Gaia-X – eine Revolution für die Finanzindustrie?

Probleme mit dem internationalen Datenschutz

In Anlehnung an Clive Humbys inflationär verwendeten Ausspruch «Data is the new oil» beschreibt der Economist bereits im Mai 2017 (1) die dominante Marktposition der Unternehmen, die die höchste Marktkapitalisierung aufweisen können: Die vier GAFA-Unternehmen (Google, Amazon, Facebook, Apple) und Microsoft. Diese fünf Unternehmen haben zudem gemein, dass ihre Businessmodelle alle stark von Daten abhängen. Auch im Jahr 2021 finden sich die oben genannten Unternehmen weiterhin ganz oben im Ranking der Marktkapitalisierung (2). Die einzige Veränderung des Rankings ist ein Neuling auf Platz 3: Aramco – ironischerweise tatsächlich ein Ölkonzern. Aber zurück zum Thema: Die datengetriebenen Techkonzerne sind nicht nur an der Nutzung von Daten interessiert, sondern verdienen ihr Geld auch durch die Bereitstellung von Cloudinfrastrukturen (Infrastructure as a Service (IaaS) bzw. Platform as a Service (Paas)) für andere Unternehmen. Cloudlösungen haben aus Kundensicht den Vorteil, dass sie im Vergleich zu On-Premise-Lösungen schneller und durch die Skalierbarkeit auch flexibler und günstiger sind. Die bekanntesten Cloudinfrastrukturen sind wohl Amazon Web Services (AWS), Google Cloud, Microsoft Azure und IBMs Red Hat, die alle eins gemeinsam haben: Die Unternehmen haben ihren Hauptsitz in den USA und unterliegen damit dem (ausgesprochen lockeren) US-amerikanischen Datenschutz«gesetz». Hierbei gilt das liberale Prinzip, dass ein Unternehmen das Datenschutzniveau für sich selbst festlegen kann. Zusätzlich können US-Behörden seit dem USA Patriot Act von 2001 bzw. dem CLOUD Act von 2018 ohne richterliche Anordnung auf Daten amerikanischer Unternehmen zugreifen (auch wenn diese Daten nicht in den USA gehostet werden). Bisherige Lösungsansätze wie die «Safe-Harbor-Regelung» und das «EU-US Privacy Shield» hatten zum Ziel, die US-amerikanischen Unternehmen freiwillig zur Einhaltung europäischer Datenschutzstandards zu bewegen. Hierbei gab es auch Zusagen der amerikanischen Techkonzerne, die allerdings spätestens seit Inkrafttreten des CLOUD Act rechtlich zwischen den Stühlen sitzen: Sie können die Absprachen mit der europäischen Politik nicht einhalten, ohne gleichzeitig in Konflikt mit der amerikanischen Gesetzgebung zu treten.  Analog dazu ist im Übrigen auch der Datenschutz bei chinesischen Cloud-Anbietern wie Alibaba geregelt: Die chinesische Regierung hat auch das Recht auf die Einsicht der Daten, wenn sie bei einem chinesischen Cloud-Anbieter gespeichert sind. Die aktuelle Datenschutzlage – vor allem für europäische Finanzinstitute mit sensiblen Daten – ist also schwierig.

Gaia-X – eine echte Alternative?
Video: Gaia-X – a secure data infrastructure for Europe

Eine echte Alternative könnte das von der europäischen Union gegründete Projekt Gaia-X sein. Gaia-X ist eine Initiative zum Aufbau einer standardisierten, dezentralen Dateninfrastruktur nach europäischen (Datenschutz-)Vorstellungen. Im Vordergrund steht die Datensouveränität, d. h. die Kontrolle bzw. Selbstkontrolle eines privaten Nutzers oder eines Unternehmens über seine Daten, durch die Gewährleistung von Offenheit, Transparenz und Vertrauen, um Datensicherheit und Datenschutz zu garantieren. Via Gaia-X soll es ermöglicht werden, dass Unternehmen (und Privatpersonen) ihre Daten in einem sicheren Rahmen teilen können, wobei die jeweiligen Datensets durch «Datenverträge» beschränkt werden können: So können manche Datensets nur angesehen aber nicht kopiert werden oder sind in der Anzahl der Nutzungszugriffe eingeschränkt. Somit können Interessen und Rechte wie geistiges Eigentum geschützt werden und die Frage «Wem gehören die Daten?» scheint geklärt. Durch die einfache Anbindung sämtlicher privater und öffentlicher Clouds ist Gaia-X anbieterneutral aufgestellt, was zusätzlich den Offenheitsgedanken und den gesellschaftlichen Anspruch widerspiegelt. Gaia-X ist also nur insofern eine Cloud, als der Service Zugang zu vielen unterschiedlichen, externen Cloudservices bietet und Daten dieser Services verarbeitet. Im Vordergrund steht allerdings das Setzen des Gaia-X-Standards (z. B. Sicherung von Datensouveränität) (3). Durch die Ansammlung dieses enormen Datenschatzes soll es ermöglicht werden, KI-Algorithmen zu trainieren, da diese oft Unmengen von Trainingsdaten benötigen, die ein einzelnes Unternehmen oft nicht vorweisen kann. Zusätzlich können neue, datengetriebene Businessmodelle und diverse Innovationen entstehen: In einem ersten Schritt erhalten Unternehmen einen Überblick darüber, welche externen Daten in anderen Kontexten entstanden sind. Diese Daten können dann im zweiten Schritt basierend auf Datenverträgen gekauft oder gemietet werden, und somit mit unternehmensinternen Daten kombiniert werden.

Aufbau
Abbildung 2: Das Konzept von Gaia-X, Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft: Gaia-X_Architecture_Document_2103.pdf

Basierend auf den oben genannten Werten ist Gaia-X aus technischer Perspektive ein Netzwerk aus zentralen und dezentralen Cloud- und Edge Services, das Daten für Anwender zur Verfügung stellen soll. Wie in Abbildung 2 zu sehen, besteht Gaia-X aus drei vernetzten Ebenen: Dem Infrastruktur-Ökosystem (unten in rot), dem Daten-Ökosystem (oben in blau) und dem föderierten Service (Mitte, grün) als Bindeglied zwischen den beiden erstgenannten Elementen. Das Infrastruktur-Ökosystem hat vor allem die Datenspeicherung und die Datenverarbeitung (z. B. Sicherstellung der Rechenpower) zur Aufgabe. Hierzu gehört der Aufbau sicherer Schnittstellen zu externen Clouds. Das Daten-Ökosystem ist die Nutzeroberfläche, auf der die Anwender die Daten direkt oder indirekt produzieren, zur Verfügung stellen oder konsumieren (4). Das Daten-Ökosystem kann nochmals unterteilt werden in sogenannte Gaia-X Hubs, wobei sich hier die domänenspezifischen Hubs den länderspezifischen Hubs untergliedern. Ein Hub verfolgt das Ziel, relevante Stakeholder innerhalb eines Landes und, eine Stufe darunter, bestimmter Branchen miteinander zu vernetzen, Use Cases zu erarbeiten und Anforderungen von Nutzern an die Serviceentwicklung und gegebenenfalls damit einhergehende Gesetzgebung an das Projekt zu übermitteln (5). Es hat (bisher fast) jedes europäische Land einen länderspezifischen Hub, der sich dann beispielsweise in Deutschland in domänenspezifische Hubs wie Mobilität, Industrie 4.0/KMU aber auch Finanzwirtschaft unterteilt (6) – zur Finanzwirtschaft später mehr.

Der föderierte Service liegt über den beiden vorher genannten Ebenen, verbindet sie und sorgt für eine Interoperabilität zwischen allen Nutzern – vom Start-up zum Konzern und von der Wissenschaft bis zur Politik. Zudem realisiert der föderierte Service die Einhaltung der Gaia-X’schen Prinzipien und Anforderungen: Datensouveränität, Datensicherheit, Nachverfolgbarkeit, Offenheit, Interkonnektivität, Interoperabilität, dezentrale Verteilung und Vertrauensschutz:

  • Datensouveränität: Ich als Anwender habe die Kontrolle darüber, wer meine Daten wann wie und wie lange nutzen kann.
  • Datensicherheit: Die Sicherheit der Daten, insbesondere auch bei der Datenspeicherung, soll durch Gaia-X gewährleistet werden, unter anderem durch die Nachverfolgbarkeit und Offenheit.
  • Nachverfolgbarkeit: Durch Sicherheitsmechanismen, wie z. B. die Zuweisung von IP-Adressen, soll eine Nachverfolgung aller Aktivitäten eines Nutzers – und damit die Datensicherheit – auf Gaia-X sichergestellt werden. Somit kann beispielsweise die Einhaltung der Datenverträge gewährleistet werden. Ist ein Nutzer nur zur Einsicht in ein Datenset berechtigt, versucht aber, es zu kopieren, können solche Fälle über die Nachverfolgbarkeit aufgedeckt werden.
  • Offenheit: Gaia-X ist eine offene Dateninfrastruktur, die sowohl allen (angemeldeten) Nachfragern (Unternehmen, Forschende, staatliche Stellen, Privatpersonen) aber auch allen Anbietern (Amazon Web Services, Microsoft Azure, Google Cloud, kleinere europäische Services, etc.) Zugänge durch sichere Schnittstellen gewährt. Das Projekt verfolgt dabei vor allem das Ziel, die Nutzung europäischer Cloud-Anbieter attraktiver zu machen und damit eine Alternative zu den Hyperscalern zu bieten (mehr dazu unter Interkonnektivität und Interoperabilität). Für Unternehmen, die Gaia-X nutzen, deren Daten aber bei einem der amerikanischen oder chinesischen Cloud-Anbieter liegen, ändert sich erst einmal nur, dass sich alle Cloudanbieter zum Datensouveränitätsstandard Gaia-X bekennen müssen. Eine finale rechtliche Entscheidung liegt dazu allerdings noch nicht vor. Die Offenheit spiegelt sich zudem auch im Open-Source-Ansatz wider, bei dem der Quellcode grundsätzlich transparent zur Verfügung steht und entsprechend weiterentwickelt werden kann.
  • Interkonnektivität: Um eine dezentrale Infrastruktur aufbauen zu können, muss die Gaia-X-Infrastruktur die Interkonnektivität zwischen den Interconnection Hubs sicherstellen. Wichtig ist hier vor allem, dass es ermöglicht werden soll, Daten über mehrere Anbieter hinweg dezentral zu speichern, was zum einen die Datenhaltung sicherer macht, es europäischen Anbietern aber vor allem ermöglichen soll, gemeinsam Speicherkapazitäten in der Grössenordnung amerikanischer Services zur Verfügung zu stellen (7).
  • Interoperabilität: Das Prinzip der Interoperabilität sorgt dafür, dass verschiedene Anwendungen untereinander störungsfrei ablaufen. Nur durch die Interoperabilität ist die vernetzte Nutzung mehrerer Dienste möglich. Auch bei diesem Punkt geht es unter anderem darum, ein Gegengewicht zu den Hyperscalern zu schaffen. Auf der einen Seite verhindert die Interoperabilität den Lock-in bei einem bestimmten Anbieter, da die Daten problemlos von einem Anbieter zu einem anderen transferiert werden können. Auf der anderen Seite soll es dadurch auch möglich werden, Analytics-Dienstleistungen von unterschiedlichen Anbietern zu beziehen (7). Ob die Services europäischer Anbieter mit denen von Google, Amazon, Microsoft und Co. werden mithalten können, ist eine andere Frage.
  • Dezentral verteilt: Eine dezentral verteilte Dateninfrastruktur spiegelt nicht nur den europäischen Föderalismus wider, sondern bringt auch weitere Vorteile mit sich: Eine europäische, dezentrale Investitionsstruktur fördert den Ausbau verschiedenster Technologien, die, wiederum an Gaia-X angeschlossen, ihre volle Kraft entfalten können. Es wäre beispielsweise möglich, dass Frankreich verstärkt in die Serverinfrastruktur investiert und die Niederlande ihre finanziellen Mittel eher für die Entwicklung von Algorithmen nutzen. Somit wird dezentral investiert, aber beide Investitionen kommen im Endeffekt Gaia-X zugute.
  • Vertrauensschutz: Gaia-X bietet einen sicheren Raum für Daten. Dieser sichere Raum entsteht durch die Festlegung und Einhaltung von Regeln, die durch eine technische Umsetzung eingehalten werden müssen (z. B. die technische Nachverfolgbarkeit von Nutzeraktivitäten).
Aktuelle Herausforderungen

Neben vielen offensichtlichen Vorteilen wie der Schaffung eines Gegengewichts zu den Hyperscalern (Google, Amazon, Microsoft, Alibaba etc.) und der Durchsetzung des europäischen Datenschutzes, zeigt Gaia-X auch einige Schwächen auf: Eben diese Hyperscaler haben ungefähr 10 Jahre technischen Vorsprung und damit sehr viel Erfahrung gegenüber Europa voraus. Darüber hinaus unterscheidet sich Gaia-X auch bei den finanziellen Mitteln von den Clouddiensten der Hyperscaler: Gaia-X soll insgesamt 5-10 Milliarden Euro kosten, die Hyperscaler investieren allerdings 50 Milliarden Euro monatlich (8). Allerdings beteiligen sich die Hyperscaler am Projekt Gaia-X – nicht aus Liebe zu den Daten, sondern um in entsprechenden Arbeitsgruppen mitzudiskutieren und Einfluss auf die Ausgestaltung zu nehmen. So sind sie zum Beispiel an der Ausgestaltung der Regeln für einen Anbieterwechsel beteiligt (9). Bisher ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Mitwirkung der Hyperscaler bei Gaia-X unklar: Einerseits ist Gaia-X auf das Wissen und die Erfahrung der Technologiekonzerne angewiesen, andererseits greift Gaia-X deren Cloud-Geschäftsmodell stark an, wodurch die Hyperscaler langfristig einige europäische Unternehmen als Kunden verlieren könnten. Um einen zu grossen Einfluss der Hyperscaler auszuschliessen, dürfen sie zwar in den Arbeitsgruppen mitdiskutieren, sind allerdings bei finalen Abstimmungen nicht stimmberechtigt. Stimmberechtigt sind nur Unternehmen bzw. Personen im Vorstand und dort wiederum kann man sich nur hineinwählen lassen, wenn der Hauptsitz des Unternehmens in Europa liegt und die Ziele und Werte der europäischen Datensouveränität hochgehalten werden (3). Allerdings sind viele der Vorstandsmitglieder Kunden oder sogar Partner der Technologiegiganten, wodurch eine gewisse Einflussnahme auf Vorstandsentscheidungen nicht ausgeschlossen werden kann (9).

Abgesehen von der Beteiligung amerikanischer Technologiekonzerne gibt es aber auch weitere Herausforderungen, die dem schnellen Wachstum und der schieren Anzahl der mittlerweile über 300 Mitglieder zugeschrieben werden. Zum einen herrscht bei so vielen Beteiligten Uneinigkeit über Grundfragen, wodurch sich die Arbeit insgesamt immer wieder verzögert und Deadlines nach hinten geschoben werden. Interessanterweise ist eine dieser ungeklärten Grundfragen die angesichts der ursprünglichen Ziele doch recht wichtige Frage, ob es für Nutzer die Möglichkeit geben soll, die Speicherung und Verarbeitung ihrer Daten innerhalb Europas zu verlangen. Ein weiteres Problem ist die Kommunikation der Arbeitsfortschritte an die Mitglieder, die als unzureichend wahrgenommen wird. Es gibt also durchaus noch einiges an Verbesserungsbedarf, wenn Gaia-X seine Ziele in absehbarer Zeit – wenn nicht gar überhaupt – erreichen möchte. (9)

Genau diese Herausforderungen, vor allem die der Beteiligung der Hyperscaler, haben im Juni dieses Jahres zur Gründung der Vereinigung Euclidia (European Cloud Industrial Association) geführt (10). Unter den 23 Gründungsmitgliedern von Euclidia befinden sich daher auch einige Unternehmen, die der Initiative Gaia-X angehören (11). Euclidia verfolgt das Ziel, Europa digital unabhängig und europäische Cloudinnovationen weltweit wettbewerbsfähig zu machen (12). Im Gegensatz zu Gaia-X können nur Provider von Cloudsoftware oder -hardware beitreten, die in Europa ansässig sind und sich mehrheitlich in europäischem Besitz befinden (11). Die Unterschiede zu Gaia-X präsentiert Euclidia auf ihrer Website folgendermassen:

 EUCLIDIAGAIA-X
BOARD MEMBERSCEOs of European companies that create original cloud technology, mostly SMEsMostly managers of large European companies or reseach organisations that use or run cloud through strategic partnerships with AWS, Azure or Google
MEMBERSEuropean based companies with European based shareholders that create original cloud technologyMostly cloud users and cloud providers from any country
MAIN GOALAccelerate the adoption of cloud technology created in EuropeDevelop compliance policies for cloud providers
Tabelle 1: Unterschiede zwischen Euclidia und Gaia-X, Quelle: (11)

Gaia-X ist also durchaus nicht das einzige Projekt, das die europäische Datensouveränität anstrebt. Welches der beiden Projekte zuerst mit konkreten Errungenschaften aufwarten kann, bleibt abzuwarten. Es bleibt also spannend.

Datenräume in anderen Branchen: CARUSO

Im Vergleich zu anderen Industrien, die beim Teilen von Daten einige Schritte voraus sind, tut sich die Finanzindustrie noch schwer. Ein Vorzeigeprojekt der Automobilindustrie ist CARUSO: Ins Leben gerufen von der Daimler AG, ist CARUSO eine Plattform zum Teilen von Mobilitätsdaten (13). Die Daimler AG hat damit begonnen, aggregierte Fahrzeugdaten mit dem Einverständnis der Fahrzeugbesitzer mit interessierten Unternehmen zu teilen (14). Ein beispielhafter Use Case ist “pay-as-you-drive”, bei dem die Kilometerstände der vernetzten Fahrzeuge direkt an Versicherer gemeldet werden können, die dann für innovative Versicherungsdienstleistungen genutzt werden können. Beispielsweise kann die Versicherungspolice individuell an das Fahrverhalten angepasst werden. Ein weiterer Use Case ist der Fahrzeugstatus, der durch Predictive Maintenance überwacht werden kann, wodurch Reparaturbedarf rechtzeitig erkannt und Reparaturen rechtzeitig durchgeführt werden können (15).

Die Dateninfrastruktur des Projektes ist vergleichbar mit der von Gaia-X: Der Fokus liegt auf einer sicheren, standardisierten Funktionsweise, durch die Daten widerstandslos geteilt bzw. auf dem Datenmarktplatz ge- und verkauft werden können. Angefangen mit Daten der Daimler AG, haben sich nun auch weitere namhafte Automobilhersteller und Mobilitätsdienstleister angeschlossen, die ihre Daten bereitstellen: Audi, BMW, Ford, Mini, Porsche und VW. Automobilhersteller können ihre Daten hochladen, die dann von externen Anbietern zur Bereitstellung vielfältiger Lösungen verarbeitet werden können. Durch den Zugriff auf die Fahrzeugdaten können nicht nur die Qualität bzw. Sicherheit der Fahrzeuge verbessert werden, sondern auch neue datengetriebene Geschäftsmodelle entstehen. Aus technischer Sicht wäre es möglich, CARUSO als externe Cloud an Gaia-X anzudocken, um Mobilitätsdaten nach europäischem Datensouveränitätsstandards zu speichern.

Das Teilen von Daten in der Finanzwirtschaft

Zurück zu Gaia-X mit einem Blick auf die Finanzwirtschaft: Unter den mittlerweile über 300 Mitgliedern der Gaia-X Initiative finden sich bisher nur wenige Finanz- und Versicherungsdienstleister wieder (eine vollständige Liste der Mitglieder findet Ihr hier (16). Namhafte Unternehmen sind die BNP Paribas, CNP Assurances, Crédit Agricole und die Deutsche Bank. Allerdings ist Gaia-X noch keine fertiggestellte Cloud-Alternative; entsprechend gibt es bisher nur wenige konkrete Anwendungsfälle:

  • Financial Big Data Cluster (17): Das FBDC hat sich zum Ziel gesetzt, einen grossen, vernetzten Pool an Finanzdaten aufzubauen, um gegen Geldwäsche und Marktmanipulation vorzugehen. Der technische Hintergrund ist, dass viele Daten benötigt werden, um Abweichungen von Mustern zu erkennen. Geldwäsche beispielsweise ist genauso eine Abweichung vom durchschnittlichen Kundenverhaltens und kann besser identifiziert werden, wenn mehr Daten von vielen Kunden vorliegen.
  • Sustainable Finance (18): Basierend auf grossen Datenmengen wird durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz auch hier die Mustererkennung angewendet, um explorativ zu überprüfen, welche nachhaltigen Faktoren einen Effekt auf die Risikominimierung haben.

Aufgrund des eben angesprochenen Entwicklungsstadiums der Gaia-X-Initiative (es existiert noch kein konkretes Angebot auf dem Markt), haben sich 13 europäische Finanzinstitute zur «European Cloud User Coalition» zusammengeschlossen (19). Dazu gehören die Commerzbank als Initiator und weitere namhafte Vertreter wie die deutsche Börse, ING und die UniCredit. Die Ziele des Bündnisses stimmen grundsätzlich mit denen der Gaia-X-Initiative überein: In der Cloud muss eine Datensouveränität mit europäischem Datenschutz herrschen und die Abhängigkeit von amerikanischen Anbietern soll verringert werden. Zusätzlich fordert das Bündnis allerdings die Erfüllung des europäischen Datenschutzes auch bei der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Cloud-Anbietern. Insbesondere eine Vereinheitlichung der Verträge zwischen europäischen Finanzinstituten und amerikanischen Cloud-Anbietern wird gefordert. Es bleibt zu vermuten, dass die European Cloud User Coalition nicht auf Gaia-X warten möchte, da Gaia-X erst ab 2022 Marktreife erreichen wird. Im Gegensatz dazu will die Commerzbank bis 2023 80 % ihrer Anwendungen in die Cloud auslagern (19).

Fazit und Ausblick

Das Ziel der europäischen Kreditinstitute ist klar: Eine Dateninfrastruktur nach den Prinzipien und Zielen der Gaia-X-Initiative muss entstehen. Es bleibt nur abzuwarten, welcher Weg der schnellere ist. Option 1: Es findet eine Änderung des amerikanischen Datenschutzgesetzes hin zu einer strikteren Handhabung und ohne Einsicht der US-Behörden in europäische Unternehmen und damit in persönliche Daten europäischer Bürger statt. Option 2: Gaia-X schafft die Marktreife mit einer konkreten Angebotserstellung und kann Finanzinstitute als Kunden gewinnen. Option 3: Mit Hilfe staatlicher Finanzierung und Unterstützung erreicht Euclidia sein Ziel, europäische Cloud-Dienste wettbewerbsfähig und für europäische Unternehmen attraktiv zu machen. Der Vorteil bei Gaia-X wäre, dass sich Finanzdienstleister bis zur Marktreife noch engagieren können und Anforderungen in ihrem Sinne beeinflussen können, sodass sie ihre eigenen Systeme bestenfalls nur marginal anpassen müssen. Wollen die Banken eine kurzfristige Übergangslösung schaffen und weiterhin vom amerikanischen Datenschutzgesetz abhängig sein, so ist ein Beitritt in die European Cloud User Coalition erstrebenswert. Es ist eine kurzfristige Einigung zwischen der EU und den USA denkbar und wünschenswert, die die relevanten Bestimmungen des CLOUD Act abschwächt oder aussetzt. Perspektivisch ist Gaia-X als echte Alternative zu den amerikanischen Anbietern zu sehen und dient vor allem der Entwicklung und Einhaltung europäischer Datensouveränität und europäischen Datenschutzes.


Quellen

(1) The Economist. 2017. „The world’s most valuable resource is no longer oil, but data“, 6. Mai 2017. https://www.economist.com/leaders/2017/05/06/the-worlds-most-valuable-resource-is-no-longer-oil-but-data.

(2) Szmigiera, M. 2021. „The 100 largest companies in the world by market capitalization in 2021“. Statista. 10. September 2021. https://www.statista.com/statistics/263264/top-companies-in-the-world-by-market-capitalization/.

(3) Frauenhofer Gesellschaft. o. J. „GAIA-X – Sichere Dateninfrastruktur für Europa“. Frauenhofer Podcast: Forschung erleben – Zukunft hören. Zugegriffen 4. November 2021. https://open.spotify.com/episode/31lOaDR4mzeQvfwMy21lps.

(4) „Gaia-X Architecture Document“. 2021. GAIA-X, European Association for Data and Cloud, AISBL. https://www.gaia-x.eu/sites/default/files/2021-05/Gaia-X_Architecture_Document_2103.pdf.

(5) „Hubs“. o. J. Gaia-X. Zugegriffen 4. November 2021. https://www.gaia-x.eu/who-we-are/hubs.

(6) „Der deutsche Gaia-X Hub“. o. J. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Zugegriffen 4. November 2021. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/gaia-x.html.

(7) Rehberg, Jesko. 2021. „GAIA-X: A Pitch towards Europe? Will Europe’s ambitious data- and cloud–infrastructure project keep its promises?“ Towards Data Science. 25. März 2021. https://towardsdatascience.com/gaia-x-a-pitch-towards-europe-6c0e7fa36370.

(8) „Hyperscaler mischen groß mit“. o. J. Golem.de. Zugegriffen 12. November 2021. https://www.golem.de/news/gaia-x-hat-die-gross-angekuendigte-cloud-initiative-eine-zukunft-2109-159284-2.html.

(9) Goujard, Clothilde, und Laurens Cerulus. 2021. „Inside Gaia-X: How Chaos and Infighting Are Killing Europe’s Grand Cloud Project“. POLITICO, 26. Oktober 2021. https://www.politico.eu/article/chaos-and-infighting-are-killing-europes-grand-cloud-project/.

(10) „Backgound: European tech innovation“. o. J. Euclidia. Zugegriffen 4. November 2021. https://www.euclidia.eu/background/.

(11) „FAQ“. o. J. Euclidia. Zugegriffen 4. November 2021. https://www.euclidia.eu/faq/.

(12) „23 European Cloud Technology Companies form the European Cloud Industrial Alliance (EUCLIDIA)“. 2021. Euclidia. 8. Juli 2021. https://www.euclidia.eu/publications/EUCLIDIA-Press.Release.Launch.Announcement.

(13) „From Connected Cars to Connected Business“. o. J. CARUSO. Zugegriffen 4. November 2021. https://www.caruso-dataplace.com/.

(14) Pütter, Christiane. 2019. „Connected Car: Daimler vermarktet Daten über Caruso“. CIO.de. 18. Dezember 2019. https://www.cio.de/a/daimler-vermarktet-daten-ueber-caruso,3623980.

(15)„Daimler stellt fahrzeuggenerierte Daten auf Datenmarktplatz Caruso bereit“. 2019. AutomobilKONSTRUKTION. 19. Dezember 2019. https://automobilkonstruktion.industrie.de/allgemein/daimler-stellt-fahrzeuggenerierte-daten-auf-datenmarktplatz-caruso-bereit/.

(16) „Member list. Gaia-X European Association for Data and Cloud AISBL“. 2021. GAIA-X, European Association for Data and Cloud, AISBL. https://www.gaia-x.eu/sites/default/files/2021-06/Gaia-X_Member-Association_2021-06-09.pdf.

(17) „Financial Big Data Cluster (FBDC)“. o. J. Federal Ministry for Economic Affairs and Energy. Zugegriffen 4. November 2021. https://www.bmwi.de/Redaktion/EN/Artikel/Digital-World/GAIA-X-Use-Cases/financial-big-data-cluster-fbdc.html.

(18) „Sustainable Finance“. o. J. Data-Infrastructure.Eu. Zugegriffen 4. November 2021. https://www.data-infrastructure.eu/GAIAX/Redaktion/EN/Artikel/UseCases/sustainable-finance.html.

(19) Mußler, Hanno. 2021. „Europäisches Banken-Bündnis: Gemeinsam gegen Amerikas Cloud-Macht“. FAZ.NET, 27. Januar 2021. https://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/eu-banken-buendnis-gemeinsam-gegen-cloud-macht-aus-den-usa-17167408.html.

Tobias Hackl

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