige Verbesserungen, aber auch Verschlechterungen des Beratungsprozesses im Vergleich zur traditionellen Anlageberatung erkennen. Wie genau die Charakteristika den Beratungsprozess beeinflussen, werde ich nächste Woche anhand der Graphik des traditionellen Beratungsprozesses visualisieren. Zum Abschluss versuche ich, die Frage zu beantworten, welche Beratungsform nun die bessere ist und in welche Richtung die Beratung sich weiterentwickeln wird.


Quellen
[Alt/Puschmann 2016]Alt, R., Puschmann, T., Digitalisierung der Finanzindustrie, Springer-Verlag, Berlin, 2016.
[Bloch/Vins 2017]Bloch, T., Vins, O., Private Banking via FinTech: Strategie und Schnittstellen, in: Fleischer, K., Trends im Private Banking, 3. Aufl., Bank-Verlag GmbH, Köln, 2017, S. 111–128.
[Bundesverband deutscher Banken e.V. 2017] Bundesverband deutscher Banken e.V., Positionspapier des Bankenverbandes zu Robo-Advice, Berlin, 2017.
[D’Acunto et al. 2019]D’Acunto, F., Prabhala, N., Rossi, A.G., The Promises and Pitfalls of Robo-Advising, in: The Review of Financial Studies, 32 (2019) 5, S. 1983–2020.
[Dapp 2016]Dapp, T.-F., Robo Advice, Deutsche Bank Research, 2016.
[Deloitte 2016]Deloitte, Cost-Income Ratios and Robo-Advisory Why Wealth Managers Need to Engage with Robo-Advisors, Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, 2016.
[Finextra 2016]Finextra, The future of advisory: exploring the impact of robo on wealth management, Finextra Research, 2016.
[Fisch et al. 2017]Fisch, J.E., Labouré, M., Turner, J.A., The Economics of Complex Decision Making: The Emergence of the Robo Adviser, University of Pennsylvania Law School (Institute for Law and Economics)/Harvard University/Pension Policy Center, 2017.
[Fisch et al. 2018]Fisch, J.E., Labouré, M., Turner, J.A., The Emergence of the Robo-advisor, University of Pennsylvania Law School (Institute for Law and Economics)/Harvard University/Pension Policy Center, 2018.
[Kaya 2017]Kaya, O., Robo-advice – a true innovation in asset management, Deutsche Bank Research, Frankfurt am Main, 2017.
[Pertlwieser/Lehr 2017]Pertlwieser, M., Lehr, J. von der, Robo Advisors, in: Fleischer, K., Trends im Private Banking, 3. Aufl., Bank-Verlag GmbH, Köln, 2017, S. 129–145.
[Petry 2017]Petry, M., Robo Advisor: Einfache Lösungen sind gefragt, in: bank und markt (2017) 4, S. 28–30.
[Siegismund 2018]Siegismund, B., Rolle rückwärts – Digitale Vermögensverwalter mit persönlicher Beratung, in: bank und markt (2018) 12, S. 19–21.
[Singh/Kaur 2017]Singh, I., Kaur, N., Wealth Management through Robo Advisory, International Journal of Research – Granthaalayah, 2017.
[Statista 2020]Statista, Robo-Advisors, 2020.
[Stolberg 2017]Stolberg, M., Finanzdienstleister investieren in künstliche Intelligenz, in: Finanzierung Leasing Factoring (2017), S. 232–235.
[Warmund/Lewis 2016]Warmund, J., Lewis, B., Robo advising: Catching up and getting ahead, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, 2016.
Konstantin T. von Ehrlich-Treuenstätt
Latest posts by Konstantin T. von Ehrlich-Treuenstätt (see all)

Was sind Deine Erfahrungen mit dem Thema? (Kommentieren geht auch ohne Anmeldung oder Einloggen; einfach kommentieren, auf Freigabe warten und fertig!)