Das Potential für innovative Geschäftsmodelle in der Finanzindustrie bei Etablierung einer Circular Economy

Die drohende Klimaerwärmung war in den letzten Wochen im Kontext der UN-Klimakonferenz ein «heiss» diskutiertes Thema. Der Schwerpunkt der Diskussionen lag dabei darauf, wie die im Pariser Klimaabkommen festgeschriebene Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1.5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erreicht werden kann. Dies setzt eine drastische Reduktion des CO2-Austosses weltweit voraus.

Was uns in unsere prekäre Situation geführt hat, ist vor allem unser jahrzehnte-(wenn nicht sogar jahrhunderte-)langes nicht nachhaltiges Leben und Wirtschaften. Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung definiert nachhaltige Entwicklung als «eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können»[1]. Um nachhaltig zu handeln, d. h. diese Welt für künftige Generationen zu erhalten, müssen wir jetzt also verschiedene Massnahmen ergreifen, um die menschgemachte Klimaerwärmung zu stoppen. Interessant ist die Frage, wie dies zu erreichen ist. Wenn man bedenkt, dass die CO2-Emissionen grösstenteils direkt oder indirekt von uns Konsumenten verursacht werden, könnte man, konsequent zu Ende gedacht, annehmen, wir müssten den Kunden abschaffen. Oder gleich den ganzen Menschen. Wie Prof. Michael Braungart, Mitbegründer des Prinzips Cradle to Cradle, es ausdrückt: «Der Punkt ist, die traditionelle Nachhaltigkeit macht den Kunden zum Feind.»[2]

Hier setzt das Konzept der Circular Economy mit seinem Konzept der Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch an. Im Gegensatz zur linearen Wertschöpfung mit ihrem “Nehmen-Herstellen-Verwenden-Entsorgen” -Konzept, setzt die Circular Economy auf ein regeneratives System, eine Kreislaufwirtschaft, in der das Konzept «Müll» nicht mehr existiert. Dieser wird stattdessen zu einer wertvollen Ressource, die als Grundlage für die weitere Produktion im Kreislauf verbleibt. Hierbei werden zwei Kreisläufe unterschieden, zum einen der Kreislauf für biologisches Material (Biosphäre), zum anderen der für technisches Material (Technosphäre). Reste in der Biosphäre sind dabei nicht nur alle heute biologisch abbaubaren Materialien wie z. B. Essensreste oder Papier, sondern auch Produkte wie Schuhsohlen, Autoreifen, Seife oder Textilien, bei denen wir nicht verhindern können, dass Teile davon entweder durch Abrieb oder über das Wasser in die Umwelt gelangen. Alle Materialien, die in die Biosphäre gelangen, müssen so designt werden müssen, dass sie biologisch abbaubar sind, um dann als organisches Material anderen Pflanzen als Lebensgrundlage dienen zu können und so Teil des Kreislaufs zu bleiben. Für die Technosphäre besteht die Absicht, die Lebensdauer von Ware entweder durch Up- oder Recyceln oder auch die Weitergabe unter Konsumenten (Stichwort Sharing Economy) zu verlängern, damit diese nicht aus dem Verkehr gezogen werden muss.[3]

Abbildung 1: Die lineare Wirtschaft und die Circular Economy im Vergleich[4]

Das Konzept der Circular Economy verfolgt auch die EU; mit dem europäischen Grünen Deal soll der «Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft» geschaffen werden, die in den Worten der Europäischen Kommission[5]:

  • bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstösst,
  • ihr Wachstum von der Ressourcennutzung abkoppelt,
  • niemanden, weder Mensch noch Region, im Stich lässt.

Es sind insgesamt 1.8 Billionen EUR für den Green Deal eingeplant.

Dieses Vorgehen ist dabei nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich. Die Vorteile dieses Konzepts: Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft in Europa könnte as BIP bis 2030 um 900 Milliarden Euro erhöhen, das Einkommen eines typischen europäischen Haushalts um 3 000 Euro p. a. steigern und CO2-Emissionen im Vergleich zu 2015 halbieren.[6]

Die unterschiedlichen Klassen der Zirkularität

Zirkularität wird dabei nach drei «Entwicklungsstufen» unterschieden.

Abbildung 2: Die unterschiedlichen Klassen der Zirkularität[7]

Die erste Klasse von Modellen kann als zirkuläre Wiederverwertungsmodelle bezeichnet werden. In dieser Klasse geht es darum, gebrauchte Ressourcen wieder zu nutzen. Heutige Beispiele sind die Nutzung von Abfall als Kompost oder die Wiederaufbereitung von Abwässern. Zu dieser Klasse gehören auch unsere gesamten Pfand- und Recyclingansätze für Glas, Metall oder Papier. Die zweite Klasse lässt sich am besten als zirkuläre Nutzungsmodelle beschreiben, bei denen es darum geht, die Lebensdauer von Produkten oder Produktkomponenten zu erhöhen (z. B. durch Reparatur oder Wiederverwendung in anderen Kontexten) und dadurch die Material- und Ressourceneffizienz zu steigern. Zur mittleren Klasse zählen u. a. Ansätze wie die von Grover, wo der Kunde zahlreiche elektronische Geräte wie iPads oder Kopfhörer mieten kann, Versicherungsschutz inbegriffen. Nach Nutzung durch den Kunden kann dieser die Geräte zurückgeben und sie werden gereinigt neu vermietet (R3 Re-Use). Die dritte Klasse, in der die stärkste Kreislauffähigkeit erreicht wird, sind zirkuläre Design- und Produktionsmodelle, bei denen es darum geht, Produkte von vornherein so zu designen, dass sie einfach aufbereitet und wiederverwendet werden oder in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können – kurzum, in denen das Konzept des Abfalls im klassischen Sinne nicht mehr existiert. Konzepte, wo eine Zirkularität by Design verfolgt wird, sind eher selten, werden aber zukünftig zunehmen. So haben bspw. die Forscher der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) ein Verfahren entwickelt, wie Kohlendioxid als Ressource in den Produktionsprozess von Textilfasern einfliesst und den Kohlenstoffkreislauf schliesst.[8]

Was bedeuten diese unterschiedlichen Grade der Zirkularität für Unternehmen und wie können die Finanzinstitute diese Ansätze unterstützen?

Ein heutiges Beispiel für die «höchste» Stufe der Zirkularität sind Maschinengemeinschaften, Zusammenschlüsse landwirtschaftlicher Unternehmen, die gemeinsam landwirtschaftliche Maschinen, z. B. einen Mähdrescher, erwerben und nutzen[9]. Obwohl die primäre Motivation für diese Zusammenschlüsse wohl in der Kostenersparnis liegt, ist ein solches System gleichzeitig sehr nachhaltig, da die Maschinen viel besser ausgelastet werden und kein unnötiger Ressourcenverbrauch durch eigentlich unnötige Mehrproduktion entsteht. Dieses Konzept ist aber nicht nur für landwirtschaftliche Maschinen sinnvoll: Heutige Fabriken leiden häufig unter Unterauslastung, Kapazitäten bleiben ungenutzt[10]. Kombiniert man diese Ausgangssituation mit dem generellen Trend Product-as-a-Service, so könnten auf der «höchsten» Stufe der Zirkularität neue Geschäftsmodelle entstehen, wenn Unternehmen in der Technosphäre nicht mehr neue Maschinen verkaufen, sondern nur die mit der Maschine erbrachten Services. Produkthersteller müssten in diesem System keine Maschinen mehr erwerben, sondern könnten Produktionskapazitäten mieten. Dabei können die Maschinen selbst z. B. aus gebrauchten Teilen bestehen und am Ende Ihres Lebenszyklus in Teilen wieder vom Hersteller – der zugleich Eigentümer ist und bleibt – weiterverwendet werden bzw. die in ihr gebundenen Rohstoffe. Eine Vorstufe eines solchen Systems ist heute beispielsweise die Firma Xometry, die einen Marktplatz bereitstellt, über den Unternehmen ihre ungenutzten Produktionskapazitäten anderen Unternehmen und Privatpersonen zur Verfügung stellen können.

Für den Maschinenhersteller ergeben sich in einem solchen System neue Finanzierungsbedürfnisse, da kein Verkauf produzierter Maschinen stattfindet, um die Produktionskosten zu decken, sondern der Mittelzufluss über einen längeren Zeitraum gestreckt wird. Hier können Banken die neue Art der Finanzierung unterstützen und durch IoT-based Payments zum Beispiel Rückzahlungen auf Basis der mit der Maschine produzierten Gütermenge anbieten, wie dies z. B. bereits die Commerzbank oder Munich Re tun. Im letzteren Beispiel werden Laserschneidmaschinen von TRUMPF von der Munich Re finanziert und zur Produktion physisch an den Kunden ausgeliefert, bleiben aber Eigentum des Herstellers und werden von diesem gewartet[11].

Auf der mittleren Ebene der Zirkularität ist der Product-as-a-Service-Trend ebenfalls zu beachten, z. B. in Form von Abomodellen sogar bei Produkten, die eher in den Konsumbereich für Privatkunden fallen (z. B. Kameras, Lautsprecher oder Kopfhörer.

Für Unternehmen in beiden Klassen stellt sich auch die Frage ihrer Bewertung, da ihre Produkte nicht mehr auf klassische Art und Weise abgeschrieben werden können, sondern ihren Wert mehr oder weniger erhalten und wieder genutzt bzw. zu Rohstoffen werden. Auch dies könnte ein Betätigungsfeld für Banken sein – Bewertung von Assets (Rohstoffen). Zugleich bietet sich auch durch das geänderte Payment-Verhalten (Embedded Finance), das durch Abomodelle oder Maschinenzahlungen entsteht, eine deutlich höhere Kundeninteraktion für Unternehmen und Banken. Gleichzeitig entstehen auch diverse Ansätze für Versicherungen, die die Nutzung der über ein Abonnement bezogenen Produkte versichern können. Weiterer Unterstützungsbedarf kann auch im Bereich der Rohstoffbeschaffung liegen, um sicherzustellen, dass neu beschaffte Rohstoffe nachhaltig sind.

Das Thema Nachhaltigkeit und Circular Economy bietet u. a. über die neu entstehenden Geschäftsmodelle ein enormes Potential für Banken, Corporates mit bereits existierenden (Embedded Finance, Finanzierung), aber auch neuen Services (neue Bewertung der Assets von Unternehmen (Rohstoffen)) zu unterstützen und gleichzeitig viel stärker in die Interaktion mit dem Endkunden zu treten.

Weitere Informationen zur Circular Economy finden sich auch im Open Banking Whitepaper der Commerzbank «How API based Ecosystems can serve Circular Economy»[12], das in Kooperation mit dem Business Engineering Institute St. Gallen entstanden ist.


[1] https://www.are.admin.ch/are/de/home/medien-und-publikationen/publikationen/nachhaltige-entwicklung/brundtland-report.html

[2] https://businesscircle.at/news/banken-versicherungen/das-falsche-perfekt-machen-und-das-perfekt-falsch/

[3] https://mediaserver.htwk-leipzig.de/videos/zukunft-stadt-c2c/iframe/#slide

[4] https://www.datadriveninvestor.com/wp-content/uploads/2018/10/circular-economy.jpg

[5] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de

[6] https://ellenmacarthurfoundation.org/regions/europe

[7] Okorie, Okechukwu & Salonitis, Konstantinos & Charnley, Fiona & Turner, Chris & Moreno, Mariale & Tiwari, Ashutosh. (2018). Digitisation and the Circular Economy: A Review of Current Research and Future Trends. Energies. 11. https://www.researchgate.net/publication/328662037_Digitisation_and_the_Circular_Economy_
A_Review_of_Current_Research_and_Future_Trends.

[8] https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/ca9846a8-6289-11ea-b735-01aa75ed71a1

[9] https://www.maschinenring.de/leistungen/maschinen/gemeinschaften

[10] https://archive.curbed.com/2015/9/29/9916234/make-time-distributed-manufacturing-machine-design

[11] https://www.munichre.com/de/unternehmen/media-relations/medieninformationen-und-unternehmensnachrichten/medieninformationen/2020/2020-10-14-pay-per-part.html

[12] https://developer.commerzbank.com/shared/documents/commerzbank-open-banking-whitepaper-2021.pdf

Stefanie Auge-Dickhut

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