Strategische Führung im Kontext der Digitalen Transformation (Teil 2)

Unsere moderne, durch innovative Technologien zunehmend beschleunigte Welt erfordert von Unternehmen ständige Anpassung. Die Digitale Transformation ist mittlerweile allgegenwärtig. Spätestens seit Beginn des Corona-Ausbruchs, haben auch die letzten Nachzügler begonnen, ihre Geschäftsmodelle zu transformieren. Im ersten Teil dieses Beitrags, der auf meiner Masterarbeit “Strategic renewal in the form of digital transformation through business model innovation – a multi-layer governance perspective” basiert, habe ich die vier Situationen beschrieben, die eine Transformation notwendig machen, und die erforderlichen Massnahmen erläutert, die ein betroffenes Unternehmen einleiten muss, um sich an eine sich verändernde Umwelt anzupassen (Abbildung 1).

Abbildung 1: Managerial responses to conditions of decline (Cameron & Zammuto, 1983)

Die Corona-Krise stellt übrigens einen Fall von Environmental Contraction dar, der sowohl durch eine Verknappung des Angebots aufgrund des Lockdowns und der damit einhergehenden Geschäftsschliessungen als auch durch einen anschliessenden Nachfragerückgang aufgrund der Einschränkung des Shopping-Erlebnisses durch neue Hygieneregeln und die Angst vor einer möglichen Ansteckung ausgelöst wurde.

Nun bedeutet jede Transformation auch Geschäftsmodellinnovation. Dabei müssen mindestens zwei Dimensionen des Geschäftsmodells verändert werden, wie beispielsweise das Wertversprechen und die Werterstellung, bei grösser angelegten Transformationsvorhaben aber potentiell auch die Zielgruppe oder die Ertragslogik. Diese Innovation kann nun intern entwickelt oder durch Akquisitionen von aussen in das Unternehmen eingegliedert werden. Welche dieser Optionen gewählt wird, hängt dabei zum einen mit der im Unternehmen vorhandenen Expertise zusammen, zum anderen aber auch eng mit dem vorherrschenden Führungssystem, d. h. mit der Art der Vorgaben, über die der Verwaltungsrat dem Top-Management Ziele vorgibt und an denen er seine Leistung evaluiert. Ihm stehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Verfügung: strategische oder finanzielle Führung (eng.: Strategic Control vs. Financial Control).  In diesem Teil geht es nun darum, welche Vor- und Nachteile diese beiden Führungssysteme mit sich bringen und welcher dieser Führungsstile sich besser für nachhaltige Innovation und Transformation eignet, die in der heutigen Zeit die Voraussetzung für eine langfristig erfolgreiche Unternehmenstätigkeit darstellen.

Innovation und Führung

Strategische Führung nutzt qualitative, oft intuitive Kriterien zur Evaluation des Managements, was ein tiefes Verständnis der Märkte und Geschäftslogiken erfordert. Hierbei spielt der Fluss von Informationen zwischen den einzelnen Hierarchieebenen eine wichtige Rolle. Veränderungen im Markt werden oftmals von der Basis erkannt und entsprechend an höhere Hierarchiestufen weitergegeben, welche ihre strategischen Annahmen anhand dieser Informationen testen und verbessern können.

Die finanzielle Führung erfolgt über quantitative Kennzahlen, wie z. B. ROI-Vorgaben oder im Falle der Digitalen Transformation über bestimmte Zielvorgaben für den Digital EBITDA, und fokussiert sich auf die Minimierung der Abweichung zwischen Soll- und Ist-Zustand.

Während strategische Führung das Management dazu ermutigt, zur Erreichung des Unternehmensziels auch langfristige Investitionen zu tätigen und über die kurzfristige Maximierung finanzieller Kennzahlen zu stellen, führt finanzielle Führung tendenziell zu einem risikoaverseren Verhalten, das stärker auf die Erwirtschaftung von Gewinnen innerhalb des aktuellen Geschäftsmodells ausgerichtet ist und Innovationen favorisiert, die sich innerhalb weniger Jahre rentieren. Da radikale oder gar disruptive Innovationen viele Jahre bis zur Marktreife benötigen, übersteigen solche Innovationen meist den Planungshorizont von Unternehmen, die rein über finanzielle Kennzahlen geführt werden. Sie müssen daher zu einem späteren Zeitpunkt extern akquiriert werden. M&A-Aktivitäten wiederum benötigen ein hohes Mass an finanziellen Ressourcen sowie Zeit und Aufmerksamkeit vonseiten der höheren Hierarchieebenen, die nicht nur nicht für interne Innovationsaktivitäten zur Verfügung stehen, sondern auch die tiefergehende Beschäftigung mit der aktuellen Geschäftstätigkeit des eigenen und des zu akquirierenden Unternehmens beeinträchtigt. M&A-Aktivitäten sind daher nicht nur Ergebnis finanzieller Führung, sondern auch ein Auslöser für diesen Führungsstil, ein sich verstärkender Kreis, der dazu führt, dass die interne Innovationsfähigkeit des Unternehmens geschwächt wird. Ob ein Unternehmen allein über Akquisitionen innovativ bleiben kann, ist fraglich. Die Erfolgsaussichten einer Portfoliostrategie zum Beispiel werden in reiferen Märkten mit einem starken Fokus auf Effizienz als wesentlich vielversprechender eingestuft als in einem Markt, in dem der Unternehmenserfolg von fortlaufender Innovation abhängt. Für die anfängliche Akquisition von Know-how in einem neuen Geschäftsbereich können einzelne Akquisitionen allerdings auch in innovativen Märkten sinnvoll sein, solange im Anschluss ein strategisches Führungssystem implementiert werden kann.

Vor allem in innovationsintensiven Märkten ist es für den Verwaltungsrat empfehlenswert, das Unternehmen über strategische Vorgaben zu führen.  Dazu muss er relevante Entwicklungen wahrnehmen, ihre Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit folgerichtig interpretieren und vorhandene und neue Ressourcen und Fähigkeiten entsprechend neu kombinieren. Die Nutzung von Informationen aus der Umwelt und den unteren Hierarchieebenen sind dabei von erheblicher Bedeutung, um die eigenen Vorhersagen ständig zu revidieren und die ihnen zugrundeliegenden Annahmen über den Markt anzupassen. Vor dem Hintergrund der Geschwindigkeit technologischer Entwicklung ist es wahrscheinlich, dass sich der Verwaltungsrat für das erfolgreiche Ausfüllen dieser Aufgabe wandeln, seine fachliche Expertise und den Austausch mit unteren Hierarchieebenen stärken und dafür auch öfter zusammentreffen muss als bisher.

Quellen

Cameron, K., & Zammuto, R. (1983). Matching managerial strategies to conditions of decline. Human Resource Management, 22(4), 359–375. https://doi.org/10.1002/hrm.3930220405

Floyd, S. W., & Lane, P. I. (2000). STRATEGIZING THROUGHOUT THE ORGANIZATION: MANAGING ROLE CONFLICT IN STRATEGIC RENEWAL. Academy of Management Review, 25.

Gassmann, O., Frankenberger, K., & Csik, M. (2014). The business model navigator: 55 models that will revolutionise your business. Harlow, England ; New York: Pearson Education Limited.

Gupta, A. K. (1987). SBU STRATEGIES, CORPORATE-SBU RELATIONS, AND SBU EFFECTIVENESS IN STRATEGY IMPLEMENTATION. 25.

Hitt, M. A., Hoskisson, R. E., & Ireland, R. D. (1994). A Mid-Range Theory of the Interactive Effects of International and Product Diversification on Innovation and Performance. Journal of Management, 20(2), 297–326. https://doi.org/10.1177/014920639402000203

Hitt, M. A., Hoskisson, R. E., & Moesel, D. D. (1996). THE MARKET FOR CORPORATE CONTROL AND FIRM INNOVATION. Academy of Management Journal, 37.

Michael Gasser

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