DLT in der Supply Chain: Kann so die Rückverfolgbarkeit garantiert werden?

Im industriellen Sektor stellt die fortgeschrittene Vernetzung zwischen Kunden, Produkten und Wertschöpfungsketten die Unternehmen vor grosse Herausforderungen. Die Glaubwürdigkeit der Daten in der Supply Chain wird oft in Frage gestellt. Die Distributed-Ledger-Technologie in diesem Kontext einzusetzen, beweist sich in unterschiedlichen Industrien als vielversprechender Use Case.

Im Supply-Chain-Management eines Unternehmens wird versucht, eine Verknüpfung und Koordination zwischen den Prozessen anderer Lieferanten, Kunden und der Organisation selbst zu erreichen[2]. Dabei umfasst es alle Bewegungen und Lagerungen von Rohstoffen, unfertigen Erzeugnissen und Fertigwaren vom Ursprung bis zum Verbrauchsort [3].

Dafür betreiben bereits heute Unternehmen weltweit computergestütztes Enterprise-Resource-Planning (ERP) oder nutzen Supply-Chain-Management-Software. «Analoge Lücken» in der Unternehmensinfrastruktur verhindern die digitale Nachvollziehbarkeit, was zur Vorbeugung von Betrugsfällen relevant ist. [1]

Rückverfolgbarkeit in der Supply Chain

In den letzten Jahren wurde der Fokus verstärkt auf die Rückverfolgbarkeit von Produkten in Nahrungsmittel-Supply-Chains gelegt. Um das Jahr 2000 waren die vielen tragischen und kostspieligen Nahrungsmittelskandale, die damals weltweit grosse Aufmerksamkeit in den Medien fanden, der Hauptantrieb für eine verbesserte Rückverfolgbarkeit von Nahrungsmitteln. [11]

Infolgedessen wurden die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit in nationalen Gesetzgebungen und in kommerziellen Standards für die Lebensmittelproduktion aufgenommen oder verstärkt. In den letzten Jahren haben sich die elektronischen Systeme und Standards für die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln stark verbessert. Dies hat dazu geführt, dass die Investition in bessere Rückverfolgbarkeitssysteme über die Risikominderung und die Erfüllung der Anforderungen hinaus potenzielle Vorteile mit sich bringt.[11]

Zu diesen potenziellen Vorteilen gehören typischerweise [11]:

  • Geringere Kosten und weniger Arbeitsaufwand durch eine bessere Informationslogistik und eine geringere interne Dateneingabe
  • Geringere Kosten und weniger Arbeitsaufwand im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch zwischen Geschäftspartnern durch bessere Integration elektronischer Systeme
  • Zugang zu genaueren und zeitnäheren Informationen, die benötigt werden, um bessere Entscheidungen darüber zu treffen, wie und was produziert werden soll
  • Wettbewerbsvorteil durch die Möglichkeit, wünschenswerte Produkteigenschaften zu dokumentieren, insbesondere in Bezug auf Nachhaltigkeit, Ethik und geringe Umweltbelastung
Einsatz von DLT in der Supply Chain im Bereich der Rückverfolgbarkeit

Die Supply Chain ist eine der Hauptanwendungsdomänen für die Verknüpfung von der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) und IoT, weil die unternehmensinterne sowie unternehmensübergreifende Vernetzung von Ressourcen und Gütern benötigt wird. Es können über einen sicheren Speicherort Zustände ausgetauscht oder Interaktionen ausgehandelt werden. Dabei fungiert die DLT als Enabler für die Kommunikation von IoT-Geräten sowie der nachweisbaren Übermittlung von Informationen. [5]

DLT wird in den folgenden Anwendungsszenarien bereits eingesetzt:

Tab. 1: Anwendungsszenarien von DLT in der Supply Chain im Bereich Rückverfolgbarkeit aus einer Analyse von zehn Anwendungsbeispielen
Quelle: eigene Darstellung mit Anlehnung an [7]

Ein Beispiel für eine Plattform, die bereits zur Effizienzsteigerung im Seefrachtverkehr eigesetzt wird, ist die Plattform TradeLens von IBM und Maersk. Über sie können alle Parteien, die in den Versand einer Ware involviert sind, vernetzt werden, den Versandfortschritt überprüfen und zeitnah auf Verzögerungen und Änderungen reagieren. Darüber hinaus erhalten sie Zugriff auf alle für sie relevanten Handelsdokumente, die sie je nach Grad der Autorisierung einsehen oder bearbeiten können. Alle Transaktionen und Änderungen werden fälschungssicher auf einem Distributed Ledger gespeichert. [8]

Leitfaden für den Einsatz von DLT in der Supply Chain im Bereich der Rückverfolgbarkeit

Eine der grössten Herausforderungen bei der Implementierung eines DLT-Systems ist seine übliche Komplexität. So müssen alle Beteiligten in der Supply Chain zusammenarbeiten, um die Technologie zu übernehmen und zu implementieren, damit sie wie gewünscht erfolgreich wird. Da sich die DLT noch im Anfangsstadium der Entwicklung befindet, fehlt es generell an Standards für die Implementierung[4]. Dabei sollen alle Beteiligten in der «End-To-End DLT-Enabled Supply Chain» teilnehmen, um das volle Potenzial der Technologie auszuschöpfen. [10]

Abb. 1: Generisches Modell einer transparenten Supply Chain
Quelle: eigene Darstellung

In der Abb. 1 wird ein generisches Modell mit drei Ebenen für eine transparente Supply Chain dargestellt.

Die konzeptionelle Ebene repräsentiert eine unternehmensübergreifende Supply Chain [12]. In diesem generischen Modell könnten auch einzelne Supply-Chain-Prozeduren wegfallen. Die aufgeführten sieben Schritte (vom Rohstofflieferanten bis zum Endkunden) sind beispielhaft zu verstehen.

In der Prozessebene wurde der Güterfluss von links nach rechts dargestellt, zusätzlich wurde der Geldfluss als Entgelt für die Güter dargestellt. Dieser Geldfluss könnte, wie in der Grafik mit einem «Vertrag» symbolisiert, auch automatisiert durch einen Smart Contract im B2B-Geschäft ausgeführt werden. Die symbolisierten Rohmaterialen auf der linken Seite und das Endprodukt auf der rechten Seite stellen dar, dass der Endkunde rückverfolgen kann, welche Produkte z. B. nachhaltig / legal (grün dargestellt) erwirtschaftet wurden. Dies sind Informationen, welche Kunden beim Kauf ihrer Nahrungsmittel mitgeteilt werden können.

Auf der Technologieebene werden die benutzten DLT und IoT-Geräte dargestellt. Alle Unternehmen der Supply Chain sind gleich berechtigt, dazugehörige Informationen eines Produktes auf der DLT abzuspeichern. Durch eine fälschungssichere Inputquelle, wie beispielsweise eine DNA-Analyse bei Diamanten, kann der Ursprung des Rohstoffs noch präziser und fälschungssicherer legitimiert werden. Alternativ könnte eine weitere unabhängige Informationsquelle, wie z. B. GPS-Signal hinzugefügt werden. Diese könnte aufzeigen, dass z. B. ein Fisch nicht aus illegalen Gewässern gefischt wurde.

Während der Verarbeitung eines Produktes entlang der Supply Chain können IoT-Geräte benutzt werden, um z. B. die Temperatur oder den Druck in einem Gefäss zu messen. Diese Messung der Temperatur wurde bei der Supply Chain von Pharmazeutika beschrieben, bei welchen es sogar regulatorisch verlangt wird. Durch die Verwendung der RFID-Tags kann einerseits die Übergabe der Güter und anderseits der Standort aufgezeichnet werden. Der Endkunde kann zum Abschluss die für ihn relevanten Informationen der Datenbank (orange dargestellt) im Einzelhandel bei einem Scan eines QR-Codes einsehen.

DLT im Vergleich zu einem zentralen System

Die DLT könnte eine gemeinsame Plattform und Standards für die Zusammenarbeit schaffen. Sie wird vom Autor als potenziell fehlendes Stück in der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen betrachtet [9]. Die DLT ermöglicht durch die Zeitstempel eine chronologische Speicherung der Transaktionen. Alle Stakeholder mit Zugriff auf die DLT können die Transaktionen einsehen.

Abb. 2: Bewertung eines zentralen Systems und der DLT
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an [4]

Mit Hilfe von Smart Contracts können Partner eines Blockchain-Netzwerkes Rahmenbedingungen für ihre Beziehungen verbindlich festlegen. Zusammen mit IoT-Sensoren können Zahlungsvorgänge direkt ausgelöst werden, z. B. bei einem Wareneingang. Der administrative Aufwand von der Rechnungsstellung bis zur Zahlungsanweisung könnte erheblich reduziert werden. Diese Vorgänge könnten automatisiert, auf Basis der getroffenen Vereinbarungen im Smart Contract, abgewickelt werden und müssten somit nicht mehr einzeln oder manuell ausgeführt werden. [6]

Fazit

Die DLT-Entwicklung schreitet schnell voran, was eine Vorhersage über die beste Wahl für die Zukunft schwierig macht. Die DLT wurde bisher kaum in der Supply Chain angewendet, weshalb eine starke Motivation, enge Zusammenarbeit und Systemintegration erforderlich sind, um reibungslos zu funktionieren. Jedoch interessieren sich immer mehr Menschen für die Art und Weise, wie Produkte beschafft werden, einschliesslich ethischer und ökologischer Aspekte der Produktion und des Vertriebs. Entsprechend macht es in ausgewählten Anwendungsszenarien Sinn, die DLT anstelle von einer herkömmlichen Datenmanagementsoftware einzusetzen.


Der Blogbeitrag ist ein Auszug aus der Bachelorarbeit «Darlegung des Nutzenpotenzials der Distributed Ledger Technologie in der Supply Chain im Bereich der Rückverfolgbarkeit» von Rico Schmid. Dabei wurde eine umfassende Literaturanalyse durchgeführt und zehn Anwendungsbeispiele aus der Nahrungsmittel-, Bergbau-, Produktions- und Pharmaindustrie mittels einer morphologischen Analyse analysiert. Die Arbeit wurde von der Ostschweizer Fachhochschule als beste Bachelorarbeit im Fachbereich Wirtschaftsinformatik ausgezeichnet.


Quellen

[1] Bosch, R., & Penthin, S. (2018). Blockchain als Treiber im modernen Supply Chain Management 4.0. Abgerufen am 9. April 2021 von BearingPoint: https://www.bearingpoint.com/files/Blockchain_im_SCM.pdf?download=0&itemId=5520 08

[2] Christopher, M. (2011). Logistics & Supply Chain Management (Bd. IV). Harlow: Pearson Education Limited.

[3] Elshayeb, S. A., & Yen, K. B. (2009). RFID Technology and Zigbee Networking in Improving Supply Chain Traceability. International Conference on Instrumentation, Communication, Information Technology, and Biomedical Engineering 2009 (S. 1). Indonesien: IEEE.

[4] Galvez, J. F., Mejuto, J., & Simal-Gandara, J. (30. Oktober 2018). Future challenges on the use of blockchain for food traceability analysis. TrAC Trends in Analytical Chemistry, 107, S. 223-230.

[5] Henke, M., Schulte, A. T., & Jakob, S. (2020). Blockchain-basiertes Supply Chain Management. In M. t. Hompel, T. Bauernhansl, & B. Vogel-Heuser, Handbuch Industrie 4.0 (Bd. II, S. 602-609). Berlin: Springer-Verlag GmbH Deutschland.

[6] Jakob, S., Schulte, A. T., Sparer, D., Koller, R., & Henke, M. (8. August 2018). Blockchain und Smart Contracts: Effizente und sichere Wertschöpfungsnetzwerke. Abgerufen am 10. April 2021 von Fraunhofer: http://publica.fraunhofer.de/eprints/urn_nbn_de_0011-n5036915.pdf

[7] London Economics. (02. Oktober 2020). Use of distributed ledger technologies to verify the provenance of goods. Abgerufen am 2. Mai 2021 von UK Government: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachme nt_data/file/923608/use-distributed-ledgers-verify-provenance-goods.pdf

[8] Deutsche Post DHL Group (2018). Blockchain in logistics: Perspectives on the upcoming impact of blockchain technology and use cases for the logistics industry. Abgerufen am 22. Oktober 2021 von DHL: https://www.dhl.com/content/dam/dhl/global/core/documents/pdf/glo-core-blockchain-trend-report.pdf

[9] Mattila, J., & Seppälä, T. (8. August 2015). Blockchains as a Path to a Network of Systems. ETLA Reports(45), S. 8.

[10] Oliver Wyman. (o. D.). Blockchain: The backbone of digital supply chains. Abgerufen am 15. Mai 2021 von Oliver Wyman: https://www.oliverwyman.com/ourexpertise/insights/2017/jun/blockchain-the-backbone-of-digital-supply-chains.html

[11] Olsen, P., & Borit, M. (Februar 2013). How to define traceability. Trends in Food Science & Technology, 77, S. 142-148.

[12] Poppe, R. (2016). Kooperationsplattformen für das Supply Chain Management. Osnabrück: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.

Rico Schmid

Was sind Deine Erfahrungen mit dem Thema? (Kommentieren geht auch ohne Anmeldung oder Einloggen; einfach kommentieren, auf Freigabe warten und fertig!)