Ökosysteme – Hype oder Zukunft der Banken?

Das Dilemma

Banken finden sich derzeit in einer für sie fremden Welt wieder: das Zinstief macht die Annahme von Passivgeldern unattraktiv und die Kunden – lebend in einer Welt von Komfort und Freemium – stellen höchste Anforderungen mit niedriger Zahlungsbereitschaft. Kurz – die Banken kommen mit ihrem klassischen Geschäftsmodell zunehmend unter Druck. Sie fangen an zu verstehen, dass sie den Kunden mit seinen Bedürfnissen kennen müssen, um künftig erfolgreich zu sein – eine massive Abwendung von der bisher so sehr geliebten introvertierten Produkteverkaufs-Mentalität – eine recht einseitige Liebe wie sich im Folgenden zeigt…

 

Das Kundenbedürfnis ist König

Sowohl in unseren Forschungsaktivitäten als auch in Projekten spüren und fördern wir diese Tendenz zunehmend: eine konsequente Orientierung am Lebenszyklus des Kunden, mit all seinen Lebensphasen, Events, entsprechenden Customer Journeys und – ganz wichtig – den daraus entstehenden Bedürfnissen ist Voraussetzung für die künftige Existenz von Banken.

Doch was bedeutet es, das Bedürfnis des Kunden zu verstehen? Ein Beispiel aus einem aktuell laufenden Projekt: Herr Müller ist ein Mitt-Dreissiger mit dem Wunsch nach einem eigenen Haus für seine Familie. Was macht die Bank? Natürlich, eine Hypothek offerieren. Und hier beginnt der Fehler bereits: das Kundenbedürfnis ist ein ganz anderes. Herr Müller möchte keine Hypothek, sondern hat das Bedürfnis nach eigenem, garantiertem und sicherem Wohnraum. Hier werden er und seine Familie künftig einen Grossteil des Lebens verbringen und wahrscheinlich auch finanziell in hohem Masse abhängig sein. Dieses Bedürfnis umfasst also viel mehr als nur die Hypothek: die Ermittlung der finanziellen Leistungsfähigkeit – Palast oder Eigentumswohnung, die Planung und den Bau des Hauses, eine Absicherung in allen Lebenslagen bei Wertsturz oder Krankheit, den Umzug aus der alten Wohnung in das neue Heim, die Möglichkeit auch weiterhin noch unbeschwert in die Ferien fahren zu können und vieles mehr.

 

Ökosysteme als Schlüssel zur Bedürfnisorientierung

Schnell wird deutlich, dass sich hier Potenziale für Banken bieten, die heute bei Weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Allerdings wird ebenso deutlich, dass grosse Teile der erforderlichen Dienstleistungsbestandteile ausserhalb der Kernkompetenz einer Bank liegen. Die Lösung zu diesem Problem liegt in der Schaffung von sogenannten (anbieterseitigen) Ökosystemen. Doch was sind eigentlich Ökosysteme? Wir unterscheiden zwei Arten. Kundenseitige Ökosysteme: Grob gesagt, die Welt des Kunden. Ziel der Bank muss es sein, die Bedürfnisse des Kunden zu identifizieren und zu verstehen. Anbieterseitige Ökosysteme: Die kooperative Konstruktion des Wertschöpfungssystems der Bank, um die identifizierten Kundenbedürfnisse bedienen zu können.

Es wird deutlich, dass beide Ökosysteme eng miteinander verbunden sind, denn ohne Kenntnis des kundenseitigen kann die Bank das anbieterseitige Ökosystem nicht aufbauen. Im Folgenden möchte ich den Fokus auf Letzteres setzen, Ersterem werden wir einen separaten Beitrag widmen.

Eine Bank hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten: sie kann sich einem bestehenden anbieterseitigen Ökosystem anschliessen, oder ein solches selbst betreiben. In diesem Sinne wird zwischen dem Kontributoren- und dem Integratorenmodell unterschieden.

 

Ein Blick in andere Branchen

Es lohnt sich zunächst ein Blick in andere Branchen, denn dort existieren bereits viele anschauliche Beispiele. Die Reisebürobranche hat sich von der physischen Buchungsstätte hin zu einer digitalisierten, hoch integrierenden Branche entwickelt. Das Kundenbedürfnis besteht nicht in der Buchung eines Hotels und passenden Flugs, sondern es geht darum seine Ferien unbeschwert zu verbringen. Hierzu gehören Reiseversicherungen, Bargeld, Mietwagen, Trips und vieles mehr ebenso wie Flug und Hotel. Das alles wird heute von Reisebüros konfiguriert und integriert angeboten. Die Automobilbranche verkauft Mobilitätspakete, das Auto ist nur noch Mittel zum Zweck. Versicherung, Mobilitätsgarantie, Wartung…alles ist Teil der Lösung. Innovative Ideen wie z.B. die Paketzustellung in den Kofferraum des PKW oder die Vermietung des eigenen Autos auf Basis der Blockchain-Technologie zur teilweisen Re-Finanzierung sind bereits in der Pilotierung. Retailer wie Amazon bieten Same-Day Zustellung, Warenversicherungen, Bezahllösungen usw. integriert an. Sie bieten darüber hinaus Produktrezensionen, Bewertungsmöglichkeiten und umfassenden After-Sales Service. Es gibt Amazon-Kreditkarten, Ein-Klick-Bezahlung und Finanzierungen.

 

Und die Banken?

Im Angesicht dieser Beispiele ist es nicht übertrieben, die Bankenbranche als „Servicewüste“ zu bezeichnen. Doch welche Möglichkeiten bestehen für die Bank, was kann sie tun? Das augenscheinlichste ist es natürlich, mit den zuvor genannten Anbietern Kooperationen einzugehen und Bankdienstleistungen als Kontributor in deren Ökosystemen einzubringen. Der grosse Nachteil an diesem Vorgehen ist, dass die Möglichkeiten zur Kundenbindung deutlich geringer sind als im Integratorenmodell. Die Bank ist nur ein Zulieferer unter vielen und im Extremfall gegenüber dem Endkunden gar nicht sichtbar.

Potenzial liegt also vor allem in der Positionierung als Betreiber eines Ökosystems, also als Integrator. Das CC Sourcing hat mit seinen Kunden und Forschungspartnern eine Vielzahl möglicher Szenarien für die Schaffung eines solchen bankeigenen Ökosystems erarbeitet, von denen ich im Folgenden eine kleine Auswahl vorstellen möchte. Immobilienportal: Banken haben Immobilienportale bereits als Möglichkeit zur Geschäftsausweitung entdeckt, siehe z.B. Immogate. Sie können ihre Produkte und Services mit der Immobilienvermittlung bestens kombinieren, etwa Finanzierungen, Kautionskonti, Zahlungskonti usw. Doch die Potenziale sind längst nicht ausgeschöpft, wie das eingangs erwähnte Beispiel zeigte. Heirat: Eine Heirat hat Einflüsse auf finanzielle Angelegenheiten des Kunden. Doch es geht viel weiter – wieso positioniert sich die Bank nicht als „Generalunternehmer“ für das Bedürfnis Heirat? Von der Planung (z.B. in Kooperation mit einem Wedding-Planer), über die Durchführung (Hilfe bei der Standortwahl, direktes begleichen von Rechnungen) bis hin zu den nötigen Schritten nach der Hochzeit (z.B. Absicherung, Finanzplanung). Sorglos-Paket für Kinder: Kinder wachsen schnell auf. Die Zeit der Ausbildung oder des Studiums scheint noch weit weg, kommt aber schnell. Die Bank könnte bereits frühzeitig dem Kunden bei der Planung helfen und wenn es dann soweit ist, den Nachkömmling bei der Auswahl der Uni oder des Berufs unterstützen. Nach Abschluss der Ausbildung hilft die Bank bei der Jobsuche und Berät bei der Abbezahlung der Ausbildungsschulden, denn irgendwann möchte der Nachwuchs schuldenfrei sein, um sich eigenen Wohnraum zu schaffen. Damit wäre der Kreis wieder geschlossen.

 

Erfolgsfaktoren

Diese drei Beispiele stellen nur eine kleine Auswahl der Möglichkeiten und Potenziale dar. Doch was muss die Bank tun, um diese radikal neue Form der Denke und des Handelns zu etablieren? Die wesentlichen Erfolgsfaktoren:

Den Kunden verstehen: Es bedarf einer durchgehenden Methodik, die ausgehend vom Kunden dessen Bedürfnisse identifiziert.

Das Bedürfnis adressieren: Die Kenntnis des Bedürfnisses allein ist nicht ausreichend. Es bedarf Methoden zur Ableitung und Komposition passender Lösungen.

Kooperation in der Leistungserstellung: Die weiter oben vorgenommene Trennung der beiden Ökosystem-Typen ist streng genommen nicht korrekt. Der Kunde denkt nicht in Finanzdienstleistungen, sondern in Bedürfnissen die quer über sein gesamtes Ökosystem liegen können. Je breiter das Bedürfnis, desto höher die Anforderungen an die Bank, sich mit anderen Anbietern zu vernetzen.

Akzeptanz: Der Change von der Produkt-orientierten Sicht zu einer Bedürfnis-orientierten erfordert ein radikales Umdenken der Organisation als Ganzes. Es bedarf entsprechender Inzentivierungsstrukturen, ein Überdenken klassischer Segmentierungsansätze, neue Vorgehen bei der Kampagnendurchführung, neue Beratungsansätze und vieles mehr.

 

Fazit

Die Bank wird sich öffnen müssen. Sie muss Kooperationen eingehen, um sich konsequent am Kundenbedürfnis ausrichten zu können. Der Pfad hin zu einer Ökosystem-orientierten Denkweis ist genauso langwierig wie komplex. Daher ist eine Aufteilung in viele verkraftbare, für sich allein bereits wirksame, Massnahmen und Projekte kritisch für den Erfolg.

Das CC Sourcing unterstützt seine Kunden mit Projekterfahrung, Endkunden- und Branchenkenntnis sowie einem Set an durchgängigen und vielfach praxiserprobten Modellen bei der Identifizierung und Ökosystem-basierten Erfüllung von Kundenbedürfnissen.

Was sind Deine Erfahrungen mit dem Thema? (Kommentieren geht auch ohne Anmeldung oder Einloggen; einfach kommentieren, auf Freigabe warten und fertig!)