Was ist Bitcoins nächster Evolutionsschritt nach Einführung des Bitcoin ETFs – und was gibt es für die Banken dabei zu beachten
Erster Teil: Wie man Bitcoin als produktiven Vermögenswert richtig versteht
Der folgende Blogbeitrag gibt die Einsichten und Meinungen der Autoren wider bezüglich der Entwicklung von Bitcoin als produktiven Vermögenswert und diskutiert mögliche Handlungsstrategien in Bezug auf die «Trust Assumptions» für Banken. Seit der Einführung des Bitcoin-Spot-ETFs in den USA im Januar 2024 ist Bitcoin als Vermögenswert für breite institutionelle Investorenkreise zugänglich geworden. Dies markierte einen bedeutenden Meilenstein auf seinem Weg als monetärer Vermögenswert.
Der nächste wesentliche Schritt in der Entwicklung von Bitcoin als investierbarem Vermögenswert ist die Erschliessung von Möglichkeiten zur Ertragsgenerierung (ähnlich zu Dividenden bei Aktien oder Coupons auf Anleihen). Im ersten Teil dieses zweiteiligen Blogbeitrags stellen wir Bitcoin als neuartigen monetären Vermögenswert vor, erörtern die Notwendigkeit, Bitcoin produktiv zu nutzen, und analysieren, wie erste Ansätze in diesem Bereich zur Krypto-Kreditkrise 2022 geführt haben.
Im zweiten Teil schlagen wir drei Perspektiven für Bitcoin-Renditeprodukte in Bezug auf Vertrauenswürdigkeit vor. Durch diese Einführung der Konsensus-, Asset- und Ertragsperspektiven betrachten und bewerten wir die Risiken und Kompromisse verschiedener Renditeprodukte. Basierend auf den Erkenntnissen definieren wir, was wir als den Goldstandard eines Bitcoin-Renditeprodukts betrachten und deuten auf erste Implementierungen hin, die sich im Markt zu etablieren beginnen.
Bitcoin, ein beispielloser monetärer Vermögenswert
Was ist Bitcoin? Diese Frage scheint immer noch zur Debatte zu stehen. Einige hoffen, dass es ein Tauschmittel (Medium of Exchange) für den täglichen Gebrauch wird. Andere betrachten es als digitales Gold, das im 21. Jahrhundert als wichtigstes Wertaufbewahrungsmittel (Store of Value) dienen wird. Wieder andere sehen Bitcoin als ein global verteiltes Speichersystem, das ausserhalb der Blockchain durchgeführte Prozesse jeder Art vertrauenslos verankert und verifiziert.
All diese Ansichten sind in gewisser Weise wahr (und werden im Laufe der Zeit noch “wahrer”). Heute hat sich Bitcoin in erster Linie in digitales Basisgeld entwickelt. Als Inhabervermögenswert wie Gold, als risikoarm geltende Anlagen wie Staatsanleihen und als Währungseinheit wie der Dollar wird Bitcoin zum neuen Basisgeld für die digitale Wirtschaft[1]. Darauf aufbauend wird ein mehrschichtiges Finanzsystem entstehen, das eine neue Bitcoin-basierte Wirtschaft unterstützt.
Bitcoin (BTC) definiert das Grundkonzept eines monetären Basiswerts neu. Geführt von einem transparenten Algorithmus, funktioniert die Kryptowährung unter einer nicht-diskretionären Geldpolitik. Es gibt nicht nur eine Angebotsgrenze (Hard Cap) von 21 Millionen, sondern dank des transparenten Angebotsplans von Bitcoin wissen wir genau, wie viele digitale Basisgeldeinheiten es zu einem bestimmten Zeitpunkt gibt. Bitcoins Geldpolitik ist praktisch unveränderlich und gleichzeitig nachweislich knapp.
Im Gegensatz dazu steht das heutige Basisgeld, der US-Dollar. Zweifellos ist der US-Dollar die führende Fiat- und zugleich Reservewährung der Welt und somit von grosser Bedeutung. Dennoch hat die Welt akzeptiert, dass die Entscheidungsmacht über das Angebot des US-Dollars in den Händen einer kleinen Gruppe nicht gewählter Technokraten liegt. Und es ist diese Gruppe, die damit beauftragt ist, das Basisgeldangebot des US-Dollars den Launen einer sich ständig verändernden Wirtschaft anzupassen.
Während dies von vielen Experten als ein beabsichtigtes Feature betrachtet wird, ist es auch eine Tatsache, dass die zukünftige Geldmenge des US-Dollars nicht bekannt sein kann, da sich seine Veränderungsrate sprunghaft ändern kann und somit das Angebotslimit theoretisch unbegrenzt ist. Die Fähigkeit der Zentralbank, die unglaublich komplexen Wechselwirkungen menschlichen Handelns bei der Bewertung der „richtigen“ Menge an Basisgeld vorherzusehen, wurde von Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek in seiner Preisvorlesung „Der Schein des Wissens“ stark in Frage gestellt[2].
Bitcoin hebeln oder nicht hebeln
Für die meisten Bitcoin-Befürworter ist die 21-Millionen-Grenze von Bitcoin nicht verhandelbar. Wie der bekannte Bitcoin-Autor Nic Carter zusammenfasste: “Bitcoin’s supply schedule cannot change, because Bitcoin IS the supply schedule” [3]. Wie er und viele andere glauben, würde jede Änderung etwas hervorbringen, das eindeutig nicht Bitcoin ist. Folglich wird in der neuen Welt von Bitcoin, wo eine unveränderliche Geldpolitik herrscht, das Konzept von Kredit und Hebelwirkung mit Skepsis betrachtet. Jede Art von Hebelwirkung, die mehr Ansprüche auf Bitcoin schafft, wird als Abweichung von Bitcoins sakrosankter Geldmengenbegrenzung gesehen.
Die Hebelwirkung von Bitcoin durch finanzielle Mittel wird von einigen Bitcoinern als eigentliche Geldmengenausweitung betrachtet, was ihrer Meinung nach “Fiat” Charakter hat. Sie lehnen jede Art von Kredit oder Hebelwirkung ab. Nuanciertere Bitcoiner missbilligen Hebel nicht vollständig, bleiben aber den meisten gegenüber skeptisch. Sie folgen dem grossen Währungsökonomen Ludwig von Mises, einem bekannten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, der in seinem Buch „Die Theorie des Geldes und des Kredits“[4] zwei grundlegende Arten von Krediten darlegte: Warenkredit und Umlaufkredit.
Nach von Mises ist Warenkredit ein Kredit, der auf der Grundlage realer Ersparnisse vergeben wird. Umlaufkredit hingegen ist ein Kredit, der nicht durch irgendwelche zugrunde liegenden Ersparnisse gedeckt ist. Solche Kreditforderungen werden in der Bitcoin Gemeinschaft oftmals als ungedeckte IOUs (von „I owe you“) bezeichnet. Es sind diese durch Hebelwirkung geschaffenen „Papier-Bitcoins“, die Bitcoiner als wirtschaftlich instabil und somit problematisch betrachten.
Dieses Gefühl ist in der gesamten Bitcoin Community weit verbreitet. Prominente Persönlichkeiten wie Caitlin Long, ehemalige Wall Street-Veteranin und jetzige CEO der Custodia Bank, warnen vor den Gefahren der Hebelwirkung bei Bitcoin. Mit ihren prägnanten Worten: “Ein Narr und sein gehebelter Bitcoin sind bald getrennt.” [5] stellt sie ihren überzeugenden Standpunkt dar und hat gute Gründe dafür. Die Ereignisse des Jahres 2022, insbesondere der Zusammenbruch von fremdfinanzierten Bitcoin-Kreditunternehmen wie Celsius und BlockFi, haben die Richtigkeit von Longs Position und derer ihrer Kollegen deutlich unterstrichen.
In einem Szenario, das an den Zusammenbruch von Lehman Brothers erinnert, geriet der breitere Krypto-Markt 2022 in eine Kreditkrise, die zahlreiche Akteure im Krypto-Kreditsektor beeinträchtigte. Von Krypto-Kreditgebern und Brokern bis hin zu Hedgefonds und Börsen stellten eine Vielzahl von Marktteilnehmern entweder den Betrieb ein oder meldeten Insolvenz an.
Befeuert durch das Wiederaufleben des Bullenmarktes von 2020/21 erlebten Institutionen wie Voyager, Three Arrows Capital, Celsius, BlockFi und FTX ein erhebliches Wachstum. Entgegen den vorherrschenden Überzeugungen waren die meisten Krypto-Kreditaktivitäten nicht Peer-to-Peer und gingen mit erheblichen Gegenparteirisiken einher. Kunden verliehen direkt an die Plattform, welche diese Mittel dann in spekulative Strategien investierten, um extra Erträge zu erzielen, ohne ein angemessenes Risikomanagement zu betreiben.
Dabei markierte der DeFi-Sommer 2020 den Beginn und Aufschwung in Krypto-Aktivitäten, die auf Basis von dezentralen Finanzprotokollen durchgeführt wurden. Der Aufstieg wichtiger DeFi-Protokolle, einschliesslich dezentraler Börsen (DEX) wie UniSwap und überbesicherten, ohne Verwahrung der Vermögenswerte übernehmenden Kreditplattformen wie Aave, erleichterte wirtschaftlich nachhaltige Ertragsgenerierungsmethoden für Liquiditätsanbieter und Kreditgeber in diesen Märkten.
Zahlreiche grosse Krypto-Akteure nutzten dann verschiedene Versionen dieser aufkommenden und hochinnovativen DeFi-Protokolle, um aussergewöhnlich wettbewerbsfähige Erträge zu bieten. Diese Erträge wurden hauptsächlich durch die Inflation von Protokoll-Token[6] angetrieben, die attraktive, aber nicht nachhaltige Auszahlungen künstlich erleichterten.
Doch aufgrund eines Mangels an einem robusten Geschäftsmodell oder einer angemessen gestalteten Token-Ökonomie wurde kein nachhaltiger Ertrag generiert. Damals blieben diese DeFi-Protokolle vom traditionellen Wirtschaftssystem getrennt. Genau hier hätte eine nachhaltige Ertragsquelle durch den realen Wirtschaftsfluss kommen müssen. Ertrag ist der generierte Fluss über die Wartungskosten oder Abschreibung der Tragfähigkeit eines Bestandes eines wirtschaftlich produktiven Vermögenswerts hinaus[7]. DeFi fehlte dies zu einem grossen Teil, was das gesamte Unterfangen unhaltbar machte. Erst später, als Protokolle wie Maker oder Aave enger mit Unternehmen aus der realen Welt interagierten, begann sich dies zu ändern.
Im Kern waren die Hauptprobleme der Krypto-Kreditkrise 2022
- Unsolide Portfolioentscheidungen (Terra-Luna oder stETH/ETH-Handel)
- Übermässige Kreditaufnahme (3AC-Superzykluswette)
- Jagd nach nicht nachhaltigen Erträgen (Künstliche Erträge)
- Unprofessionelles Risikomanagement (Celsius Kollateralinvestitionen, Voyagers hochkonzentrierte unbesicherte Kredite)
- Ungesicherte Kredite an nicht bewertete/ungesunde Gegenparteien
- Missbrauch von Kundengeldern (FTX, Alameda Research)
- Nicht-segregiertes Kollateral (Voyager, Celsius, Hodlnaut usw.)
Was diese Krise ans Licht brachte, war eine Vielzahl von Problemen rund um zentralisierte Ertragsinstrumente. Seitdem stehen Bedenken hinsichtlich Transparenz und Vertrauen im Mittelpunkt, begleitet von einer Reihe von Risiken, einschliesslich Liquiditäts-, Markt- und Gegenparteirisiken.
Gleichzeitig haben wir gelernt, dass neue auf Blockchain basierende „Bankdienstleistungen“, die zentralisiert sind und stark auf Off-Chain-Risikomanagementprozessen basieren, sich nicht wirklich von traditionellen Banken unterscheiden. Und das ist ein Problem. Schliesslich hat uns die Geschichte unseres traditionellen Banksystems gelernt, dass es in Off-Chain-Systemen ohne angemessenes Risikomanagement regelmässig zu Betrugsfällen kommt. Dies liegt hauptsächlich daran, dass notwendige Kontrollen und Gegenmassnahmen technisch nicht auf transparente und unabhängig überprüfbare Weise implementiert werden können, was dazu führt, dass ein Übermass an Regulierung erforderlich ist.
Bitcoin-basierte Rendite ist nicht optional
Mit all den schlechten Erinnerungen aus 2022 bleibt die unvermeidliche Frage in vielen Köpfen stecken: Sollte das Ökosystem Bitcoin-basierte Renditeprodukte annehmen, oder stellen sie ein zu grosses Risiko dar und ähneln Merkmalen des Fiat-Systems? Während die Vorbehalte in der Tat berechtigt sind und die Frage vernünftig erscheint, ist es auch naiv zu glauben, dass Bitcoin-basierte Renditeprodukte aufhören werden zu existieren[8]. In jeder gut funktionierenden Gesellschaft entsteht der natürliche Bedarf an Kredit und damit an Rendite. Tatsächlich ist Kredit eine Voraussetzung für eine wohlhabende Gesellschaft. In unterentwickelten Volkswirtschaften, wo ein Netzwerk von Kreditmöglichkeiten fehlt und die Verfügbarkeit langfristiger Kredite stark eingeschränkt ist, stecken die Menschen in den Fesseln einer Subsistenzwirtschaft fest, die hauptsächlich auf Landwirtschaft und direktem Konsum basiert. Erst wenn Kredite möglich sind, kann eine umfassendere, produktive Kapitalstruktur entstehen[9].
Um die Bitcoin-basierte Wirtschaft aufzubauen, von der viele Bitcoiner träumen, braucht das Bitcoin-Protokoll ein Kredit- und Ertragssystem, das auf ihm aufbaut. Während Befürworter die Tugenden von Bitcoin als neue Form des Geldes endlos preisen können, bleibt die Realität bestehen: Geld benötigt eine eigene Wirtschaft, die es auch zu einer tatsächlich nutzbaren Währung macht. Dies unterstreicht die Notwendigkeit für Bitcoin-basierte Ertragsmechanismen, um die Entwicklung einer robusten, auf Bitcoin zentrierten Wirtschaft zu fördern. Ein solches Ökosystem würde sich auf Bitcoin als sein digitales Basisgeld stützen, doch Bitcoin-basierte Renditeprodukte würden die weit verbreitete Adoption und Nutzung erleichtern.
Im zweiten Teil dieses Blogbeitrags stellen wir die von uns vorgeschlagenen Betrachtungsperspektiven zu Konsens, Asset und Ertrag vor. Wir werden zudem die am Markt beobachtbaren Implementierungsansätze systematisch nach diesen Kriterien analysieren und einordnen.
Quellen:
Brick Towers. (2024). Abgerufen am 1. Mai 2024, von https://bricktowers.io/bitcoin-yield/
Wikipedia. IOU. Abgerufen am 1. Mai 2024, von https://en.wikipedia.org/wiki/IOU
Farrington, A., Larson, A. (2021). Only the Strong Survive. Abgerufen am 1. Mai 2024, von https://www.uncerto.com/only-the-strong-survive
[1] Tantra Labs. (2024). https://medium.com/tantra-labs/the-triumvirate-of-liquidity-4fe4ab48d120
[2] Hayek, F. A. (1974). https://www.nobelprize.org/prizes/economic-sciences/1974/hayek/lecture/
[3] Carter, N. (2020). https://medium.com/@nic__carter/dont-fear-the-reaper-8bbb42358efb
[4] Mises, L. v. (1912). https://mises.org/library/theory-money-and-credit
[5] Long, C. (2021). https://www.youtube.com/watch?v=wTYJgorKWtQ
[6] Farrington, A., Larson, A. (2021). https://www.uncerto.com/only-the-strong-survive
[7] Ross, S., Carter,N., Farrington, A. (2022). https://assets.website-files.com/614e11526f6630959fc98679/629a961965b5a15419d5c72b_On%20Impossible%20Things%20Before%20Breakfast.pdf
[8] CoinDesk. (2020). https://www.coindesk.com/business/2020/11/10/the-case-for-bitcoin-banking-despite-creds-bankruptcy/
[9] Banerjee, A. V., & Duflo, E. (2011). Poor Economics: A Radical Rethinking of the Way to Fight Global Poverty. New York: PublicAffairs.