
Agile Unternehmenskultur in Banken etablieren
Für Banken ist die Entwicklung hin zu einer kundenzentrierten, flexiblen und anpassungsfähigen Organisation unabdingbar. Technologieriesen und FinTechs drängen immer stärker in den klassischen Bankenmarkt und setzen mit innovativen, nutzerfreundlichen Produkten neue Massstäbe für die Finanzindustrie. Das bringt Banken in Bedrängnis, da ihnen häufig die Fähigkeit fehlt, flexibel und zeitnah mit neuen Produkten auf veränderte Marktbegebenheiten zu reagieren (Thiele et al., 2019). Die flächendeckende Einführung agiler Techniken könnte Abhilfe schaffen, jedoch stellen sich die wenigsten Banken agil auf, wie eine Studie des Beratungsunternehmens Zeb[1] bei Finanzdienstleistern ergeben hat (Zeb, 2020). Zwei Drittel der Studienteilnehmer waren der Meinung, dass Agilität ein zentraler Faktor zur Bewältigung der digitalen Transformation ist. Dennoch bestätigte nur weniger als ein Prozent der Befragten, dass ihre Organisation weitgehen agil arbeitet. Rund 22 Prozent gaben an, dass ihr Unternehmen Massnahmen ergreift, um agiler zu werden. Ganze 73 % der Finanzdienstleister haben noch keine (11 %) oder nur vereinzelte agile Massnahmen getroffen. Die Schwierigkeit bei der Etablierung von Agilität in Banken liegt in der Einführung agiler Führungsstrukturen (Breinich-Schilly, 2020). Doch wo sollten Banken ansetzen, um den Weg in Richtung einer agilen Organisation zu beschreiten? Und wie können Banken die Weichen zur Entwicklung einer agilen Unternehmenskultur stellen?
Agile Kultur basiert auf drei Pfeilern: Transparenz, Empowerment und Kollaboration
Die Unternehmensstrukturen erfolgreicher agiler Organisationen haben nur wenig gemeinsam, im Gegensatz zur Unternehmenskultur, die sich durch drei Praktiken auszeichnet, die Puckett (2020) im sogenannten TEC-Modell beschrieben hat: Transparency, Empowerment und Collaboration.
Transparenz
Eine agile Organisation ist in der Lage, sich schnell und angemessen an Veränderungen in der Unternehmensumwelt anzupassen. Dazu muss sie die Veränderungen in einem ersten Schritt wahrnehmen und in einem zweiten Schritt passende Lösungsstrategien entwerfen und umsetzen. Damit beides so effizient und effektiv wie möglich geschehen kann, ist die Einbindung der Mitarbeiter unerlässlich (Ringel, 2016). Jedes Individuum innerhalb eines Unternehmens verfügt über Wissen über den Markt, die Kunden oder für das Unternehmen relevante Trends und kann als eine Art Sensor für die Umwelt einer Organisation dienen. Damit das kollektive Wissen bestmöglich ausgeschöpft werden kann, sollte es transparent, d. h. zugänglich, gemacht werden, indem z. B. Tools genutzt werden, die übersichtlich Informationen zu Themengebieten mit entsprechenden Kontaktdaten der Wissensträger im Unternehmen für alle Mitarbeiter bereitstellen. Transparent gemacht werden sollten darüber hinaus die Ziele und Hintergründe gesamtunternehmerischer Entscheidungen durch das Management (Puckett, 2020). Die Erkenntnisse, die so geteilt werden, unterstützen alle Mitarbeitenden bei der Entwicklung von Ideen und der Formulierung und Umsetzung von Strategien und Taktiken.
Ein gutes Beispiel für die Implementierung einer agilen Organisation stellt die niederländische Bank ING dar. Sie hat sich von einer klassischen Struktur zu einer agilen Organisation gewandelt und ist neu gemäss des SAFe-Skalierungsframeworks in zahlreiche Squads à neun Personen unterteilt, welche wiederum einen Teil eines sogenannten Tribes darstellen. Ein wichtiges Instrument bei ING, um Transparenz herzustellen, ist der QBR (Quarterly Business Review). Für den QBR verfasst jeder Tribe einen Bericht, in dem er beschreibt, was er im letzten Quartal erreicht hat, was seine grössten positiven und negativen Erkenntnisse sind und was im nächsten Quartal erreicht werden soll. Das Dokument wird sämtlichen Tribes zur Verfügung gestellt, damit alle aus den Erfolgen und Misserfolgen im Unternehmen lernen können. Dabei sind Feedback und Inputs gefragt, welche auch im Unternehmen transparent behandelt werden. Dies kann zum Beispiel im Team oder abteilungsübergreifend durch sogenannte Retrospektiven erfolgen. (McKinsey, 2017).
Empowerment
Die zweite Säule des TEC-Modells stellt Empowerment dar. Auf Grundlage des ersten Pfeilers, der Transparenz, können Mitarbeitende bessere Entscheidungen treffen und mehr Selbstbestimmung bezüglich ihrer Aufgaben erhalten. Ein zentrales Merkmal von Empowerment ist, dass die Vorgesetzten ihren Untergebenen die notwendige Macht oder Autonomie gewähren, um ihr Projekt bestmöglich umzusetzen (Kim & Beehr, 2019). Dieser Handlungsspielraum ist wichtig, um die Arbeit an eigene Gewohnheiten anpassen und flexibler auf veränderte Kundenbedürfnisse oder technische Neuerungen reagieren zu können. Um flexibel arbeiten zu können, sind Vorschriften möglichst klein zu halten. Ownership wird als Endziel von Empowerment betrachtet. Dabei wird Individuen und Teams die End-to-End-Verantwortung für Projekte übertragen; Mitarbeitende sind eigene Unternehmer im Unternehmen, welche sich einem Ziel verpflichten und im Gegenzug Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielräume erhalten (Puckett, 2020).
Die Wichtigkeit von Empowerment zeigt sich bei ING bereits in der Formulierung des Ziels der Bank: «Empowering people to stay a step ahead in life and in business.» Privatkunden und institutionelle Kunden sollen ermächtigt werden, ihre eigene Vision für eine bessere Zukunft zu realisieren. Bei ING bezieht sich das Empowerment nicht nur auf die Kunden, sondern eben auch auf die Mitarbeitenden. Den Scrum-Teams wird weitgehende Autonomie mit viel Selbstbestimmung geboten. Dazu bietet ING freiwillig bezahlten Mutterschaftsurlaub oder regt die Mitarbeitenden an, Sabbaticals zu nehmen. ING macht sich ausserdem für flexible Arbeitszeiten und Homeoffice stark (ING, 2020).
Kollaboration
Das dritte Standbein des TEC-Modelles ist die Kollaboration. Organisationen können über Unmengen an Daten und Informationen verfügen und trotzdem am Markt scheitern, denn die zunehmende Masse und Komplexität der verfügbaren Daten kann nicht mehr nur von einzelnen, autonom arbeitenden Individuen verarbeitet werden. Vor allem bei schlagartig oder unerwartet auftretenden Veränderungen ist es essenziell, ausreichend Flexibilität aufzuweisen, um sich rasch in neuen Teams zu organisieren und gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Kollaboration ist der direkteste Weg zur Nutzung kollektiven Wissens und damit zur qualitativen Verbesserung von Entscheidungen. Der Austausch von Ideen kann zudem die Möglichkeit schaffen, Synergieeffekte zu finden und zu nutzen. Kollaboration unterstützt gemeinsames Lernen und Wachsen (Puckett, 2020).
Bei ING war die IT lange Zeit strickt von anderen Bereichen getrennt. Während der Transformation hin zu einer agilen Organisation hat sich dieser Umstand verändert: Heute sitzen Mitarbeitende aus dem IT- und dem kaufmännischen Bereich im Gebäude zusammen, in Gruppen aufgeteilt. Dies erfolgt in einer Umgebung, in der es keine Vorgesetzen gibt, die die Übergaben zwischen den Bereichen kontrollieren und damit die Zusammenarbeit verlangsamen (McKinsey, 2017).
Allerdings ist Kollaboration nicht nur innerhalb eines Unternehmens zentral, sondern auch mit Organisationen von ausserhalb. Beispielhaft hat die Commerzbank im Rahmen eines White Papers Kollaborationen im Open Banking untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass neue Marktteilnehmer, wie etwa FinTechs, nicht ausschliesslich als Konkurrenten betrachtet werden sollten, sondern als Partner. Denn bei Kollaborationen bringt jede Partei einzigartige Assets und Fähigkeiten mit, was das Potenzial für grossartige Lösungen erhöht (Commerzbank, 2020).
Conclusio
Der Artikel zeigt, dass sich auch grosse Banken, wie beispielsweise die ING, hin zu einer agilen Organisation wandeln und dabei erfolgreich in einem kompetitiven Marktumfeld operieren können. Banken sollten sich der Wichtigkeit einer agilen Kultur bewusst werden und die drei Pfeiler Transparenz, Empowerment und Kollaboration berücksichtigen. Ohne Transparenz als Basis, die Vertrauen schafft und Informationen zur besseren Entscheidungsfindung bereitstellt, sind alle weiteren Massnahmen obsolet. Neben der Transparenz ist Empowerment von Mitarbeitenden essenziell, damit die Mitarbeitenden ihr Wissen auch in Entscheidungen umsetzen und zeitnah auf Veränderungen reagieren können. Kollaboration bildet als letzter Pfeiler die Opportunität, die Qualität von Entscheidungen zu erhöhen, Synergieeffekte zu nutzen und rasch auf Umweltveränderungen zu reagieren. Kollaboration und der Austausch von Ideen sollten nicht nur innerhalb einer Bank stattfinden, sondern zusätzlich nach aussen, und unterschiedliche externe Parteien involvieren.
Abschliessend stellt sich die Dimension Kultur vor Struktur und Prozesse eines Unternehmens (Thonet, 2019). Ohne Einführung einer agilen Kultur werden jegliche Bemühung für den Gebrauch von agilen Arbeitsweisen misslingen. Folglich befindet sich gerade in der Unternehmenskultur der Schlüsselfaktor für Banken, um eine agile Organisation zu implementieren und zukünftig kompetitiv im Markt zu agieren.
[1] Insgesamt haben 216 Personen an der Befragung teilgenommen. Unter den Teilnehmenden waren 37 % Mitarbeitende sowie 63 % Führungskräfte. Dazu weist die Studie eine Streuung bei der Unternehmensgrössen auf (<500 Mitarbeitende 42 %, 500-2000 Mitarbeitende 35 %, > 2000 Mitarbeitende 23 %).
Quellen
Breinich-Schill, A. (2020). Agilität in Banken bleibt oft nur Theorie. https://www.springerprofessional.de/agile-methoden/kundenmanagement/agilitaet-in-banken-bleibt-oft-nur-theorie/17714030
ING. (2020). Benefits. https://www.ing.jobs/netherlands/Why-ING/benefits.htm
Kim, M. & Beehr, T. (2019). Job crafting mediates how empowering leadership and employees’ core self-evaluations predict favourable and unfavourable outcomes. European Journal Of Work And Organizational Psychology. https://doi.org/10.1080/1359432X.2019.1697237
Commerzbank. (2020). Open Banking White Paper. The Future of Collaboration in Corporate Banking. https://developer.commerzbank.com/shared/documents/commerzbank-open-banking-whitepaper-2020.pdf
McKinsey. (2017). ING’s agile transformation. https://www.mckinsey.com/industries/financial-services/our-insights/ings-agile-transformation
Puckett, S. (2020). Der Code Agiler Organisationen – Ein Playbook für den Wandel zur Agilen Organisationskultur. Göttingen: BusinessVillage.
Thiele et al. (2019). Open Banking und dessen Auswirkungen auf die Organisationsmodelle von Banken. https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/financial-services/agile-banking-juni-2019.pdf
Thonet. (2019). Agilität braucht kulturellen Wandel. https://www.springerprofessional.de/agile-methoden/change-management/agilitaet-braucht-kulturellen-wandel/16529228
Ringel (2016). Transparenz als Ideal und Organisationsproblem. Wiesbaden: Springer Verlag.
Zeb. (2020). Agilität – Das grösste Missverständnis unserer Zeit. https://zeb-consulting.com/files/media/documents/2020-02/zeb_agile_readiness.pdf
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