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Dr. Daniel Fasnacht über die Zukunft des Geldes und die Entwicklung des Welthandels in Zeiten des chinesischen Wachstums
Im Gespräch mit dem Konfuzius-Institut-Magazin führt Daniel Fasnacht aus, wie sich die Bedeutung des Geldes zu verändern beginnt, wie die digitalen Bezahlsysteme in China funktionieren und welche Rolle China für Finanzdienstleistungen und Handel weltweit einnehmen könnte.
Interview: Magrit Manz, China Report – Chief Editor & Journalist, Beijing, Zürich, Berlin
KI-Magazin: Sie beschäftigen sich hauptberuflich mit Beratungen im Finanzsektor. Macht das in Zeiten von Negativzinsen überhaupt noch Spaß?
DANIEL FASNACHT: Es gibt viele Arten der Beschäftigung mit Geld. Eine der wichtigsten ist der Zahlungsverkehr, bei dem die Banken mit Transaktionen von Bankkonto zu Bankkonto oder mit der Kreditkartenabwicklung lange Zeit Geld verdienen konnten. Mit den digitalen Möglichkeiten und seit der Einführung des QR-Code-Bezahldienstes in China 2014 hat sich der Zahlungsverkehr verändert. Neue Marktteilnehmer aus China wie WeChat-Pay oder Alipay werden diesen Markt total umkrempeln. Unsere Banken könnten sich jetzt anpassen und versuchen, diese Innovation zu adaptieren, was ein großer Aufwand wäre. Oder sie lösen sich von ihren alten Einnahmequellen und suchen neue zukunftsorientierte Geschäftsmodelle. Ob die Beschäftigung mit Geld noch Spaß oder gar Sinn macht? Beim klassischen Zahlungsverkehr der Banken wohl kaum. Doch Geld wird immer eine Relevanz haben, wir werden nicht zum Tauschgeschäft zurückkehren. Nur die Form, wie wir mit Geld umgehen, verändert sich derzeit rasant.
Anfang 2019 erhielt der chinesische Online-Dienstleister Alipay in Luxemburg eine Lizenz für elektronisches Geld, welche für den gesamte EU-Raum gilt. Damit ist der Bezahldienst nicht wie bisher Kunden mit einem Bankkonto in China vorbehalten, sondern kann auch europäischen Konsumenten angeboten werden. Ist Alipay auf Expansionskurs?
FASNACHT: Viele der 30 bis 40 Millionen chinesischen Touristen, die ihre Ferien in Europa verbringen und dabei weit über 100 Milliarden Euro für Shopping, Unterkunft und Restaurants ausgeben, benutzen QR-Code-Bezahldienste. Mit der E-Money-Lizenz können neu auch Konsumenten davon profitieren, die kein Bankkonto in China haben. Alipay unterhält in Europa bereits Partnerschaften mit 140 Finanzdienstleistern, unter anderem mit Barclays und der Solaris Bank. Was mit chinesischen Touristen klappt, konnte künftig auch mit europäischen Konsumenten funktionieren. Das braucht sicher noch eine gewisse Zeit. Unterdessen hat Alipay eine Zusammenarbeit für die nächsten acht Jahre mit der UEFA vereinbart. Ziel ist die Bildung einer digitalen Fankultur für Chinesen, inklusive Ticketing über Alipay. Mit diesem ersten Schritt in Richtung bargeldlose Stadien sollen europäische Konsumenten für das neue Bezahlsystem gewonnen werden.
Gibt es datenschutzrechtliche und Sicherheitsbedenken mit Blick auf die digitalen Bezahlsysteme? Laut Berichten sind diese Systeme schon gehackt worden.
FASNACHT: Ich weiß nicht, wie sicher das alles ist. In den l950er Jahren kamen die Kreditkarten auf den Markt. Alle waren verunsichert und dachten, dass ihr Geld zu Hause sicherer sei. Dann passierten die ersten Kreditkartenbetrügereien und es gibt sie bis heute noch im großen Stil. Die Unsicherheit ist geblieben, aber trotzdem benutzt man die Karten. Es geht gar nicht mehr anders. Beim sogenannten E-Money ist es genau dasselbe. Man weiß, es kann gehackt werden, aber dann werden von den Betreibern wieder Gegenmaßnahmen entwickelt. Das ist ein Katz- und Mausspiel. Ob es sich um historische Kupferwährungen, Kreditkarten oder elektronischen Geldtransfer handelt – es hat immer kriminelle Aktivitäten auf den Plan gerufen. Nur die Art der Kriminalität hat sich verändert.
Was bedeutet es, wenn Angebot und Nachfrage zunehmend durch künstliche Intelligenz verknüpft werden?
FASNACHT: Kunden mit ihren Daten und Informationen werden immer wertvoller. Wenn beispielsweise Chinesen durch Europa reisen, erhalten Kaufhäuser, Luxusläden, Hotels und Restaurants kundenspezifische Informationen von deren Lifestyle-Apps. Bereits bei der Buchung über die digitale Plattform werden die gespeicherten Daten der Kunden ausgewertet und wird ein mögliches zukünftiges Kaufverhalten errechnet. Der Kunde läuft also durch London, dann piept die App und teilt ihm mit, dass an der nachsten Ecke der bevorzugte Taschenladen 70 Prozent Ermäßigung anbietet. Das System weiß, wo er sich befindet und was er sucht. Die KI verknüpft die Informationen.
Apps wie Alipay oder der Messenger WeChat haben bereits Funktionen von Amazon, Uber, Skype, Facebook, Instagram, Expedia sowie mobile Zahlungs- und Vermögensverwaltungsdienste integriert. Und auch unsere Smartphones sind aufgerüstet. Macht das den Alltag wirklich leichter?
FASNACHT: Es passiert gerade etwas ganz Interessantes. Bei dem Versuch, unser tägliches Leben so komfortabel und effizient wie möglich zu organisieren, nutzen wir immer mehr die Dienste der Smartphones. Ich brauche täglich viele Apps, zum Beispiel um Zahlungen auszulösen, für Buchungen von Hotels und Flügen, für E-Commerce, Wetter, News und Chatdienste. Chinesische Anbieter haben das schnell erkannt und sämtliche Apps, die mit dem täglichen Leben zu tun haben, in einer Super-App integriert. In diesen Mini-Programmen ist alles drin, von der Vermögensverwaltung bis zur Taxibuchung. Man informiert sich und agiert in Zukunft nur noch über das Smartphone. Für den Konsumenten, der immer weniger Zeit hat, muss die Komplexität reduziert werden. Wenn man zum Beispiel die allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Versicherungsvertrags durchliest, macht es keinen großen Unterschied, ob man sie in Papierform oder auf der Homepage studiert. Das meiste ist sowieso nicht zu verstehen. Aber über eine App ist der Text einfach gehalten und der Inhalt gut zu verstehen. Die Komplexität ist reduziert, weil auch der Platz dafür reduziert ist. In Zukunft wird man also die App vorziehen.
Sind diese Zahlungs-Apps eine Bedrohung unseres Finanzsektors?
FASNACHT: Sieben der zehn größten Firmen der Welt haben eigene Bezahlsysteme. Ob aber die Bedrohung von Apple Pay oder Amazon Pay kommt, sei mal dahingestellt. Alibaba und Tencent sind aufgrund von Verarbeitungsgeschwindigkeit, Funktionen und bedürfnisorientiertem Leistungsspektrum schon viel weiter. Derzeit möchten sich die europäischen Banken noch nicht mit den chinesischen Disruptoren beschäftigen. Das hat sicher einen kulturellen Hintergrund. Auf der einen Seite die unglaublich schnell agierenden chinesischen Firmen und auf der anderen Seite unsere traditionellen Banken, die versuchen, sich zu schützen. Ste schauen lieber auf amerikanische Firmen, deren Geschäftsmodelle ihnen vertraut sind und die sie verstehen. Amazon und Google sind ihnen dann doch näher als Alibaba und Tencent. Nehmen wir mal ein Beispiel aus der klassischen Vermögensverwaltung. Das Private Banking in der Schweiz punktet nicht nur mit dem Bankgeheimnis, sondern auch durch Kompetenz, Stabilität und Vertrauen. Diese Werte kann man nicht in eine App oder einen Algorithmus einprogrammieren. Ein weiterer Punkt sind Investitionen in nachhaltige Produkte. Viele Chinesen sind sehr schnell reich geworden und stellen irgendwann fest, dass sie auch in Unternehmen investieren konnen, welche die ESG-Kriterien für ökologische, soziale und unternehmerische Nachhaltigkeit erfüllen. Damit beauftragen sie dann eher unsere Finanzdienstleister, weil die in diesem Bereich weiter sind und Investitionen in nachhaltige Produkte in China bisher kaum angeboten werden.
China ist weltweit führend bei Investitionen in Fintechs und künstliche Intelligenz. Kann das Land mit seinen Finanzzentren weltweit den Finanzdienstleistungssektor übernehmen?
FASNACHT: Es gibt immer wieder Studien, die die globalen Finanzplätze analysieren. Den Aufstieg Chinas sehen wir an den Börsen; Hongkong, Shanghai und vor allem Shenzhen gehören unterdessen zu den fünf größten Handelsplätzen der Welt. Schon allein vom sogenannten Wagniskapital, das beispielsweise in Fintechs investiert wird, gehen acht Milliarden Dollar in chinesische Firmen, soviel wie zusammengenommen in England, Deutschland, Japan und den USA. Der Markt reagiert schnell und in China kann man mit innovativen Lösungen mehr Geld verdienen. Bei den Investitionen in die Zukunft spielt die Musik eindeutig in Asien. Gleichzeitig entsteht dort viel Vermögen, es gibt immer mehr reiche Menschen, die Geld anlegen möchten. Und so schließt sich der Kreis und die asiatischen Finanzzentren gehen weltweit in Führung.
China ist nach den USA der zweitgrößte Markt für die Vermögensverwaltung und holt rasant auf. Jedes Jahr wächst die Zahl der chinesischen Milliardäre und Millionäre überproportional zum Rest der Welt. Wie wird sich dieses Ungleichgewicht auswirken?
FASNACHT: Ein Ungleichgewicht ensteht immer aus einer Masse. Auf der einen Seite haben wir die wachsende Bevölkerung in China mit seinen 1,4 Milliarden Menschen, während Europa auf der anderen Seite schrumpft. Ein Markt oder eine Region kann nur profitieren, wenn Produkte und Dienstleistungen verkauft oder Marktanteile gewonnen werden. Es können nicht alle gleichzeitig und gleich viel wachsen. Mit Chinas Öffnung und dem Beitritt zur WTO 2001 begann das Wirtschaftswachstum. China initiiert große Infrastrukturprojekte, die vom Staat unterstützt werden, wie beispielsweise die Belt-and-Road-Initiative, die sogenannte Neue Seidenstraße, in die über eine Billion US-Dollar investiert werden. Dort wird ein Markt mit gigantischen Häfen, Straßen und Seewegen aufgebaut, da entsteht natürlich viel Mehrwert und Reichtum. Von der Belt-and-Road-Initiative profitiert zuerst einmal Asien. Und wenn das Ganze steht, gibt es neue Handelswege zwischen Europa und China, die schneller und effizienter funktionieren. Davon kann dann wiederum Europa profitieren. Im Moment findet das Wachstum in Asien statt. Man darf aber nicht vergessen, dass das heutige Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in China dem der USA von 1980 entspricht. Die aktuellen Vermögen in China sind etwa gleich groß wie diejenigen von Großbritannien, Deutschland und der Schweiz zusammen, aber vier Mal kleiner als das Gesamtvermögen der USA. In China gab es vor zwanzig Jahren nur vereinzelt Computer und Internet. In Westeuropa und den USA hatten die meisten damals schon PCs oder Laptops. Doch unterdessen konnte China große Sprünge in der Technologie machen und digitale Innovationen voranbringen. Außerdem kann alles, was für mobile Geräte entwickelt wird, von einer großen Konsumentengemeinschaft getestet und somit stetig verbessert werden. Das ist natürlich ein großer Wettbewerbsvorteil.
In einem Ihrer Artikel haben Sie geschrieben, dass China kurz vor dem Eintritt in die Ära der Postmoderne steht und die digitale Transformation die Grenzen zwischen Organisationen, Ländern und Kulturen auflösen wird. Was passiert danach?
FASNACHT: Wenn Transport- und Kommunikationswege kürzer werden, wachsen auch die Kulturen enger zusammen. Europäische Firmen sollten sich öffnen, denn wenn die Zusammenarbeit einfacher wird, befruchtet man sich gegenseitig und fördert eine Win-win-Situation. Ich sehe das eher positiv. Zum Beispiel könnte ja die Zeit von Apple abgelaufen sein, jeder hatte mal ein iPhone. Jetzt gibt es die chinesischen Smartphones, die technologisch viel besser sind. Wenn man diese Geräte schnell und billig nach Europa einführt, könnten sie sich genau so schnell verbreiten wie einst Apple. Es ist auch eine Generationenfrage. Die jüngere Generation wird die Vorteile der digitalen Entwicklung für sich nutzen. Ob das Produkt oder die Dienstleistung von einem traditionellen Brand oder einem chinesischen Start-Up kommt, ist dann irrelevant.
Der chinesische Science-Fiction-Autor Liu Cixin hat in seiner Erzählung “Die Versorgung der Menschheit” ein erschreckendes Szenario entwickelt. Ein Unternehmen kauft die Luft der Erde. Kann das Realität werden.
FASNACHT: Dieses Science-Fiction-Gedankenmodell könnte man weiterspinnen. Nehmen wir mal an, ein paar Leute mit viel Geld aus den USA oder China könnten sich als Ziel setzen, mit privaten Mitteln auf den Mond oder Mars zu fliegen. Dafür brauchen sie die Regierung nicht. Sie bauen ihr eigenes Raketenzentrum mit neuester Technologie. Sie finden Leute, die auf den Mars fliegen und dort ein erstes privates Unternehmen aufmachen. Vielleicht finden sie etwas, das für uns wichtig ist. Es wird nicht Luft oder Wasser sein. Aber vielleicht etwas anderes. Wem gehören dann die Ressourcen auf dem Mars? Wenn gehören die Ressourcen in der Welt? Während der Kolonialisierung haben die Portugiesen Brasilien zu ihrer Außenstelle gemacht. Alles, was sie aus dem Land rausholen konnten, verschifften sie nach Europa. Die Ressourcen auf der Erde sind endlich, aber vielleicht wird das Gleiche wie in Brasilien jetzt auf dem Mond oder Mars stattfinden.
Wie werden wir den Wettbewerb mit den asiatischen Unternehmen und deren digitalen Geschäftsmodellen aushalten können?
FASNACHT: Digitale Geschäftsmodelle verdrängen alte Strukturen und Super-Apps sind ein erster Schritt dahin, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen. Ich bin überzeugt, dass sich künftig Wettbewerb und Kooperation ergänzen und den Handel zwischen Marktteilnehmern positiv beeinflussen werden. Ich habe die Hoffnung, dass Asien und Europa durch die neuen Verbindungen der See- und Landwege enger zusammenwachsen, und dass der Handel zwischen Europa und Asien zunimmt, so wie zu Marco Polos Zeiten, als ständig Leute entlang der Seidenstraße Waren transportierten und Angebot und Nachfrage bedienten. Das wäre eine große Chance für Europa.
Erstmals publiziert in deutsch und chinesisch im März 2020 in: “Konfuzius-Institut” – Das Magazin, Ausgabe 2 (Nr. 37): Geld, S. 26-33. https://www.konfuziusinstitut-leipzig.de/fileadmin/user_upload/KI-Magazin/2020-02_KI-Magazin_web_DS.pdf
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