
Trendimpactradar 2023: Neue Trends für die Finanzindustrie
Teil 1: Mega- und Makrotrends
Die Wirtschaft befindet sich in einem permanenten Wandel: Die globale Klimaerwärmung und endliche Ressourcenvorräte erfordern einen grösseren Fokus auf Nachhaltigkeit; Technologien entwickeln sich weiter und ermöglichen neue Services und Formen der Zusammenarbeit; neue Kundengenerationen werden volljährig und stellen Unternehmen vor die Herausforderung, ihre Angebote neuen Bedürfnissen anzupassen. Dies ist nur eine kleine Auswahl der Themen, die sich auf die Tätigkeiten von Unternehmen auswirken.
Das Competence Center Ecosystems identifiziert und analysiert in regelmässigen Abständen die wichtigsten Trends, die sich auf Finanzinstitute und finanznahe Dienstleister auswirken. Dabei gehen wir sowohl auf die Entwicklung von Megatrends, Makrotrends und Mikrotrends als auch deren Impact auf die Finanzindustrie ein. Unter Megatrend verstehen wir Trends, die noch mehr als zehn Jahre benötigen, um sich in der Finanzindustrie zu etablieren. Makrotrends können sich bereits innerhalb von fünf bis zehn Jahren durchsetzen. Unter dem Begriff Mikrotrends werden eher kurzfristige Entwicklungen bzw. Use Cases verstanden.
Das letzte Update des Trendradars auf unserem Blog stammt von September 2020, als ich über die Auswirkungen der Corona-Pandemie geschrieben habe. Seither hat sich einiges getan. Heute möchte ich die vier Mega- und Makrotrends vorstellen, die wir im Rahmen unseres letzten internen Updates neu als für die Finanzindustrie relevant eingestuft haben.

Web 3.0
Während das Web 1.0 der breiten Masse lediglich zum Konsum bzw. zum Download von Daten diente, ermöglichte es das Web 2.0 Nutzern, anderen auch ohne grosse technische Vorkenntnisse Daten zur Verfügung zu stellen (Down- und Upload). Dies ermöglichte die Realisierung von vollständig neuen Geschäftsmodellen. BigTechs wie Facebook, TikTok oder Instagram, aber auch AirBnb oder Uber wären ohne den von Usern kreierten Content nicht denkbar. Genauso gäbe es ohne die Möglichkeit, eigenen Content zu generieren, auch keine Influencer, zumindest nicht im heutigen Ausmass: Das für Influencer weltweit ausgegebene Marketingbudget stieg von 6,04 Milliarden Dollar im Jahr 2017 auf knapp 28 Milliarden Dollar im Jahr 2022 [2]. Auch das Verhaltenstracking der BigTechs profitiert von nutzergenerierten Inhalten, da sie den Algorithmen die notwendigen Informationen liefern, um Werbung noch gezielter auf die Kunden ihrer Services zuzuschneiden. Die Konturen des Web 3.0 zeichnen sich nun langsam ab. Basierend auf unserer Erforschung der zunehmenden Datenhoheit durch den Kunden und der Weiterentwicklung DLT-basierter Geschäftsmodelle gehen wir davon aus, dass das Web 3.0 zusätzlich zu dem Down- und Upload durch das Thema Besitz bzw. Ownership gekennzeichnet sein wird. Das heisst, dass Nutzer ihre eigenen Daten und Identitäten besitzen bzw. verwalten können. Zugleich können tokenisierte Assets – virtuelle oder reale Vermögensgegenstände, deren Besitz- und/oder Nutzungsrechte in Form eines Tokens auf einer Blockchain abgebildet sind – besessen, gehandelt und transferiert werden. Mit der Möglichkeit des «Besitzes» digitaler Inhalte eröffnet sich anlog zum Web 2.0 die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dabei werden nicht nur bestehende Services der Finanzindustrie auf ein neues Level gehoben werden (Wechsel von Fiat- zu Cryptocurrencies, Verwaltung von tokenisierten Assets, etc.), sondern auch neue, uns jetzt noch unbekannte Services entstehen.[a]
AR & VR / Metaverse
Zur Erinnerung: Das Metaverse ist «ein virtueller Raum, in dem sich Benutzer mit Hilfe von Avataren bewegen und in dem sie virtuelle Artefakte beeinflussen und nutzen können, etwa wenn sie sich Kleidung überziehen, ein Haus bauen und dieses einrichten, eine Tür öffnen und auf die Straße hinaustreten und dort Mitspieler und Gleichgesinnte treffen. Wie in der realen Welt kann man dort leben, arbeiten, lernen, Handel treiben, Gespräche führen und Beziehungen aufbauen» [3]. Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) sind eng mit der Entwicklung des Metaverse verbunden, da sie dabei helfen, eine lebensnahe Erfahrung zu simulieren, z. B., indem Besprechungen mithilfe von VR-Brillen und Avataren in einer virtuellen Umgebung abgehalten werden. Aus diesem Grund haben wir diese drei Themen als zusammenhängenden Trend gewertet. Experten sind sich uneinig, wie schnell Metaversen sich etablieren werden und ob es sich dabei um einen Mega- oder Makrotrend handelt. Weitere Informationen findet Ihr im Blogbeitrag Wettrennen um die Poleposition im Metaverse – Business Opportunities für Banken.
Generation without Borders / Permanent Beta
Die Generation without Borders, die auch als Generation Z bekannt ist und die zwischen etwa 1998 und 2016 Geborenen umfasst, wird vermutlich zukünftig selbständig oder aber in mehreren Arbeitsverhältnissen gleichzeitig angestellt sein. Ihre Mitglieder gehen von einer hohen finanziellen Unsicherheit aus und sind in ihrer Zukunftsplanung eher pessimistisch, was den Erwerb von Immobilien oder den Bezug einer Rente angeht. Andererseits sind sie wie keine Generation zuvor ständig mit Informationen konfrontiert [b]. Sie verfügen über weltweite Echtzeitinformationen (das Thema Fake News lassen wir hier aussen vor) und können sich dadurch permanent vergleichen. Ihr Konsum verändert sich und wird bewusster. Themen wie psychische Gesundheit und Wohlbefinden sowie Klimawandel und Nachhaltigkeit werden immer wichtiger [b], ebenso Geschlechtsneutralität und Inklusivität [c]. Dies spiegelt sich auch in der Erwartungshaltung an die Unternehmen wider, die wir im zweiten Teil dieses Beitrags unter anderem unter dem Stichwort «Corporate Responsibility» näher beleuchten werden. Permanent Beta als Begriff kommt eigentlich aus der Softwareindustrie und bezeichnet Software, die den Endzustand ihrer Entwicklung noch nicht erreicht hat. Aber auch für Menschen gilt, dass sie nie «fertig» sind, sondern sich permanent weiterentwickeln und lebenslang lernen müssen [d], wenn sie im Erwerbsleben mithalten möchten [4].
Standards in der Telekommunikation
Im Telekommunikationssektor gibt es eine Reihe herausragender Technologien und Trends, die zunehmend genutzt werden, um das Kundenerlebnis, die Netzwerk- und Unternehmensstabilität und die Wertangebote zu verbessern. 5G-Dienste bieten Unternehmen aufgrund ihrer Übertragungsgeschwindigkeit und -sicherheit die Möglichkeit, neue Services anzubieten. So können heute Operationen durchgeführt werden, bei denen der anweisende Arzt nicht im Operationsaal anwesend ist. Dabei kann er auf in Echtzeit übertragenen Bildern Markierungen für die nächsten Schritte des operierenden Arztes setzen oder auch Instrumente direkt bedienen [5]. 6G kann eine Kommunikation mit einer Latenzzeit von einer Mikrosekunde ermöglichen. Zusätzlich können nun nicht-terrestrische Netze (NTN) wie unbemannte Luftfahrzeuge (UAVs) und Satelliten angesteuert werden. Auch hier werden technologiegetrieben neue Services entstehen [6].
Impactanalyse auf Basis der Makrotrends
Für alle in der obigen Trendmap aufgeführten Makrotrends existiert beim CC Ecosystems jeweils eine einseitige Beschreibung, auf der die jeweilige Definition des Makrotrends, eine ausführlichere Beschreibung und die zugehörigen Mikrotrends erfasst werden. Der «Reifegrad» der Trends wird durch Abbildung im Gartner Hype-Cycle sowie auf Basis der Google-Suchanfragen indikativ ermittelt. Gleichzeitig enthält das Dokument auch eine Einschätzung, wie stark sich der jeweilige Trend auf die Unternehmens- und Ecosystemebene auswirkt.
Der Impact all dieser gewichteten Trends wird im nächsten Schritt analysiert. Wie wirken sich die Trends auf Unternehmensebene in den Bereichen Kunde, Geschäftsmodell, Markt, Prozess, System und Leistungsangebot und auf der Ebene Business Ecosystems in den Bereichen Teilnehmer, Business-Ecosystems-Modell sowie Prozess aus? Für jeden dieser Bereiche werden Hypothesen zum Impact der Trends formuliert, diese können dann individuell für die jeweilige Bank angepasst werden.

Beispielsweise gehen wir in der Dimension Kundensegmentierungen (Subbereich Kunde) davon aus, dass bekannte Kundensegmentierungen sich auflösen werden (Segment of One). Dies kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass die Individualisierung der Generation without Borders so weit fortgeschritten ist, dass traditionelle Segmentierungskriterien an Wert verlieren. Diese Entwicklung zwingt implizit zu einer Modularisierung der Services (und implizit Prozesse). Diese formulierten Hypothesen dienen der zielgerichteten Diskussion des Impacts aktueller Entwicklungen auf die Positionierung der Banken und können u.a. auch genutzt werden, um die eigene Strategie zu challengen.
Teil 2 dieses Blogbeitrags wird sich mit einem Auszug aktuell beobachtbarer Mikrotrends und deren Einordnung beschäftigen.Schaut also in zwei Wochen wieder vorbei oder folgt uns auf LinkedIn, um nichts zu verpassen.
[a] Mehr zum Web 3.0 könnt Ihr in Benjamin Schaefers Blogbeitrag «Web3 and DAOs – the next hype?» nachlesen.
[b] Was Technostress ist und wie Unternehmen diesen Stress für ihre Mitarbeiter reduzieren können, erklärt Katharina Schache in «Technostress – Die Schattenseite der zunehmenden Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien»
[c] Wie Unternehmen Nachhaltigkeit beim Design ihrer Geschäftsmodelle berücksichtigen können, erklärt Stefanie Auge-Dickhut in ihrem Blogbeitrag zum «Potential für innovative Geschäftsmodelle in der Finanzindustrie bei Etablierung einer Circular Economy»
[d] Wie Unternehmen sie dabei unterstützen können, behandelt Joël Eugster im Blogbeitrag «Fachkräftemangel in der Schweiz»
Quellen
[1] Auge-Dickhut, Stefanie, und Thomas Zerndt. Trendradar: Update Trendradar und Fokus Sustainability CC Ecosystems, 6. Februar 2023
[2] Eichler, Ricarda. „Weltweite Ausgaben für Influencer-Marketing bei fast 28 Milliarden Dollar“. Onlinehändler News, 10. August 2022, https://www.onlinehaendler-news.de/e-commerce-trends/marketing/136629-weltweite-ausgaben-influencer-marketing-fast-28-milliarden-dollar.
[3] Bendel, Oliver. „Metaverse“. Gabler Wirtschaftslexikon, Springer Gabler, 8. März 2022, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/metaverse-123520.
[4] OC&C Strategy Consultants, VIGA. A generation without borders: Embracing Generation Z. 2019, https://www.occstrategy.com/media/1806/a-generation-without-borders.pdf.
[5] Krams, Ronald. „5G in der Chirurgie – Operationen in Echtzeit“. euronews, 1. Januar 2020, https://de.euronews.com/2020/01/01/5g-in-der-chirurgie-operationen-in-echtzeit.
[6] Kranz, Garry, und Gerry Christensen. „Definition 6G“. ComputerWeekly.de, Januar 2022, https://www.computerweekly.com/de/definition/6G.
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