
Towards a Framework for Understanding the Potentials of Tokenized Assets
Die Distributed-Ledger-Technologie ermöglicht es, Transaktionen auf eine neue Art und Weise abzubilden und verändert damit grundlegend, wie der digitale Transfer von Werten gestaltet werden kann[1].
Der Tokenisierung, dem Prozess der Abbildung der Rechte an einem Vermögenswert in Form eines Digital Asset Tokens, wird eine starke disruptive Veränderung unseres Wirtschaftssystems nachgesagt, welche zu mehr Effizienz und Demokratisierung führen wird. Ebenfalls wird davon ausgegangen, dass die Ausgabe, Übertragung und Speicherung von Token auf dezentralen Plattformen die Nachteile von Intermediären (z. B. Single Point of Failures, verzögerte Bearbeitungszeiten) reduziert. Insbesondere die digitale Repräsentation von bankfähigen Vermögenswerten (z. B. Aktien, Anleihen) hat sich zu einem vielversprechenden Anwendungsfall entwickelt (Heines et. al. 2021). Die Financial Times schätzt, dass Vermögensverwalter durch DLT-basierte Marktinfrastrukturen allein beim Kauf und Verkauf von Fonds bis zu 2,7 Mrd. USD pro Jahr einsparen könnten (Mooney 2018). Jedoch beschränkt sich die Tokenisierung keines Weges nur auf die Ausgabe und Übertragung von finanziellen Vermögenswerten. Sie wird als “Enabler” für neue innovative Dienstleistungen und friktionslose Zusammenarbeit in einer neuartigen Wirtschaft, einer sogenannten Token Economy beschrieben. Beispielsweise kann die Herkunft von Lebens- oder Arzneimitteln über den Produktelebenszyklus rückverfolgt werden oder der Inhaber eines Tokens eine Carsharing-Plattform nutzen und somit Zugang zu Dienstleistungen erhalten. In jedem dieser Fälle kann der Grund für die Verwendung von tokenisierten Vermögenswerten, die eigentliche Value Proposition, unterschiedlich sein (z. B. verbesserte Transparenz, erhöhte Liquidität). Für Entscheidungsträger ist bei der Auswahl der Implementierung eines tokenbasierten Geschäftsmodells vor allem die Value Proposition relevant, ebenso wie potenzielle Hindernisse für die Implementierung. Bei dem Versuch, das Potenzial von Tokens für ihr Geschäft abzuschätzen, stehen sie allerdings vor der Herausforderung, dass es zwar Unmengen an technischer Literatur über das Design von Tokens gibt, aber keine einfachen Entscheidungshilfen, die dabei unterstützen, geeignete Anwendungsfälle für das eigene Unternehmen zu identifizieren (Harwood-Jones 2019).
An diesem Punkt setzt eine Studie an, die wir in Zusammenarbeit mit Roger Heines und Prof. Dr. Reinhard Jung durchgeführt und kürzlich an der Konferenz PACIS 2021 präsentiert haben. Um Unternehmen bei der strategischen Auswahl eines tokenbasierten Anwendungsfalls zu unterstützen, haben wir im Rahmen der Studie Archetypen abgeleitet, die in einer Vielzahl bereits existierender tokenbasierter Lösungen beobachtet werden können. Diese Archetypen bieten Unternehmen zusammen mit dem dahinterstehenden Kriterienkatalog einen ersten Ansatzpunkt für die Beschäftigung mit den Vorteilen und möglichen Anwendungen tokenbasierter Lösungen.
Dieser Beitrag ist folgendermassen aufgebaut:
- Informationen zur Studie
- Kriterien für die Analyse tokenbasierter Anwendungen
- Token-Eigenschaften
- Treiber für die Tokenisierung
- Barrieren der Tokenisierung
- Archetypische Anwendungsfälle für die Tokenisierung von Vermögenswerten
- Programmierbares Geld
- Intelligente bankfähige Vermögenswerte
- Öffnung illiquider Vermögenswerte
- Crowdfunding
- Service Access
- Plattform-Governance
- digitale Souveränität
- Track & Tracing
Wenn Euch vor allem die Ergebnisse interessieren, könnt ihr natürlich auch gleich zu den Archetypen übergehen und die Erklärungen im ersten Teil bei Bedarf als Nachschlagewerk nutzen.
Informationen zur Studie
Die Studie verfolgt einen dreistufigen Forschungsansatz. Zunächst wurde eine Literaturrecherche und -analyse durchgeführt, um alle bereits erforschten, für das Design von tokenbasierten Anwendungen relevanten Kriterien in den Kategorien Token-Design, Value Proposition (hier auch Treiber genannt) und Hindernisse zusammenzutragen. In einem zweiten Schritt wurden die Kriterien in Interviews mit 22 Teilnehmern (z. B. Führungskräften und Produktmanagern von Banken und FinTechs) ergänzt und validiert. Schließlich wurden die ermittelten Kriterien auf eine Stichprobe aus einer Datenbank[2] von 129 DLT- und Blockchain-basierten Unternehmen im deutschsprachigen Europa (d. h. Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein) angewendet. Für die Stichprobe wurden Unternehmen ausgewählt, die ein tragfähiges Ökosystem rund um die Tokenisierung repräsentieren. Wallet-Anbieter, Kryptobörsen, Miner oder breitere DLT-Infrastrukturen (z. B. Ethereum) wurden von der Untersuchung ausgeschlossen, da die Studie sich auf Unternehmen fokussiert, die Tokens über die reine Bereitstellung hinaus nutzen, um auf deren Basis innovative Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Auf der Grundlage der ermittelten Kriterien konnten acht empirisch fundierte Archetypen abgeleitet werden.
Im Folgenden werden zunächst die Kriterien für die Analyse tokenbasierter Lösungen und Geschäftsmodelle vorgestellt, bevor im Anschluss die abgeleiteten Archetypen präsentiert werden.
Kriterien für die Analyse tokenbasierter Anwendungen
Der nachfolgend beschriebene Kriterienkatalog aus den identifizierten Token-Eigenschaften (1-10), Treibern (11) und Barrieren (12) für die Tokenisierung stellt ein umfassendes Rahmenwerk dar, das bei der Beschreibung und Bewertung von Anwendungsfällen im Zusammenhang mit der Tokenisierung von Vermögenswerten angewendet werden kann. Es besteht aus 12 Dimensionen und 44 Unterkriterien entlang der drei übergreifenden Themen[3]:

Token-Eigenschaften
Token können eine Vielzahl von Eigenschaften besitzen. Im Rahmen der Studie wurden zehn relevante Eigenschaften für den Kriterienkatalog identifiziert: erstens, die Branche, in welcher ein Token eingesetzt werden kann; zweitens, das Recht bzw. der Vermögenswert, das oder den der Token repräsentiert (z. B. Kunst, Gold, Fussballkarten); drittens, die Art des Vermögenswertes, auf welchen sich der Token bezieht – digitale Vermögenswerte (z. B. Digital Twins), physische Vermögenswerte (z. B. Immobilien), oder Verträge (z. B. Nutzungsrechte); viertens, die Funktion bzw. der Grund für das Halten eines Token (z. B. Zugang zu einer Dienstleistung); fünftens, der zugrundeliegende Zweck eines Token, z. B. Zahlungstoken wie Bitcoin; sechstens, die Einheit bzw. Teilbarkeit eines Token; siebtens, die Übertragbarkeit des Token an eine andere Partei (z. B. Verkauf eines Namenspapiers); achtens, die Fungibilität bzw. Austauschbarkeit eines Token aufgrund eines untereinander austauschbaren Wertes (z. B. Währungstoken vs. Kunstwerk); neuntens, das Angebot bzw. die Anzahl von Tokens (Supply), welche generiert werden können; und zehntens, das technische Setup bzw. die Ebene auf welcher ein Token zur Anwendung kommt – native Token wie Bitcoin oder non-native Token wie ERC-20. Beispielsweise verwenden viele der bekannten DeFi-Projekte den ERC-20-Standard. Diese Token werden nicht in einer eigenen Blockchain ausgeführt, sondern werden im Ethereum-Netzwerk ausgegeben.
Treiber für die Tokenisierung
Neben den Token-Eigenschaften umfassen die Analysekriterien auch sechs verschiedene Treiber der Tokenisierung, die die Value Proposition eines Tokens als Teil eines Betriebs- und Geschäftsmodells repräsentieren. Demokratisierung und erleichterter Zugang zu Vermögenswerten bezieht sich auf den Grad der finanziellen Inklusion. Beispielsweise ermöglicht die Tokenisierung von Immobilien es Privatkunden, sich an groß angelegten Immobilienentwicklungsprojekten zu beteiligen, zu denen sie vorher keinen Zugang hatten. Die Korrelation zum Faktor Demokratisierung ist damit bei diesem Anwendungsfall stark ausgeprägt. Auf die Rückverfolgung der Herkunft von Gegenständen (z. B. Lebensmittel) trifft dies zum Beispiel nicht zu. Ein weiterer möglicher Vorteil der Tokenisierung ist eine erhöhte Liquidität. Zum Beispiel ermöglicht die Tokenisierung die Investition in zuvor nicht handelbare oder private Vermögenswerte (z. B. Risikokapital, Immobilien in bestimmten Märkten, Sammlerstücke wie Wein, Oldtimer usw.) und den 24/7-Marktzugang und schafft so Liquidität und erleichtert damit den Handel mit diesen Vermögenswerten und die Abwicklung von Transaktionen (Harwood-Jones 2019; Shtybel 2019). Des Weiteren hat Tokenisierung das Potenzial, den Bedarf an vertrauenswürdigen Intermediären zu verringern (Disintermediation). Peer-to-Peer-Handel und atomare Abrechnung sind Beispiele für Disintermediation auf den Finanzmärkten (Shtybel 2019). Dass alle Teilnehmer auf der DLT auf eine gemeinsame, unveränderliche Datenbasis zugreifen (Single Source of Truth) kann die Effizienz interner und unternehmensübergreifender Prozesse und die Korrektheit von Daten erheblich erhöhen und den Koordinierungsbedarf zwischen verschiedenen Parteien verringern. Die erhöhte Transparenz und Rückverfolgbarkeit des Token-Eigentums, ermöglicht durch die Tokenisierung, stellt deshalb ein wesentliches Wertversprechen der Tokenisierung dar (Shtybel 2019). Ein weiterer Treiber der Tokenisierung ist die Prozessoptimierung. Typische Beispiele für Prozessoptimierung durch Tokenisierung ist die Automatisierung von Corporate Action (z. B. automatisierte Dividendenzahlungen durch Smart Contracts) (Shtybel 2019). Tokenisierung führt das Konzept der Knappheit oder des vorhersehbaren Angebots in den digitalen Bereich ein (Digitale Knappheit), was erstmals auch die Schaffung von exklusiven digitalen Artefakten ermöglicht. Die Eigenschaften digitaler Medien wie Veränderbarkeit und Kopierbarkeit haben dies bisher verhindert (Chen 2020; Lotti 2019; Macedo 2019).
Barrieren der Tokenisierung
Im Laufe der Analyse wurden neben den Treibern der Tokenisierung folgende fünf Hindernisse identifiziert, welche die Herausforderungen bei der Einführung und Umsetzung von tokenbasierten Lösungen beschreiben.
Eines dieser Hindernisse ist die Integration eines Distributed Ledgers in bestehende Strukturen und Altsysteme, wie in das Kernbankensystem eines Finanzinstituts (Bestehende Strukturen und Übergangsrisiken). Je nachdem, ob ein Geschäftsfall die Nutzung sensibler Daten erfordert, verändern sich die Anforderungen an den Datenschutz, die sogar in Konflikt mit bestehenden Regulationen stehen können, wie zum Beispiel, wenn die Möglichkeit zum Löschen personenbezogener Daten gegeben sein muss (Shtybel 2019). Ein weiteres Hindernis können Unsicherheiten in Bezug auf regulatorische und rechtliche Aspekte sowie Compliance sein. Sie entstehen unter anderem durch die begrenzte rechtliche Durchsetzbarkeit von Blockchain-Transaktionen. Damit zum Beispiel eine Immobilie an einen neuen Besitzer übertragen werden kann, ist ein Grundbucheintrag nötig, der Eintrag auf der Blockchain allein ist nicht ausreichend. Dies gilt für alle Fälle, in denen das Gesetz einen Eintrag in ein von amtlichen Stellen geführtes Register vorsieht. Weitere potenzielle rechtliche Hindernisse sind fehlende globale Standards und langsame Anpassung von Regulierung und Recht (Savelyev 2018), ebenso wie Unsicherheiten und Ungewissheiten bei der Legal Compliance und rechtlichen Auslegung eines konkreten Business Cases. Ein wichtiger Aspekt bei tokenfähigen Geschäftsmodellen sind neue Governance-Mechanismen. Oftmals fehlt die Erfahrung bei der Ausgestaltung geeigneter dezentraler Governance-Mechanismen, wie z. B. der Vergabe von Wahlrechten, Incentivierung oder der Ausgestaltung von Konsensmechanismen auf der Blockchain. Das Ausmaß der Hindernisse kann von der Komplexität des zugrunde liegenden Netzwerks, der Anzahl der beteiligten Partner im Ökosystem und den angewandten Anreizmechanismen abhängen. Die Schnittstellen zwischen der digitalen und der physischen Welt stellen eine Herausforderung dar, da Nutzer darauf vertrauen können müssen, dass die auf der Blockchain gespeicherten Daten authentisch und vertrauenswürdig sind (Oracle-Problem). So werden beispielsweise Flugversicherungsverträge über Smart Contracts auf der Blockchain angeboten, welche dem unglücklichen Passagier bei einer Abflugverzögerung oder einem gestrichenen Flug unverzüglich eine Rückerstattung gewähren. Der Smart Contract muss jedoch über verlässliche reale Daten verfügen, ob das Flugzeug am Boden geblieben ist, welche von einem Anbieter (Oracle) zur Verfügung gestellt werden. Je mehr sich ein Geschäftsfall auf Off-Chain-Daten stützt, desto wichtiger wird dieser Faktor.
Archetypische Anwendungsfälle für die Tokenisierung von Vermögenswerten
Insgesamt werden in der Studie acht archetypische Anwendungsfälle identfiziert, auf welche sich alle in der Stichprobe untersuchten Anwendungen zurückführen lassen (vgl. Abbildung). Jeder Archetyp besteht aus einer typischerweise gemeinsam auftretenden Kombination der Merkmale tokenisierter Geschäftsmodelle.

Programmierbares Geld, das in erster Linie von neuen Akteuren in der Finanzindustrie vorangetrieben wird, steht für Anwendungen, die tokenisierte Währungen (z. B. Bitcoin, Stablecoins, digitale Zentralbankwährungen) als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel nutzen. Im Gegensatz zu Zentralbankwährungen können DLT-basierte Währungen ohne Intermediäre jederzeit an jeden Ort der Welt versendet werden, wodurch bisherige Zahlungsprozesse optimiert werden. Darüber hinaus ermöglichen sie die Auslösung von Ereignissen und die Automatisierung einer Vielzahl von Dienstleistungen auf automatisierten dezentralen Plattformen (z. B. Micropayments). Die Governance zwischen den Beteiligten (z. B. Zentral- und Geschäftsbanken) und die Anpassung des Rechtsrahmens erhöhen jedoch die Übergangsrisiken, da bereits zentralisierte Lösungen existieren.
Intelligente bankfähige Vermögenswerte weisen ein ähnliches Potenzial zur Optimierung bestehender Prozesse auf. Die handelbaren, fungiblen Asset Token verschaffen darüber hinaus einer breiteren Anlegerbasis Zugang zu digitalen Investmentprodukten und Investitionsgewinnen, was wiederum die Liquidität des Marktes erhöht. Durch die Implementierung einer finanziellen Vertragslogik können wiederkehrende Zahlungsströme und Stimmrechte automatisiert werden, die unveränderliche Dokumentation von Transaktionen erhöht die Markttransparenz. Die Integration des Distributed Ledgers in bestehende Altsysteme stellt ein Risiko und Hindernis dar, da bei der Systemumstellung unerwartete Komplikationen auftreten und Daten verloren gehen könnten und Finanzinstitute sich erst mit der Technologie vertraut machen müssen und unter Umständen eine Zeit lang mehrere Systeme parallel nutzen, bis sie auf das Funktionieren der neuen Anwendung vertrauen. Ein weiteres Hindernis ist die Komplexität der Marktstrukturen, da die rechtlichen und regulatorischen Grundlagen erst langsam geschaffen werden.
Die Öffnung illiquider Vermögenswerte konzentriert sich auf die Schaffung von Token als Stellvertreter für physische Werte. Aufgrund der gesteigerten Effizienz, mit der die Token im Gegensatz zu den Vermögenswerten gehandelt werden können, die sie repräsentieren, werden geteilte Investitionen in Vermögenswerte, wie z. B. Immobilien und Oldtimer, ermöglicht und für eine breite Masse an Investoren zugänglich, die Liquidität erhöht sich. Allerdings muss das komplexe Netzwerk von Akteuren berücksichtigt werden, ebenso wie das Oracle-Problem, da die Daten zu jedem physischen Wertgegenstand vor der Speicherung auf der Blockchain authentifiziert werden müssen. Auch die Rechtsgrundlage muss, wie oben bereits beschrieben, für die rechtsgültige Übertragung des Eigentums an Vermögenswerten, wie z. B. Immobilien, erst noch geschaffen werden. Im Gegensatz zu den intelligenten bankfähigen Vermögenswerten müssen hier jedoch keine Altsysteme berücksichtigt werden. Es wird davon ausgegangen, dass eine funktionierende Marktinfrastruktur noch nicht etabliert ist und dass solche Anwendungsfälle ein hohes Potenzial für neue Produkte und Dienstleistungen bieten.
Eine andere, speziellere Form der Demokratisierung stellt das Crowdfunding dar. Solche Anwendungen, die in Form von ICOs entstanden sind, zeichnen sich durch reduzierte Transaktionskosten durch den Wegfall externer Dienstleister, wie z. B. Investmentbanken oder Beratungsgesellschaften, aus, die normalerweise in ein reguläres IPO involviert sind. Wo sich ein IPO aufgrund der geringen Marktkapitalisierung nicht gelohnt hätte, ermöglichen Token effiziente, teilbare Echtzeit-Crowdinvestments von privaten Projekten bis hin zur Beteiligung an Risikokapital. Der Schwerpunkt liegt auf der schnellen und flexiblen Handelbarkeit als Grundlage für eine erhöhte Liquidität. Allerdings gibt es nach wie vor Hindernisse bei der Einrichtung solcher regulierten Marktinfrastrukturen und bei der Schaffung von Anreizen für die Nutzung durch die Beteiligten. Beispiele dafür sind Investor-Onboarding und mit dem Schweizer Geldwäschereigesetz konforme Dokumentation (KYC & AML) oder die Integration und Abbildung dieser Vermögenswerte bei der Hausbank der Kunden. Ausserdem muss es gelingen, eine ausreichend hohe Anzahl an nachweislich attraktiven Crowdfunding-Projekten und Nachfragern auf die Plattform zu bringen.
In vielen Anwendungsfällen werden Token als Instrument zum Erwerb von Rechten an einer bestimmten Dienstleistung (Service Access) eingesetzt. Tokenisierte Lizenzen oder Mitgliedschaften, die von verschiedenen Branchen eingesetzt werden, ermöglichen einen vereinfachten und effektiven Zugang zu dezentralen Plattformen. Sie werden nach den Funktionen kategorisiert, die ein Token dem Inhaber gewährt (z. B. allgemeiner, exklusiver oder DLT-Infrastrukturzugang). Sowohl Fungibilität als auch Nicht-Fungibilität können implementiert werden, um eine einzigartige private oder öffentliche Funktion zuzuweisen. Es gibt zum Beispiel Marken oder Sportvereine (z. B. Fussballclub Juventus), die Fans, die entsprechende Utility Tokens besitzen, exklusiven Zugang zu Neuerscheinungen gewähren. Im Gegensatz zu anderen Fällen sind die Token in keiner Weise reguliert. Wo Token lediglich den Zugang zu einer Dienstleistungsplattform ermöglichen (z. B. tokenisierte Güter in der Logistik), ist ein neuer rechtlicher Rahmen nicht unbedingt erforderlich, da in solchen Fällen rechtlich meist keine besondere Vertragsform gefordert wird, sodass bestehendes Recht angewendet werden kann. Die angebotenen Dienste sind ausschließlich vom Anbieter abhängig und stellen Herausforderungen für die Governance und die Implementierung externer Datenquellen dar.
Die Plattform-Governance stellt einen abstrakteren Bereich von Anwendungsfällen für die Tokenisierung von Anreizmechanismen als Mittel zur Koordination und Kooperation dar. Eingebettet in ein DLT-Protokoll werden Token als Belohnung für die Erfüllung bestimmter Aufgaben oder ein bestimmtes Verhalten (z. B. Staking- oder Mining-Belohnung für die Transaktionsvalidierung) an Nutzer ausgegeben. So werden beispielsweise die Stakes eines Validators bei böswilligem oder unlauterem Verhalten durch einen Abzug bestraft (slashing) und somit durch ein spezielles Regelwerk sichergestellt, dass die Validatoren stabile und sichere Leistungen anbieten. Neben DLT-spezifischen Konsensmitteln kann ein Token auch für sich allein gefordert und bewertet werden, um weitere Anreize für den Aufbau von Gemeinschaften oder Abstimmungen zu schaffen. Sie basieren nicht in erster Linie auf einer zukünftigen Monetarisierung, sondern haben einen sozialen Wert, indem sie die Stimmrechte regeln und ein Gemeinschaftsgefühl schaffen. Demokratisierung, Prozessoptimierung, Disintermediation, Datenschutz (z. B. Pseudonymität, Anonymität) und erhöhte Komplexität sind charakteristisch für solche Anwendungsfälle.
Die digitale Souveränität basiert auf der durch DLT überprüfbaren digitalen Knappheit und bezeichnet Anwendungen, die eindeutige Repräsentationen und eine dezentralisierte Datenzugriffskontrolle für den Token-Inhaber erfordern (z. B. digitale Identitäten). Sobald sie als nicht fälschbare Token implementiert sind, liefern sie den Beweis für ihre Authentizität und können von niemandem repliziert werden, auch nicht von ihren Ausstellern. Diese Demokratisierung der Interaktion auf dezentralen Plattformen ermöglicht es den Nutzern zum Beispiel, Vermögenswerte im Spiel unabhängig von einem einzelnen Plattformbesitzer zu kontrollieren und damit zu handeln (z. B. CryptoKitties). Bei der Tokenisierung einzigartiger physischer Vermögenswerte oder sensibler Daten müssen der Datenschutz und die Sicherstellung der Authentizität der auf der Blockchain gespeicherten Daten berücksichtigt werden.
Schließlich wird Track & Tracing eingesetzt, um einen fälschungssicheren Eigentumsnachweis zwischen verschiedenen Beteiligten zu erstellen. Solche Anwendungsfälle sind häufig mit logistischen Prozessen in vielen Branchen verbunden und ermöglichen es Organisationen, Token für eine erhöhte Transparenz entlang des Lebenszyklus von materiellen oder immateriellen Vermögenswerten zu nutzen. Während Konsumgüter als fungible Token umgesetzt werden können, da sich zum Beispiel zwei baugleiche Kameras desselben Herstellers nicht voneinander unterscheiden, werden nicht fungible Token für hochwertige Güter bevorzugt. Insbesondere für die Herkunftssicherung über Lieferketten hinweg müssen die Authentizität externer Daten und die Integration in Altsysteme berücksichtigt werden. Darüber hinaus wurden mehrere Kombinationen von Archetypen ermittelt. Zum Beispiel Anwendungsfälle im Bereich der Lieferkettenfinanzierung, die sowohl auf Track & Tracing als auch auf die Öffnung von illiquiden Vermögenswerten angewiesen sind. Da ein Archetyp einen Hauptzweck aufweist, kann es zusätzliche Zwecke geben, die kombinierbar sind und den Nutzen der Token in einem dezentralen System erweitern können.
Fazit
Entscheidungsträgern, die sich für die Möglichkeiten des Einsatzes von Tokens interessieren, stand bisher meist technische Literatur zur Verfügung, die sich mehr auf das Token-Design als auf die durch die Tokenisierung gelösten Probleme bzw. den durch sie geschaffenen Wert fokussierte. Die hier abgeleiteten Archetypen hingegen bieten einen praxisorientierten Einstieg für Manager, die verstehen möchten, wie sie die Tokenisierung zur Entwicklung innovativer Produkte und Dienstleistungen oder zur Optimierung ihrer Prozesse nutzen können, und welche Schwierigkeiten bei der Implementierung auf sie zukommen können. Haben sie sich einmal für einen oder mehrere Anwendungsfälle entschieden, dienen die Archetypen darüber hinaus als Grundgerüst für das Design der tokenbasierten Anwendungen, das mithilfe der hier ermittelten Kriterien vervollständigt werden kann.
[1] Eine Einführung in die Blockchain gibt Ante Plazibat in seinem Beitrag «Blockchain: Heiliger Gral oder überbewerteter Hype? Erkenntnisse aus der Finanzindustrie»
[2] Umfasst crunchbase.org, chaineurope.org und e-foresight.ch
[3] Bei der Selektion der in Literaturanalyse und Interviews erhobenen Kriterien wurden sehr technische Merkmale weggelassen (z. B. Burnability), untergeordnete Kriterien unter einem Oberbegriff zusammengefasst (z. B. wurde Echzeitverarbeitung der Prozessoptimierung zugeordnet) und ähnliche Aspekte für die Bewertung gruppiert (z. B. erleichterter Zugang, Demokratisierung).
Quellen
Harwood-Jones, M. 2019. “Digital and Crypto-Assets: Tracking Global Adoption Rates and Impacts on Securities Services,” Journal of Securities Operations & Custody, p. 10.
Heines, Roger; Dick, Christian; Pohle, Christian & Jung, Reinhard: The Tokenization of Everything: Towards a Framework for Understanding the Potentials of Tokenized Assets. 2021. – Twenty-fifth Pacific Asia Conference on Information Systems. – Virtual AIS Conference.
Lotti, L. 2019. “The Art of Tokenization: Blockchain Affordances and the Invention of Future Milieus,” Media Theory (3:1), Rethinking Affordance, Media Theory, pp. 287–320.
Macedo, J. M. 2019. “A Taxonomy of Token Models and Valuation Methodologies,” Medium, , May 28. (https://medium.com/amazix/a-taxonomy-of-token-models-and-valuation-methodologies-7b6c0a1d02a9, accessed January 18, 2021).
Mooney, A. 2018. Blockchain ‘Could Save Asset Managers $2.7bn a Year.’ (https://www.ft.com/content/b6171016-171f-11e8-9e9c-25c814761640).
Savelyev, A. 2018. “Some Risks of Tokenization and Blockchainizaition of Private Law,” Computer Law & Security Review (34:4), pp. 863–869.
Shtybel, U. 2019. “A New Era of Private Securities: Application of Blockchain in Private Capital Markets Infrastructure,” Journal of Digital Banking (4:2), pp. 152–160.