
Steht der Zahlungsverkehr vor dem Umbruch?
Entwicklungen im Markt
Account-to-Account-Payments setzen sich durch
Regulatorische Vorgaben für die Öffnung des Zahlungsverkehrs im Sinne von Open Banking bzw. Open Finance stehen in der Schweiz auf der politischen Agenda[1] und dürften sich ab dem Jahr 2024 manifestieren. Auf internationaler Ebene – im angelsächsischen Raum, in den skandinavischen Ländern, den LATAM-Ländern aber insbesondere in Südostasien und Nordamerika – gewinnen Account-to-Account-Lösungen bereits an Form und Akzeptanz bei den Kunden sowie an Marktimpakt. In Europa sowie der Schweiz lässt die stetig zunehmende Anzahl an Transaktionen über solche Lösungen darauf schliessen, dass die Durchsetzung von Blockchain-basierten und Account-2-Account-Zahlungsverkehrslösungen in naher Zukunft bevorsteht[2].
Der Wettbewerb zwischen den Zahlungslösungen verschärft sich
Globale Player im Kredit- und Debitkartengeschäft buhlen mit neuen Bonusprogramm- und Loyaltyansätzen um die Gunst der Kunden, um sich Marktanteile zu sichern bzw. diese zurückzugewinnen und im wachsenden e-Commerce-Markt[3] an Transaktionen und Transaktionsvolumen zu partizipieren. Dabei deutet sich im Wettbewerb um die Stellung der präferierten Zahlungsart ein «Race-to-the-bottom» in Bezug auf die Transaktionsgebühren ab. In diesem Falle dürften insbesondere die Händler von tieferen Kosten profitieren. Sowohl Banken als auch Provider sind gefordert noch effizientere Lösungen und kostengünstige, skalierbare Technologien einzusetzen, um Margen und Erträge zu halten.
Apple-, Google-, Samsung-Pay u. v. a. m. finden immer mehr User. Kunden nutzen am POS zunehmend digitale Lösungen über ihr Handy, statt der traditionellen Debit- und Kreditkarten[4]. Das «Wallet» rückt vermehrt ins Zentrum.
Das Gemeinschaftswerk TWINT ist aus dem Alltagsgebrauch von Herrn und Frau Schweizer mit den Vorzügen der instantanen Überweisungen (Peer-2-Peer) kaum mehr wegzudenken. Hingegen sprechen funktionale Designansätze, derzeit noch fehlende grenzüberschreitende Zahlungsmöglichkeiten und das noch ungenutzte Potenzial hinsichtlich der Integrationstiefe[a] dagegen, dass sich die Lösung als Marktstandard für Account-2-Accout-Lösungen etablieren kann.
Der Zahlungsverkehr wird innovativer
Die Einführung des SIC5-Standards (Instant Payment) führt den Zahlungsverkehr in eine neue Ära und begünstigt – wenn auch nicht primär durch den Regulator beabsichtigt – die Innovation im Zahlungsverkehr. Die dominanten Marktteilnehmer (Big Techs, globale Kreditkartenprovider, SIX und Postfinance) sind bestrebt, ihre Rolle als Zahlungsverkehrsinfrastrukturprovider oder Netzwerkpartner zu festigen.
Die Adoption gewinnt an Fahrt
Zudem ist die Bereitschaft der Kunden gestiegen neue digitale Zahlungsmethoden im täglichen Gebrauch anzuwenden[5]. Dies kann auf den spürbaren Mehrwert durch die Einfachheit des Kundenerlebnisses wie auch die tieferen Kosten zurückgeführt werden.
Die Cloud und die Blockchain setzen sich durch
Zahlungsverkehrslösungen der nächsten Generation basieren auf Cloud-nativen Applikationen oder Blockchain-basierten Technologieansätzen, welche verhältnismässig deutlich tiefere Kosten nach sich ziehen und beliebig skalierbar sind.
Zahlungsverkehr in Kombination mit Identitäts- und Consent-Management als Nukleus
Neben der technologischen Weiterentwicklung ist die Verbindung von Zahlungslösungen mit Identitäts- und Consent-Management (Self-Sovereign-Identity-Ansätze) zentral, wobei sich neue – bisher nicht mögliche – Geschäftsmodelle entwickeln können, wie zum Beispiel Embedded-Finance-Lösungen im Gesundheitssektor oder in Mobilitätsecosystems. Beispielhaft könnten Zahlungen beim Arzt oder bei der Apotheke automatisch an die Krankenkasse übermittelt werden oder Dienstleistungen im Rahmen einer Autoclub-Mitgliedschaft (z. B. Pannenservice, Reiseversicherung, Schleuderfahrkurs, etc.) direkt vom Konto abgebucht werden, ohne dass man sich zuerst bei den verschiedenen Partnern separat registrieren muss. Diese vermeintlich triviale Kombination ist der Enabler für Banking-Geschäftsmodelle, die über den Zahlungsverkehr hinausgehen und sich mittel- bis langfristig auch in den übrigen Wertschöpfungsbereichen des klassischen Bankgeschäftes zeigen werden (Vermögensverwaltung wie auch Kreditgeschäft. i.S.v Peer to Peer Investing bzw. Lending). Somit verdient diese Entwicklung – aus unserer Sicht – weitere bzw. erhöhte Aufmerksamkeit.
Kundenzentrische Überlegungen – ein Blick nach vorne
Die Etablierung neuer Zahlungsverkehrslösungen dürfte über die Defragmentierung entlang der Wertschöpfungskette im Zahlungsverkehr erfolgen.
Dabei sind für die Kunden nicht nur tiefere Transaktionskosten und -gebühren[6] zu erwarten, sondern auch ein vereinfachter, quasi «barrierefreier» Zugang und damit verbunden ein einzigartiges Shopping- bzw. Kundenerlebnis. Für den Kunden wird es zukünftig kaum einen Unterschied machen, ob er registrierter/eingeloggter User oder Gast-User ist oder eine Express-Checkout-Funktionalität nutzt, da neue Zahlungslösungen allen ein hohes Level an Convenience bieten. Diese Konvergenz wiederum bietet die Möglichkeit, bei gleichzeitigem Teilen der kundenidentifizierenden Daten und der Verknüpfung mit Bonus- und Loyalty-Programmen, die Kundenschnittstelle aktiv zu bewerben.
Weiterentwicklung Zahlungsverkehr – and beyond
Neben der im vorangegangenen Abschnitt angesprochenen Konvergenz an der Kundenschnittstelle beim Shopper/Händler, dürfte sich die Konvergenz mittel- bis langfristig auch bei den Zahlungsarten zeigen. Die Account-2-Account-Lösungen werden sich durch die faktische funktionale Konvergenz von Daueraufträgen, e-Bill-Funktionalitäten und Dauerfreigaben für den Ausbau von Open-Finance-Lösungen i. S. v. von Invisible Payments bzw. Embedded Banking etablieren.
Banken befinden sich in der ausgezeichneten Position, in ihren Mobile-Banking-Lösungen diese funktionale Konvergenz abzubilden und somit Zahlungen egal welchen Ursprungs, Zwecks oder welcher Art einzubinden.
Strategische (Neu-)Ausrichtung und Positionierungsmöglichkeiten für Banken
Mögliche strategische Implikationen lassen sich aus diesen Entwicklungen ableiten und sind im Rahmen der Positionierung der Bank und als teilnehmender Partner in den unterschiedlichen Zahlungsverkehrssystemen zu klären.
Strategische Ziele und Mehrwerte für Banken können sein:
- Sicherung der Kundenschnittstelle (Hausbank) sowie der Position als Zahlungsart der ersten Wahl
- (Rück-)gewinnung von Marktanteilen und Transaktionsvolumen (als Antwort auf die schleichende Abwanderung und Verlust an Neobanken und Zahlungslösungen)
- Partizipation an den Erträgen im wachsenden e-Commerce und Kartengeschäft
- Leverage der bestehenden (Retail-)Kundenbasis
- Weiterentwicklung von Kundenbindungsprogrammen
Zusammenfassend sehen wir aktuell ein grosses Marktmomentum wie auch Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer. Richtungsweisende Entscheidungen und Investitionen in Technologie oder Partnerschaften stehen an, welche in naher Zukunft gefällt werden müssen, um das Basisgeschäft der Banken zu sichern und die Kundenschnittstelle nachhaltig zu besetzen.
[a] Dadurch, dass die Lösung keine Identitätsdaten teilen kann, kann sie z. B. nicht für die schnelle Registrierung beim Online-Shopping genutzt werden. Fehlende Zusatzleistungen wie Versicherungen, Loyalty-Programme, Buy now, pay later etc. schränken den Mehrwert der Lösung für Kunden gegenüber alternativen Angeboten ein.
Neben den angeführten Quellen basiert dieser Beitrag auf Daniels langjähriger Praxis- & Umsetzungserfahrung in den Bereichen Strategieberatung, Projektmanagement sowie Digitale Transformation bei führenden Banken und bei der BEI.
Quellen
[1] Der Bundesrat will Open Finance voranbringen (admin.ch)
[2] Siehe z. B. What’s behind the rise of account-to-account (A2A) payments? | FinTech Magazine
[3] Schweiz – Umsatz im Online-Handel 2021 | Statista
[4] Mastercard-Studie zu Bezahltrends in Deutschland 2021 | Mastercard Newsroom
[5] 220224-bericht-swiss-payment-monitor-2022.pdf (zhaw.ch)
[6] Die Entwicklung des Zahlungsverkehrs im digitalen Zeitalter – eine Zentralbank-Perspektive (snb.ch)
- Steht der Zahlungsverkehr vor dem Umbruch? - 12.01.2023